Montag, 8. August 2005

Zwölf Stunden der Entbehrung

Den einen oder anderen meiner verehrten Leser ist es mir offensichtlich gelungen zu täuschen, und immerhin diese Menschen – sieht man einmal ab von meinem verehrten Vater – hegen von meiner Person ein offenbar durchaus idealisiertes Bild. Tatsächlich allerdings, um der Wahrheit die Ehre zu geben, befindet sich in der DNA, die ein nicht nur gütiger Schöpfer in meine Zellkerne getopft hat, die vollständige Anleitung für den Bau eines Nilpferdes.

Haben Sie schon einmal versucht, einem Nilpferd einen jadegrünen, schmal geschnittenen Rock mit Stickereien drauf anzuziehen? Haben Sie das Nilpferd mit eingezogenem Bauch vor seinem Spiegel fluchen hören? Mit einem herzhaften Aufschrei warf das Nilpferd – also ich – den Rock in eine Ecke, stieg in seine Lieblingsjeans, und verließ das Haus mit dem festen Vorsatz, diesmal aber nun wirklich eine drastische Gewichtsreduzierung vorzunehmen.

Zu der Apfelschorle in der Uni gab es keinen Muffin. „Nein.“, hörte ich mich dann sagen, „ich esse zu Hause.“, und überließ die B. ganz alleine einer unmäßig großen Pizza in den S-Bahnbögen. Ich ging zu Fuß: Die Linden hoch, am Lustgarten vorbei, vorbei am Hackeschen Markt, und dann stracks nach Hause. Kalt war´s, und beim Bäcker Zessin in der Zionskirchstraße, wo der Kuchen besser schmeckt, als man nach dem optischen Eindruck nach glauben sollte, verlangte ich ein halbes Mischbrot und ließ den sahnegefüllten Windbeutel und die Käsetorte einfach so stehen. Drei Kartoffeln gab´s, Magerquark mit gehacktem Harzer Käse, Kümmel, Zwiebel und Paprika dazu, und fast hätte ich mir nicht einmal ein Ei dazu gebraten. In sehnsüchtigen Träumen von sahnigen Saucen und Tortelloni mit Gorgonzolafüllung saß ich sodann vor meinem Rechner, arbeitete ein wenig vor mich hin, und aß den ganzen Nachmittag zwei Nektarinen und einen Kohlrabi, der, wie ich an dieser Stelle einmal mitteilen möchte, ein durchaus überschätztes Gemüse darstellt. Ich bin nicht so für Rohkost.

Eine Essenseinladung sagte ich ab. Die Schokolade habe ich an einen sicheren und außerhalb meiner Wohnung belegenen Ort verbracht. Zu Abend bestrich ich zwei Scheiben des Mischbrotes mit so dünn Butter, dass man durchschauen konnte, und häufte Hüttenkäse und ein paar Tomatenscheiben drauf. Mit einer Schale ungesüsstem Pfefferminztee, meine Damen und Herren, sitze ich vor meinem Rechner, unaufhörlich kreisen meine Gedanken um ein Stück Sachertorte.... oder Pfifferlinge in Rahm mit Semmelknödeln dazu. Ein riesengroßes Stück Käse, Appenzeller vielleicht oder ein Brebiou.

In allen Büchern scheint´s, ist nur von Gelagen die Rede. Das ganze Internet beschäftigt sich monothematisch mit der Frage, was man essen könnte, und jeder meiner Freunde, der mich sehen will, schlägt entweder Mahlzeiten in Restaurants oder zu Hause vor.

Es ist zum Heulen. Und der Rock passt immer noch nicht.

Kunst und Hausverwaltung

Nun, meine Damen und Herren, ich sehe Sie enttäuscht: Aus diesem Hut springt auch diese Woche wieder kein einziges Kaninchen, und überhaupt ist mein Tun und Treiben gegenwärtig arm an Überraschungen, ohne allerdings jenen interessanten weltschmerzlichen Überdruß hervorbringen, welcher sich dann wiederum publikumswirksam ausstellen ließe:

Am Morgen stehe ich auf, den Tag über versuche ich unter Ächzen und geräuschvollen Missfallensbekundungen, die keiner hört, die Berge von Arbeit auf und neben meinem Schreibtisch zu verkleinern, und am Abend verlasse ich das Haus, um mit lieben Freunden an öffentlichen Orten zu essen oder zu trinken und sich dabei ziemlich viel zu erzählen. Des Nachts verstaue ich meine Sehhilfen ordentlich in eigens zu diesem Zweck fabrizierten Döschen aus Plastik und bestreiche mein Gesicht mit einer Creme, die vorzeitiger Hautalterung vorbeugen soll, die, wie man hört durch den Genuss von Tabakwaren gefördert würde, die ich nicht aufhören kann in möglicherweise übertriebenem Maße zu konsumieren.

Um Sie, mein geschätztes Publikum indes nicht vollends zu langweilen, und Sie zu sofortiger Kündigung des Abonnements dieses Blogs zu veranlassen, sehe ich mich also gezwungen, anderer Leute Kaninchen aus meinem Zylinder zu fischen, ein Prachtstück an Kaninchen allerdings, ein glanzvolles Produkt der Zweitverwertung jener Gegenstände, denen Sie oder ich uns vielleicht erst kürzlich entledigt haben.

In ihrer Einzimmerwohnung in Friedrichshain begab es sich nämlich, dass eine Studentin der freien Künste eines Tages begann, ob für´s Studium oder zu rein privaten Zwecken, aus allerlei Abfall eine Skulptur zusammenzukleben. Mag der Müllmann eine Hommage an den großen HA Schult dargestellt haben, oder mag er einfach nur so das Herz seiner Urheberin erfreut haben – aus Röhren, altem Haushaltsgerät und Blechdosen, alten Zeitungen und den Resten eines sogenannten Badezimmerradios in Form eines bunten Fisches entstand nach und nach ein ungefähr 150 Zentimeter hoher Zeitgenosse, der lustige Geräusche machen konnte, kam man dagegen. Weil die Künstlerin am oberen Ende und am unteren Ende des Rumpfes jeweils die Enden eines Plastikrohres angebracht hatte, konnte der Müllmann sogar urinieren, wenn man ihm zu trinken gab. Um Beschädigungen der Dielen durch derart aufgebrachte Feuchtigkeit zu vermeiden, trug der Müllmann eine Windel, die ursprünglich der Versorgung inkontinenter Menschen zu dienen bestimmt war und von einem Freund des Hauses aus einem Seniorenheim entwendet worden war.

Eines Tages aber kam das Unheil über den Müllmann, und wie so oft kündigte auch in diesem Fall das Schicksal sich auf so leisen Sohlen an, dass die Künstlerin keinen Grund sah, eben jenes zu vermeiden. Es wäre ihr indes auch nicht leicht gefallen, dem Übel aus dem Weg zu gehen, das in Gestalt der Hausverwaltung über ihren Müllmann kam, denn jener war mit der Zeit und bedingt durch die nicht allzu feste Verbindung seiner Teile, ein wenig immobil geworden.

Die Hausverwaltung schrieb also, weder durch Art noch Inhalt des Schreibens Misstrauen erregend, die Künstlerin in ihrer Eigenschaft als Mieterin an, und bat um Zugang zu der Wohnung, um einen Mangel an den Balkonen erst begutachten und sodann beseitigen zu können. - Arglos gewährte die Künstlerin der Hausverwaltung Zugang zu ihrem Heim und ließ das Unheil in Gestalt eines Mitarbeiters jenes Unternehmens in jene 38 m², die sie mit dem Müllmann bewohnte.

Was sich so ganz genau während der Besichtigung zwischen der Künstlerin und dem Abgesandten der Hausverwaltung abspielte, darüber können wir mangels genauer Kenntnis nur spekulieren. Fakt ist indes, dass wenige Tage später ein Schreiben der Hausverwaltung bei der Künstlerin einging, den Müllmann „unverzüglich“, so hieß es in jenem Brief „zu entfernen“. - Natürlich kam das gar nicht in Frage.

„Kunst!“, rief markig die Urheberin des Müllmanns. - Hygienische Gründe, gab die Hausverwaltung zurück, verböten indes die langfristige Lagerung von Haus- Sperr- und Sondermüll in zu Wohnzwecken genutzten Räumen. Ihr Müllmann sei nicht schmutzig und ziehe keineswegs Kleintiere an, wandt die Künstlerin wenn auch vergeblich ein. - Fabulierte die Hausverwaltung sogar von Ratten, sprach die Mieterin um so lauter von kreativer Selbstverwirklichung, bis beide Seiten müde der eigenständig geführten Auseiandersetzung jeweils einen Rechtsanwalt einschalteten.

Drohungen mit Kündigung des Mietverhältnisses kreuzten sich mit Ausführungen über den die liberale Gesellschaft geradezu konstituierenden Wert der Freiheit der Kunst. Gütevorschläge, den Müllmann in einer alten Remise unterzubringen, wurden mangels Beweglichkeit des Kunstwerks entrüstet abgelehnt, weitere Kompromisse nach diesem Entgegenkommen weit von sich gewiesen, und gut stehen die Chancen, mit dem Hausgenossen der Kunststudentin dermaleinst noch das rostige Herz des Amtsgerichts zu erfreuen.


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