Donnerstag, 11. August 2005

Pro domo

Geht es in jenen Medien, die sich mit gefurchter Stirn und grauen Bärten um den Zustand der Nation sorgen, einmal um Blogs, so fehlt selten ein Seitenhieb auf jene Teile der Blogosphäre, die sich hartnäckig weigern, ernsthafte Schicksalsfragen der Zukunft ins Internet zu posaunen, Fakten zu verbreiten, und überhaupt nichts weiter tun, als mit ihren Befindlichkeiten das Internet zu verstopfen. Ein herablassender Unterton des „Das interessiert doch keinen“ schwingt da gerne einmal mit, ein Bedauern, dass die Blogosphäre nicht lauter privat betriebene Miniaturausgaben der etablierten Presse hervorbringt, deren Postings Nachrichtenwert besitzen und Meinungen feilbieten. Das Schlagwort des „Graswurzeljournalismus“ demonstriert nicht schlecht, wie das Wunschblog jener Herren auszusehen hätte. - Dass dagegen irgendwelche dahergelaufenen Privatpersonen auf die Idee kommen, mit völlig irrelevanten Mitteilungen über den Verlauf ihrer Dates, die Erfolglosigkeit ihrer Diäten oder merkwürdigen Ereignissen in ihrem Freundes- und Familienkreis die Öffentlichkeit zu suchen, wird im besten Falle mitleidig bis gönnerhaft belächelt, im schlechteren Fall als Abart jener Gesellschaftskreise betrachtet, welche sich in Talkshows über ihre Gatten beschweren oder ihre Nachbarn beschimpfen. Ernstzunehmende Leute, so scheint es, haben sich für den Bundeskanzler zu interessieren, für die Zukunft der Rente, das Schaffen der Dichter und die technischen Probleme, die im Zusammenhang mit der Benutzung von Personalcomputern auftreten können.

Tatsächlich interessieren sich Menschen aber nur eingeschränkt für Kanzler, Rechner und Renten. Das neue Vordach der Nachbarn dagegen interessiert die Nachbarschaft brennend. Die ehelichen Probleme der Verwandtschaft, der Keuchhusten der Nichte, der Autounfall des Kollegen und der peinliche Verlauf eines romantischen Abends des Cousins des Kollegen, den der Zuhörer gar nicht kennt. Die Frisur der Kanzlerkandidatin und nicht ihr Programm. Das Liebeslebens Schillers oft mehr als die Xenien. Und nur der wird dieses Faktum bedauern, der nicht zu konzedieren bereit ist, dass das Leben der Menschen nur zu einem geringen Teil aus jenen Teilen besteht, über die die Verfasser besorgter Leitartikel sich verbreiten.

Schön, würden jene Herren zugeben. Aber muss man, so höre ich förmlich die Fortsetzung, dieses Interesse einen öffentlichen Niederschlag finden? Aber meine Herren, würde ich dann sagen, genauso, wie jede Zahnarztgattin ihre Bilder im Kaffeehaus ihrer besten Freundin feilbietet, wie jede Feierabendband ab und zu auf dem lokalen Schützenfest aufspielt, so soll auch der Dilettant, der die Ereignisse seines Lebens nicht in der geadelten Form der Literatur feilbietet, sondern in der kleinen Münze der Unterhaltung, sich mitteilen können. Öffentlichkeit als demokratische, nicht pädagogische Struktur bedeutet eben auch, dass der Leser sich aussuchen kann, ob er Zeit und Aufmerksamkeit hier oder woanders verbringt.

Als bekennende Trivial- und Befindlichkeitsbloggerin freue ich mich über jeden einzelnen Leser, der mir, meinen Diäten, meinen Streifzügen durch Bars, Clubs und Bibliotheken oder meiner vergeblichen Suche nach dem Mann für´s Leben oder zumindest für den Sommer 2005 Interesse entgegenbringt. Ebenso, wie ich am Kaffeehaus Geschichten erzähle oder weitererzähle, möchte ich auch in diesem Blog unterhalten, wie ich in anderen Blogs unterhalten werde. Und es behaupte einer, ihm sei dieses Vergnügen an den Begebenheiten des Alltags fremd, das sich, nur gepuderter, vielleicht geschönt und sicher konfektioniert in jeder Fernsehserie findet und in jedem Roman nicht minder.

Wem es aber gefällt in meinem kleinen virtuellen Wohnzimmer auf der Bühne meiner Existenz - wer dazu noch das Rheinland bewohnt und am 4. September abends Zeit hat:

Der kann dem Herrn Bandini und mir zuhören kommen, wenn wir im Theaterkeller Neuss aus unseren Blogs lesen.

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In die anderen Leben hinüber

„Und?“, fragt der T., „Ein neuer Mann am Frühstückstisch?“, und bohrt seine Gabel in sein Stück Mohnkuchen. Ich erläutere das auf einem Missverhältnis von Angebot und Nachfrage beruhende erotische Vakuum, in das ich irgendwie geraten sein muss, und beklage ein bißchen die irritierende Tatsache, dass nette Herren meiner Umgebung noch nicht einmal versuchen, ein bißchen zudringlich zu werden. „Kann ich kaum glauben.“, sagt der T., und der O. nickt ein bißchen zerstreut und schaut der missmutigen Kellnerin zu, die halbherzig ein bißchen an der Espressomaschine herumwischt. „Danke, danke.“, sage ich, ein bißchen gereizt, obwohl der T. für die ganze Malaise eines nicht nur in dieser Beziehung völlig ereignislosen Sommers selbstverständlich nicht das geringste kann.

„Wenn sich bis Weihnachten keiner findet, finde ich dir die Telephonnummer vom S. heraus.“, wechselt der T. den Ton, und bricht in lautes, etwas schrilles Gelächter aus. Der S., so erklärt er dem O., der diese ziemlich lange zurückliegende Episode meines Lebens nicht mitbekommen hat, sei ein völlig indiskutables Geschöpf gewesen. Ein Studienversager zweifelhafter Herkunft und versehen mit dermaßen schiefen Zähnen, dass der T. habe gar nicht hinschauen können. Die liebe Modeste, so erläutert der T. weiter, habe in dieser Hinsicht ab und zu Anfälle einer nur schwer nachvollziehbaren Exzentrik.

Für einen kurzen Moment überlege ich, meine Teetasse einfach an die Wand zu feuern und das Café zu verlassen. „In den S. war ich mal mächtig verliebt.“, sage ich statt dessen mit aller Selbstbeherrschung, die ich besitze, und versuche, das Thema zu wechseln. „Hat der S. nicht sogar geheiratet?“, unterbricht der T. meinen Sermon über Venedig, und macht sich ein bißchen lustig über die Frau, die diesen lang verflossenen Exfreund geheiratet habe, und die keiner von uns jemals gesehen hat. Ob die Dame tatsächlich, wie man mir berichtet hat, der Profession einer Sachbearbeiterin in der Kommunalverwaltung nachgeht, oder ob der Begriff der Sachbearbeiterin lediglich als eine Art Gattungsbezeichnung verwendet wurde - Anlass für den bohrenden Spott des T. bietet die völlig unbekannte Frau offenbar genug, und ich unterbreche seinen Redefluss mit der Mitteilung, ich müsse jetzt weiterarbeiten und deswegen nach Hause.

„In deinen Memoiren kannst du den ja einfach streichen. Und den G. gleich dazu.“, schließt der T. die Ausführungen über meine missliebigen Exfreunde fröhlich ab, und zieht mit der Ermahnung, derartige faux-pas der Partnerwahl künftig zu vermeiden, seine Jacke über.

„Über den S. schreibe ich bestimmt noch einmal.“, sage ich, verabschiede mich und überlege zwischen Café und Wohnung, wie der S. eigentlich aussah, wie seine Stimme klang, und warum ich ihn einfach vergessen habe, am Ende, als ein anderer auftauchte, und der S. schlagartig aufhörte zu leuchten. Dass ich ihn nicht anrief, ihn an seinem Geburtstag mit ein paar Sätzen verabschiedete und ihn nicht in der Klinik besuchte, in der man ihn dann wieder auf die Beine zu stellen versuchte.

Dass ich kein Recht habe, mich über den T. zu ärgern, denke ich, in der offenen Wohnungstür. Dass der T., was auch immer er sagen wird, den S. nicht verletzen kann, so wie ich den S. verletzt haben muss. Dass die Verletzungen aus Gleichgültigkeit denen aus Boshaftigkeit vielleicht gleichstehen am Ende, und zu den Schulden, die ich dem Schicksal bezahlen werde irgendwann, auch diese Schuld gehört, leichten Herzens und leichter Hände, wie alle anderen auch.


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