Donnerstag, 10. August 2006

Die Enthaarung

Auch: Vom Glück, Metzger zu sein

Nun stellen Sie sich einfach einmal vor, Sie wären Metzger. Metzger, ganz recht. Jeden Tag stehen Sie auf, schleppen sich in den Schlachthof, und machen Kühe tot, weiden die Leichname aus und zerlegen sie in küchengerechte Teile. Auf einem Schemel in der Ecke des Schlachthofes aber liegt ihr Telephon. Dann ruft ein Bekannter an, Sie melden sich, und dann dröhnt es doch tatsächlich aus dem Hörer: „Hör mal zu, ich habe hier gerade so ein Problem, mein Hund ist so alt geworden, der macht’s eh nicht mehr lang - kannst du dich heute abend vielleicht einmal darum kümmern?“ - Korrigieren Sie mich, wenn Sie Metzger sind, aber ich wette: Das kommt eher selten vor im Leben der Metzger.

Auch als Sachbearbeiter im Rathaus verlangen wohl schwerlich Ihre Freunde, dass Sie Ihnen abends doch einmal schnell einen neuen Perso... also, wenn Sie einmal einen Moment Zeit hätten... – Aber kaum studieren Sie ein paar Jahre Jura, dann sitzen Sie nichtsahnend in Ihrem Büro, rechts und links klingeln Telephone, die Schriftstücke auf Ihrem Schreibtisch sind länger als die Frankfurter Anthologie, und wenn es einmal privat klingelt, dann möchte Sie niemand zu Braten und Knödeln einladen oder Ihnen einen Kuchen backen, nein, statt dessen meldet sich nur die A.

„Modeste!“, unterbricht Sie die A. in wirklich sehr schwerwiegenden Tätigkeiten und ihre Stimme überschlägt sich fast vor lauter Aufregung. „Modeste, hast du einen Moment Zeit?“ – „Ganz kurz!“, versuchen Sie, die Unterbrechung möglichst kurz zu halten, schauen auf die Uhr, und nicht eben kurz, aber mit außerordentlich hoher Frequenz an gesprochenen Worten pro Gesprächsminute erläutert die A. ein Problem, das wahrlich seinesgleichen sucht: Es geht um ihre Enthaarung.

Die meisten Leute, wie man weiß, enthaaren sich ja sozusagen auf eigene Faust, einige Leute sind sogar von Natur aus schon nicht so besonders haarig, die A. aber begab sich vor einigen Tagen in ein Geschäft, das der Enthaarung von Personen dient, die diese glücklicherweise heute allgemeinübliche Verrichtung durch bezahltes Personal ausführen lassen. Man legt sich also auf so eine Liege – hörst du mir auch zu, Modeste? – die Leute machen so Wachs auf die Haut – also so Wachs, na, weißt schon, Wachs eben, und dann ziehen sie das Wachs wieder ab.

Interessant, sage ich, schaue wieder auf die Uhr, und höre der A. zu. Als die A. fertig enthaart war jedenfalls, wurde sie eingeölt, legte sich auf eine andere Liege, wartete ab, bis das Öl eingezogen war und fuhr nach Hause. Daheim legte sie sich hin.

Als sie wieder erwachte, so gegen vier Uhr nachmittags, kribbelte ihre Haut. Verschlafen rieb sie sich erst die Augen und begann sich dann zu kratzen. Das Jucken jedoch ging nicht weg. Vor dem Spiegel überkam die A. ein gewaltiger Schreck: Wo vorher Haare waren, waren nun lauter kleine, rote Punkte, ganz gepunktet war die A., und so duschte sie, um die heiße, kribbelnde Haut zu kühlen, und beschloss dann, Schritte zu unternehmen, um sich das jedenfalls – gell, Modeste, da bezahlt man viel Geld, und dann sowas – nicht gefallen zu lassen.

„Du, ich muss jetzt mal wieder was tun.“, bellen Sie also etwas ungehalten in den Hörer, und versuchen, das Gespräch zu beenden. „Du bist doch Juristin...“, beharrt aber die A. - Sie dagegen denken an den Metzger und den Sachbearbeiter aus dem Rathaus, und dann werden Sie auch noch um ein Schreiben gebeten. Ganz kurz. Nur Geld zurück. Und Sie verstehen doch mehr davon, als....

Und dann legen Sie auf. Sie fühlen sich irgendwie verkannt, die Welt scheint irgendwie nicht ganz so zu sein, wie sie zu sein hat, wenn andere Leute sich für Geld enthaaren lassen, und Sie sollen sich darum kümmern, wenn diese Leute davon rote Punkte bekommen. Sie denken für noch einen Moment an den Metzger, und dann an die Beile und so, und dass es eigentlich ganz nett wäre... aber für so etwas haben Sie zum Glück keine Zeit.



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