Sonntag, 27. August 2006

Das Tiefkühlschwein

Berlin, liebe Leserinnen und Leser, bietet vielerlei Attraktionen, und von den Kroatischen Kulturtagen bis hin zu einem regen Vortragswesen, welches dem geneigten Besucher etwa die Zubereitung von Moorschnucken oder das Innere des kretischen Wohnhauses nahebringt, haben Besucher wie Einheimische vielfältige Möglichkeiten, ihre Freizeit ebenso interessant wie lehrreich zu verbringen. Sofern Sie in Berlin wohnen, haben auch Sie daher sicherlich einen eng gefüllten Terminkalender, indes möchte ich nicht versäumen, Ihnen eine Attraktion des an Sensationen reichen Bezirks Mitte besonders ans Herz zu legen.

Als ein regelmäßiger Besucher der Lesungen, welche das freundliche Fräulein Wortschnittchen und ich gelegentlich zu veranstalten pflegen, ist Ihnen das Café LassunsFreundebleiben natürlich ohnehin ein Begriff, und vielleicht kaufen auch Sie Ihre Lebensmittel regelmäßig dort um die Ecke im Kaisers Markt am Teutoburger Platz, den aufzusuchen ich Ihnen hiermit wärmstens empfehle.

Betreten Sie also den Markt, durchqueren die äußerst mittelmäßige Gemüseabteilung, streben entlang der Kühlregale dem hinteren Ende des Selbstbedienungsmarktes zu und bleiben vor der hintersten Tiefkühltruhe stehen. Hier können Sie gefrorene Enten kaufen, ganzjährig sind Teile von Hirschen und Gänsen erhältlich, Hühner aller Größen und Beschaffenheit warten auf den Geflügelfreund, und so stand auch ich letztlich vor dem Tiefkühlfleisch und erwog den Kauf eines Suppenhuhnes. Rechts von mir lagen also die Hühner. Links aber lag ein Schwein. Ein Ferkel, genau gesagt, etwa einen halben Meter lang, unzerteilt, wie Spanferkel zu sein pflegen, und mit Kräutern eingerieben.

Die Augen hatte man dem armen Tier entnommen, die Ohren lagen angelegt, und der Rüssel streckte sich dem oberen Rand der Tiefkühltruhe entgegen, als wolle das Schwein nach Luft schnappen. „Da liegt ein ganzes Schwein.“, sprach ich ein wenig irritiert zum geschätzten Gefährten, und strich mit der Hand über des Ferkels Flanke. „Spanferkel. € 153.“, stand auf dem Schild, das auf der Plastikumhüllung des Ferkels prangte, und für einen kurzen Moment, einen sehr kurzen Moment, überlegte ich, maß das Schwein von vorn bis hinten mit meinen Augen, um festzustellen, dass es sicherlich nicht in den häuslichen Backofen passen würde. Außerdem mag ich kein Schweinefleisch, was gleichfalls gegen den Kauf zu sprechen schien.

„Vielleicht grillen und Leute einladen?“, unterbrach der J. meine Überlegungen. „Willst du das essen?“, fragte ich, und versuchte, das Schwein anzuheben. „Ach was.“, wies der J. den Verzehr des Schweines zurück, und wandte sich ab. Das Schwein sah uns mit gefrorenem Blick hinterher auf dem Weg zum Käse.

„Das Schwein ist immer noch da!“, rief der J. mir selbigen Ortes eine Woche später zu, und berührte das tote Tier vorsichtig mit einem Fingernagel. "Tatsache!", sprach ich, und überlegte, welcher Art wohl der Kunde sein müsste, der dieses Tier kaufen und zubereiten würde.

Am Samstag drauf aber weilte ich fernab der Stadt, ging nicht einkaufen, und so kann ich nicht versprechen, dass sich das Schwein nach wie in der Tiefkühltruhe befindet, wenn Sie zum Teutoburger Platz fahren, um den wohl einzigen Supermarkt der ganzen Stadt aufzusuchen, der bewogen von Gott-weiß-welchen Überlegungen ganze Spanferkel ins Sortiment aufgenommen hat, was beinahe so erstaunlich ist, wie wenn jemand dieses Tier tatsächlich kaufen würde und brät.

Sollten Sie sich der Sache annehmen, schreiben Sie mir einfach eine Mail. Ich komme dann vorbei und werde Sie und das Schwein photographieren.



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