Journal :: 24.05.
Auf dem Weg zum Märchenbrunnen denke ich weiter über Siri Hustvedts Roman nach. Dass es stets riskant ist, wenn Autoren Kunstwerke etwas zu genau beschreiben, die ihre Protagonisten schaffen, fällt mir ein, ungefähr so, wie die wenigsten Schriftsteller ihren Geschöpfen einen Gefallen tun, wenn sie die Behauptung, jemand habe Humor, mit Beispielen unterlegen. Ist man nicht gerade Oscar Wilde (und wer ist schon Oscar Wilde?), dann geht das schief, und so belegen auch die seitenlangen Beschreibungen der Werke des Malers William Wechslers, der einen männlichen Hauptfigur von Was ich liebte, die Faszination nicht, die sie auf den Ich-Erzähler Leo Hertzberg ausüben.
Angenehm temperiert, filigran und doch glaubhaft wirken dagegen die Beziehungen der vier New Yorker untereinander: Das Ehepaar Erica und der Erzähler Leo, das in einer Art sorgsam gedrosseltem Glück miteinander lebt, bis das gemeinsame Kind bei einem Umfall stirbt. Das benachbarte, befreundete Paar William und Violet, der eine kühle, gläserne, erste Frau vorausging. Lucille. Das Altern beider Paare, die Beziehungen untereinander wie deren Veränderungen. Was Freundschaften sind, und vor allem: Was und worüber die Protagonisten arbeiten, denn tatsächlich irritiert mich an der deutschen Literatur der Gegenwart nicht selten, dass ihre Helden entweder gar nicht, oder irgendetwas sehr Seltsames tun, um ihre Miete zu zahlen. Etwas kupiert wirkt das nicht selten, denn das Leben der Menschen wird durch seine wirtschaftliche Seite ja meist nicht wenig geprägt. Zudem finden auch die großen Themen im Leben der Menschen zu einem ganz erheblichen Teil in beruflichem Kontext statt, und so empfinde ich es als angenehm, über die rund dreißig Jahre am Ende des letzten Jahrtausends, die der Roman umfasst, stets informiert zu bleiben, worüber die vier Hauptpersonen arbeiten und was sie denken. Insbesondere die psychohistorischen Arbeiten Violets nehmen so viel Gestalt an, dass ich sie gern gelesen hätte. Joachim Radkau fällt mir dazu ein, der vor circa zehn Jahren eine nicht unanfechtbare, aber lesenswerte Geschichte der Nervosität vorgelegt hat, die die pathologischen Auswirkungen des Vitalismuskultes im späten Kaiserreich und der Weimarer Republik in Beziehung zu den Reaktionen und Entwicklungen seiner Entscheidungsträger gesetzt hat.
Etwas künstlich wirkt der Themenwechsel im letzten Drittel des Buches. Der Todesfall des kleinen Jungen von Leo und Erica und die schmerzlichen, erstarrten Reaktion der Eltern hierauf wirken noch sehr gelungen dem Fluß des Lebens entnommen. Dann aber wendet sich Hustvedt dem Werdegang des Buben von Lucille und William zu, der spektakulär missrät, sich in den Raves der Neunziger verliert, Drogen nimmt, pathologisch lügt und schließlich im Umfeld eines ebenso verdorbenen wie lächerlichen Künstlers in einen Mordfall verwickelt wird. Das Motiv des Bösen, des seine Eltern verzehrenden Wechselbalgs wird hier etwas zu stark betont, so, als habe Hustvedt am Ende ihrer Geschichte noch einen stärkeren Akzent setzen wollen, dessen es nicht bedurft hätte, um eine gute Geschichte über das Leben zu erzählen, seine Abgründe und Verwerfungen, die Nähe zu Nacht und Nichts in unseren scheinbar sonnigen Straßen, und dass es sich trotzdem lohnt, sich zu lieben und zu befreunden, einander gut zu sein, auch wenn, was wir tun können, nichts hilft gegen das Chaos, die Zeit und die Dunkelheit, die - doch scheinbar nur - stets stärker sind als wir.
Siri Hustvedt
Was ich liebte
2003