Samstag, 21. April 2012

Ich weiß es nicht

Letzte Woche habe ich wieder eine getroffen: Eine meiner Mitschülerinnen mit besserem Abi als ich. Das ist nicht so besonders schwierig, das mit dem besseren Abi, denn ich war eine berüchtigte Katastrophenschülerin, eine Schwänzerkönigin und Langschläferin, und deswegen hat nahezu jeder ein Abi, das besser ist als meins.

Gebracht hat es den anderen Mädchen aber irgendwie nichts.

Ein Teil ist erst einmal eher so seiner inneren Berufung gefolgt. Die haben dann also Romanistik studiert, Psychologie oder evangelische Theologie. Da wurden unglaubliche Mengen an Herzblut in Magisterarbeiten gesteckt und nie über die Frage nachgedacht, was man eigentlich später mal so macht. Ich möchte schwören, Überlegungen wie die, keinen Chef zu haben und wirklich große Räder zu drehen, soviel zu verdienen, dass man eine Villa im Grunewald kaufen kann, oder einen Haufen Leute springen zu lassen, wenn man einmal laut hustet, spielten da keine Rolle, und heute haben die Mädchen von früher meistens ein paar Kinder und einen Halbtagsjob. Natürlich fachfremd. Der ist meistens schlecht bezahlt und in der Hackordnung der Firma, um die es geht, nicht so sonderlich angesehen, was bedeutet, dass man sehr selten machen kann, was man selbst will, und ziemlich oft machen muss, was andere Leute wollen.

Das Orchideenfach allein scheint an dieser Entwicklung allerdings unschuldig zu sein. Mein Gott, der Historiker J.2 reist als Unternehmensberater durch die Lande, der Historiker F. hat sich habilitiert. Der Theologe G. ist nach zwei Jahren als Vorstandsassistent in einem ziemlich großen Laden nun Herr einer ganzen Abteilung von Ingenieuren. Warum die Mädchen sich da einfach nie beworben haben? Ich weiß es nicht.

Ich weiß auch nicht, was mit den Juristinnen und Medizinerinnen los ist. Die hatten doch alle gute Examen. Ein Teil hat dann noch ganz ordentlich promoviert. Ein paar Jahre lang lief auch alles ganz gut. Aber dann traf man sich ein paar Jahre später, und der S. war Junior Partner einer Kanzlei, und die K. war immer noch Fußvolk. Der B. wurde Leiter einer Forschungsgruppe, und die F. forschte immer noch befristet für einen egomanen, alten Prof. Was in der Zwischenzeit schief gelaufen ist? Ich weiß es auch nicht. Ich kann es mir nicht einmal richtig vorstellen. Ich weiß nur das: Ich bin mit diesen Leuten jahrelang zur Schule gegangen. Ich wei0, sie sind ungefähr gleich intelligent und gleich belastbar. Wieso die Männer Karrieren machen und die Frauen nicht? Ich weiß es nicht.

Die meisten der Mädchen aus meiner Klasse haben Kinder. Meistens arbeiten sie vor dem ersten Kind ebenso viel wie die Väter dieser Kinder, und meistens ebenso qualifiziert. Oft verdienen sie etwas weniger, das liegt zum einen an dem üblichen Altersunterschied von drei, vier Jahren, der sich wegen der unterschiedlich langen Berufserfahrung dann oft in unterschiedlich hohen Gehältern niederschlägt. Zum anderen liegt es an der schlechten Bezahlung in vielen Jobs, die Frauen gern machen. Eine Museumspädagogin verdient halt weniger als ein Anwalt.

So arm, dass sie sich eine Aufteilung der Elternzeit partout nicht leisten können, sind die meisten Familien aber nicht. Trotzdem wird die Elternzeit nicht hälftig geteilt. Angeblich gibt es in jedem einzelnen von sehr, sehr vielen Fällen gute Gründe, warum er gerade jetzt nur die beiden Vätermonate nehmen kann. Manchmal gibt es angeblich die Unternehmenskultur nicht her. Oder er ist gerade befördert worden oder will befördert werden und wird, wenn er mehr nimmt, nie wieder befördert. Dann nimmt sie also zwölf Monate (bei jedem Kind), dann wird sie eben nie wieder befördert, und wenn sie befristet gearbeitet hat, läuft ihr Vertrag irgendwann aus. Das war es dann. Der nächste Job ist selten besser. Diese Entwicklung ist absehbar. Warum die Frauen trotzdem nicht auf einer Halbteilung beharen? Ich weiß es nicht.

Ich weiß, dass es viele Ansätze gibt, das Verhalten der Frauen zu erklären. Vielleicht hat es etwas mit gesellschaftlichen Leitbildern zu tun, die man ändern sollte. Oder es beruht auf individuellen Schwerpunktsetzungen, gegen die man wenig sagen kann, weil schließlich jeder selbst wissen muss, was er mit seinem Leben anstellt. Letztlich weiß ich nicht, wieso Frauen entscheiden, wie sie es tun. Was ich aber weiß: Fast alle dieser Entscheidungen von Frauen gegen Macht, Geld und gute Jobs führen zu schlechteren Arbeitsbedingungen, als man sie haben könnte, zu wirtschaftlicher Abhängigkeit von einem Partner und zu weniger Freiheit, eigene Ideen umzusetzen und zu tun, was und wie es einem beliebt. Für mich wäre das nichts. Ob für die anderen? Ich weiß es nicht.



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