Die Wahrheit über das Ende der Ehe von Onkel A.

Wie es sich gehört, weiß die Familienfama alles über das Ende der Ehen meines Onkels A., und insbesondere das Ende seiner 2. Ehe gehört zu denjenigen Erzählungen, die den ehrwürdigen Schatz der Familiengeschichte seit vielen Jahren bereichern. Zwar behauptet, dies soll nicht verschwiegen werden, die Hauptperson hartnäckig, alles sei ganz anders gewesen, befindet sich mit dieser Ansicht jedoch in einer extremen Minderheitsposition.

Keinesfalls sei er, beharrt der Onkel A., an jenem besagten Abend offenbar unerwartet nach Hause gekommen und habe geklingelt. Wieso er auch habe schellen sollen, fragt der Onkel A., denn selbstverständlich trage er, wie jeder normale Mensch, einen Haustürschlüssel bei sich. Zur Bekräftigung pflegt der Onkel A. an dieser Stelle seinen Schlüssel aus der Tasche zu ziehen und einmal kräftig mit ihm zu rasseln. Die familiäre Version, so behauptet es der Onkel, sei schon aus diesem Grunde vollkommen unplausibel und ohnehin völlig falsch.

Dies jedoch überzeugt die Familie nicht. Vielmehr, so erscheint es anderen Verwandten wahrscheinlich, trage der Onkel A. überhaupt erst seit diesem Abend seinen Schlüssel stetig mit sich, denn schließlich kenne man den Onkel als einen nachlässigen, nachgerade schlampert zu nennenden Herrn, der, wie man so sagt, seinen Kopf vergäße, wäre er nicht verlässlich am oberen Ende des Halses angewachsen.

Dass der Onkel A. seinen Schlüssel bei sich gehabt hätte, hat er – so weiß es der familiäre Volksmund genau – also nachträglich erfunden, wieso auch immer, und so sehen wir den Onkel A., mag er auch protestieren, an einem Sommerabend vor ziemlich vielen Jahren um die Ecke biegen, seinen Wagen parken und über das kurze Rasenstück zwischen Garage und Haus spazieren. Über dem Arm, denn ist warm, trägt der Onkel sein Sakko, in seiner linken Hand schwenkt er eine Aktentasche, und mit der rechten Hand, mit dem rechten Zeigefinger, um genau zu sein, drückt er einmal kräftig auf die Klingel.

Ein paar Minuten lang passiert nichts. Schließlich aber öffnet sich die Tür, und im schattigen Korridor, barfuß auf den braunen Fliesen des onkeleigenen Erdgeschosses, steht ein völlig fremder Mensch und schaut den Onkel an. „Was kann ich für sie tun?“, fragt der unbekannte, unsympathisch muskulöse Mann den Onkel. Dem Onkel verschlug es die Sprache.

Er wohne hier, sagt man, habe der Onkel geantwortet. „Ach so.“, habe man ihm die Tür auf diese Auskunft hin geöffnet, und verdattert standen sich der Onkel und der Hockeytrainer seines Sohnes im Flur gegenüber. „Wer ist denn da?“, habe die Frau des Onkels den Trainer gefragt, und sei mit aller gebotenen Nervosität einer auf frischer Tat ertappten Person herbeigeeilt gekommen, als der Trainer ihr den Sachverhalt mit kurzen Worten erläutert habe.

Dem Onkel, so sagt man, sei die Wahrheit über Frau und Trainer quasi wie ein Holzhammer auf den Kopf gefallen. Stehenden Fußes habe er kehrt gemacht, sei ins Auto gestiegen und zurück ins Büro gefahren, und sei sodann eine ganze Nacht zwischen Schreibtisch und Aktenschrank auf- und abgewandert. Einige Diskussionen mit seiner Frau später habe man sich auf einen vorerst getrennten Hausstand geeinigt, Monate später erkannt, dass der getrennte Hausstand als allseits angenehmer empfunden wurde als das Zusammenleben, und habe noch etwas später die Scheidung beantragt und erhalten.

Obkel A. indes, dies sei angemerkt, bestreitet diesen Geschehensverlauf. Niemals, so behauptet der Onkel und schüttelt empört den Kopf, habe er in seinem Hause den Hockeytrainer angetroffen. Niemals auch habe er eine Nacht im Büro verbracht, und diese wie auch alle seine weiteren Scheidungen seien vollkommen unspektakulär verlaufen, zu unspektakulär offenbar für seine sensationslüsterne Familie, die sich etwas zusammengesponnen habe, wo gar nichts sei.

Dies aber, so weiß man mit überwältigender Mehrheit, ist gar nicht wahr.

denschie - 19. Mai. 2007, 12:26 Uhr

Des einen Freud ...

des andern Leid, nicht wahr?

Deine Geschichte über Onkel A. gefällt mir, sie ist amüsant geschrieben. Als ich allerdings noch mal zum Anfang zurück ging und las, dass die "Enden aller seiner Ehen" in der Familie diskutiert würden, tat er mir doch ein bisschen leid. Anscheinend sind ihm nicht das erste Mal Hörner aufgesetzt worden. Oje, ich hoffe, dass er auch mal auf seine Kosten gekommen ist :)

LG, denschie
Die junge Dame - 19. Mai. 2007, 15:40 Uhr

Frau Modeste, Sie sind einfach eine Meisterin der indirekten Rede!
Sherry Mary - 19. Mai. 2007, 16:41 Uhr

Liebe Frau Modeste,

ihr Schreibstil ist einfach köstlich, das wollte ich mal loswerden. Die neue Geschichte ist dann wohl, das, was man schon immer über den Hintergrund von "Was soll das" wissen wollte ... ja, ja so kann's gehen :-)

Cherry Mary
Jings - 26. Mai. 2007, 22:20 Uhr

Auch mehrfach geschieden finde ich die Geschichte amüsant. Ja, genau so läuft das im Kreise der Verwandten. Sie meinen etwas zu wissen, aber halt nichts genaues. Und meinen dann, das verbreiten zu müssen. Da lache ich nur.

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