Blick zurück

Wie immer angelehnt ans Wortschnittchen:

Zugenommen oder abgenommen? Zu. Ich habe 2009 zehn Kilo abgenommen, 2010 wieder vier Kilo zu, und unterschreite 2011 dann hoffentlich wieder die magische 60-Kilo-Grenze. Bei realistischer Betrachtung ist es vermutlich egal, was eine Frau in meinem Alter wiegt, aber es wäre ganz schön, diesen Sommer nicht den ganzen Tag den Bauch einzuziehen.

Haare länger oder kürzer? Lang. Länger als in den letzten Jahren. Derzeit ein wenig zu lang, aber ich will lang tragen, solange es noch geht und ich mit langen Haaren nicht aussehe wie eine anthroposophische Yogalehrerin aus Kreuzberg, der auch mit siebzig die dünnen Zotteln noch bis auf die Hüften hängen. Ab und zu stehe ich morgens vor dem Spiegel und schaue mich kritisch an, ob es noch passt. Gebe Gott, dass dem noch einige Jahre so sei, denn meine Haare gehören zu den wenigen Körperteilen, die ich ziemlich uneingeschränkt mag, und wer etwas Nettes über meine Haare sagt, ist absolut mein Freund.

Mehr Kohle oder weniger? Mehr.

Mehr ausgegeben oder weniger? Mehr.

Der hirnrissigste Plan? Oh. Mir fällt nichts ein. Das ist kein gutes Zeichen: Ich werde so erwachsen, ich denke meistens erst an alles, was schief gehen kann, und dann lasse ich irgendwelche Wahnsinnspläne im Projektstadium verecken.

Die gefährlichste Unternehmung? Gefährlich? Nicht mit mir. Was da alles passieren kann!

Mehr Sport oder weniger? Nichts. Ich fahre ein bißchen Rad. Insgesamt habe ich weniger Kondition als ein Grabstein.

Die teuerste Anschaffung? Ich habe 2010 tatsächlich gemeinsam mit dem J. eine Wohnung gekauft. Wir haben ungefähr hundert Wohnungen angesehen, einen Kaufvertrag platzen lassen, mit Maklern, Banken und miteinander verhandelt, bis die Schwarte kracht, um dann schließlich im Sommer einzuziehen.

Prenzlauer Berg ist es geblieben. Vier Zimmer im Altbau. Nicht gerade eine Villa am Wannsee, aber genug Raum für uns und unsere mehr als sieben Sachen. Ich habe mich in die Wohnng verliebt, als ich das erste Mal im Flur stand: Schöne, 3,70 m hohe Decken, Stuck, Parkett, alte Flügeltüren, eine Loggia mit einem Baum davor, durch den im Sommer smaragdgrünes Licht fällt und in dem Vögel singen. Einen Erker gibt es und eine ganz, ganz große Küche. Keine hundert Meter bis zum Park. Irgendwann im Sommer saßen wir dann beim Notar, und ich kam mir beim Unterschreiben vor wie ein kleines Mädchen, das mit den Pumps und Taschen seiner Mama "erwachsen" spielt.

Das leckerste Essen? Vieles gut, wenig Sensationen. Sehr gut und sehr verspielt gegessen im Rutz letzte Woche, vier Gänge von der Etouffe Ente als Auftakt einer der lustigsten Nächte des Jahres in der King Size Bar. Dann das Donald-Russell-Entrecôte im Filetstück. Das Bistecca Fiorentina vom Chiannina-Rind im Francuccis mit Trüffelpuree und Spinat. Wie immer sehr gern und sehr gut im Paris Moskau. Viele gute Abende im Pappa e Ciccia, in der Kimchi Princess in Kreuzberg, im Jolesch und im Sasaya, aber nichts ganz Neues, ganz Besonderes.

Vielleicht ist das ein Projekt für das nächste Jahr: Ich will schon seit zehn Jahren ins Margaux. Damals hatte mir eine sehr blonde, sehr hübsche Kollegin im Referendariat von den Restaurants erzählte, in die ihr Freund sie führte. Das Vau war dabei, das First Floor. Ich scheue ja aus schierem Geiz nach wie vor die Königsklasse der Berliner Restaurants, aber damals lagen diese Läden dermaßen absolut außerhalb meiner Reichweite, ich hätte mich nur einladen lassen können. Irgendwie kam das aber niemandem in den Sinn. Ich habe damals gar nicht so wenig darüber nachgedacht, wieso andere Frauen immer schöner ausgeführt wurden als ich; das Ergebnis dieser Überlegungen war alles in allem stets eher deprimierend, aber sei's drum: Ich werde 2011 im Margaux einen Tisch auf "Modeste" reservieren, lade mich selbst zum Essen ein, nehme mir zur Gesellschaft den J. mit und rede mir ein, so sei das eigentlich noch viel besser.

Das beeindruckendste Buch? Hm. Viel fällt mir da nicht ein. Ich mochte Mosebachs Was davor geschah. William Boyd, der war bisher an mir vorbeigegangen. Das neue Buch vom Stuckrad-Barre war nett, charmant auch das Weiße Buch von Rafael Horzon. Ansonsten viel 19. Jahrhundert, viel Alte Geschichte, zunehmend weniger Gegenwart.

Das enttäuschendste Buch? Ich habe diese Polemik von Herrn Sarrazin über den Untergang Deutschlands wegen der Dummheit türkischer Gemüsehändler nicht gelesen, enttäuscht hat mich damit naturgemäß nicht das Buch. Enttäuscht haben mich aber die Deutschen, zumindest derjenige Teil dieser doch an sich recht angenehmen Leute, die im Internet in Kommentarforen geifern. Ich hatte die Deutschen bis zum letzten Jahr für weltoffener gehalten, für humorvoller und für gelassener. Dieser Mischung aus schrillem Alarmismus und verdruckster Fremdenfeindlichkeit stehe ich sprach- und verständnislos gegenüber.

Der ergreifendste Film? Hm. Moon mochte ich gern, dieser Ein-Personen.Science-Fiction, obwohl das an sich nicht mein Genre ist. Up In The Air und Somewhere, diese beiden Zeitgemälde über die Einsamkeit und die Vergeblichkeit aller Erfolge.

Der ergreifendste Kinoabend aber hatte nichts mit dem Film zu tun, der gezeigt wurde. Es war noch kalt, Berlinale. Schlingensief saß vor der Leinwand, auf der sein Film über sein letztes Projekt, dieses afrikanische Operndorf, lief und sah aus, wie einer, der sich in Luft auflöst, und alle, die da saßen, dachten an den Skandal, den der Tod bedeutet, wenn er jemanden wegnimmt, der noch nicht fertig ist wie ein halb vollendetes, stehen gelassenes Haus.

Das beste Konzert? Andreas Scholl im Berghain.

Die meiste Zeit verbracht mit…? Kollegen.

Die schönste Zeit verbracht mit… ? Dem geschätzten Gefährten.

Vorherrschendes Gefühl 2010? Passt schon.

2010 zum ersten Mal getan? Eine Immobilie gekauft. Einen Kreditvertrag abgeschlossen. Einen Notartermin vereinbart. Mit einem Umzugsunternehmen umgezogen.

2010 nach langer Zeit wieder getan? Demonstriert. Am 18. September gegen den Ausstieg aus dem Ausstieg.

3 Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen? Den Tod meiner Katze Tilly. Die homöopathische Behandlung im Vorfeld ihres Ablebens. Die Einzeleinäscherung mit Ascherückführung der toten Katze, die ich nicht bestellt habe und auch nicht bezahlen werde.

Der folgenreichste Satz, den jemand zu mir gesagt hat? "Sie können sich die Wohnung am Samstag anschauen."

Der folgenreichste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe? "Wir würden die Wohnung gern nehmen."

2010 war mit 1 Wort…? Vollbefriedigend

kaltmamsell - 1. Jan. 2011, 17:17 Uhr

Großen Glückwunsch zur Wohnung - ich fürchte, den habe ich noch gar nicht ausgesprochen. Ich bin nicht minder sprachlos darüber, dass Menschen, die ich in Echt kenne, in Echt Wohnungen kaufen. (Dabei kenne ich schon seit ein paar Jahren echte Leute - im Gegensatz zu entfernten Leuten oder Leuten, von denen ich nur höre oder lese -, die sich sogar ein Haus gekauft haben. Und dennoch echte Leute geblieben sind.) Sogar in zweiter Reihe komme ich mir wie beim Erwachsenspielen vor.
Modeste - 1. Jan. 2011, 18:54 Uhr

Plötzlich erwachsen

Man ist ja ganz generell deutlich langsamer als der eigene Alterungsprozess. Ich bin beispielsweise so rein mental immer noch Berufsanfängerin. Wenn Freundinnen ihre Schwangerschaft verkünden, wundere mich ein bißchen. Die ist auch schon schwanger, denke ich dann, dabei ist die Schwangere 36 oder 40. Ich frage mich, ob sich das irgendwann mal gibt.
arboretum - 1. Jan. 2011, 20:08 Uhr

aber ich will lang tragen, solange es noch geht und ich mit langen Haaren nicht aussehe wie eine anthroposophische Yogalehrerin aus Kreuzberg, der auch mit siebzig die dünnen Zotteln noch bis auf die Hüften hängen.

Unterstehen Sie sich aber, sich dann einen dieser HerrenKurzhaarschnitte zuzulegen, die bei Damen fortgeschrittenen Alters so beliebt sind.

Ich wünsche Ihnen ein glückliches neues Jahr!
Modeste - 3. Jan. 2011, 1:06 Uhr

Ihnen auch! Und so einen Kurzhaarschnitt, nein, den will ich nicht haben. Ich habe aber ohnehin keine rechte Vorstellung von mir als älterer Dame. Man wird das sehen, aber es gibt leider wenig gute role models, an denen man sich orientieren kann.
flying turtle - 2. Jan. 2011, 18:44 Uhr

Das klingt doch allemal gut. Damit es so bleibt:

Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute und viel Erfolg für das Neue Jahr. Vor allem aber Gesundheit und Ruhe für alles, was da kommen wird.
Modeste - 3. Jan. 2011, 1:06 Uhr

Ihnen auch, Ihnen auch!
g a g a - 3. Jan. 2011, 12:39 Uhr

Die Wohnung, die Wohnung...!
Aber die Haare, die Haare!

Nur ihre Augen glänzen noch mehr, als das pantherschwarze Haar von Modeste!
Modeste - 12. Jan. 2011, 0:09 Uhr

Danke, liebe Frau Gaga! Das freut mich sehr.

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