Etwas schief (12.12.2009)

Es ist anstrengend. Ich lächele, ich trinke Wein, ich versuche, möglichst den richtigen Ton zu treffen, nicht zu ernsthaft, aber auch nicht zu leger, und meistens schweige ich einfach, weil das - das habe ich gelernt - meistens richtig ist und selten falsch.

Um mich herum bricht so eine Art demonstrative Partyekstase aus, es wird getanzt, und auf der Tanzfläche kann man ziemlich gut sehen, wer seine Jugend auf den Raves der Neunziger verbracht hat, wer in den Clubs mit den krachenden Gitarren, und wer auf den Verbindungsbällen einmal mächtig viel Spaß gehabt haben muss.

Es wird gar nicht wenig paargetanzt. Zumindest die Einfachversion des Paartanzes, die ich als Knotentanz kenne, aber nicht genau weiß, ob er wirklich so heißt, kann hier fast jeder, oder zumindest die Hälfte oder so, und nach und nach werden die Frauen auf die Tanzfläche geholt. Mich aber holt keiner und für ein paar Minuten bin ich wieder 13, mit dicker Brille, einem lächerlichen Eigensinn und etwas skurrilen Neigungen, die keiner teilt. Irgendwo zwischen Schlüsselbein und Magen regt sich ein alter Trotz, den ich meistens verlache, weil es nichts bringt, etwas sein zu wollen, was man nicht ist: Ich sehe an guten Tagen ganz ordentlich aus, aber attraktiv, attraktiv bin ich nicht.

Irgendwann später fahre ich heim. Es ist kalt auf der Frankfurter Allee. Der Winterhimmel liegt wie ein schwarzer Stein auf der Stadt, und ich trete schneller in die Pedale, um endlich zu Hause zu sein.

Ich bin etwas schief in die Welt gestellt
, fällt mir ein Zitat ein, das vielleicht ein bißchen anders lautet, und dann gehe ich zu Bett. Der J. ist in Franken, ich bin allein, und nur die Katzen drängen sich zu mir, wie sie sich zu jedem drängen würden, der Katzenfutter austeilen kann und Katzen streichelt.

elke66 - 13. Dez. 2009, 12:44 Uhr

oha, das klingt niedergeschlagen...
Modeste - 14. Dez. 2009, 0:44 Uhr

Ich vertrage den Winter nicht und nicht dieses elende, endlose, ärgerliche Jahr.
Not quite like Beethoven - 13. Dez. 2009, 13:44 Uhr

Solche Tage kenn ich. Die kommen. Und gehen zum Glück auch wieder...
Modeste - 14. Dez. 2009, 0:44 Uhr

Sicher.
Spritkopf - 13. Dez. 2009, 16:15 Uhr

Warum nur ist es den Frauen so zu eigen, sich immer wieder am Schönheitsideal der Hochglanzmagazine zu messen? Selbst die, die das für sich in Abrede stellen, die nichts mit den gemake-upten und wimperngetuschten Püppchen vom Titelbild zu tun haben wollen, auch sie fragen sich, ob sie attraktiv genug sind und beweisen damit, daß auch sie sich von den albernen Wertemaßstäben der Modefotografen beeinflussen lassen. Dann schauen sie in den Spiegel, bemäkeln die zu vielen Pfunde um die Hüften herum, da ist der Mund zu groß und die Augen sind nicht von strahlendem Blau wie bei den Protagonistinnen in den Julia-Romanen, sondern bläßlich und nichtssagend und womöglich noch mit einer Brille verziert.

Alles Kokolores. Zeigt Euch, wie Ihr seid und erlaubt es dem Mann, Euch als Mensch kennenzulernen. Und dazu gehört: MIT IHM SPRECHEN. Wenn er Euch mag, wird er Euch auch schönfinden. Jede Frau ist attraktiv. Wenn sie es nur will!
Modeste - 14. Dez. 2009, 0:48 Uhr

Gegenrede

Nein, Herr Spritkopf: Was Sie sagen, hört sich schön an, aber es ist nicht wahr. Es ist nicht jede Frau schön, und dieselben Worte aus dem Munde einer schönen Frau erreichen einen Mann anders, als wenn sie eine unscheinbare Frau äußert, und bei allen vermeintlichen Tröstungen und Rationalisierungen bleibt es am Ende doch dabei, dass die Schönheit der Liebe nicht selten erst einmal den richtigen Anschub gibt, sich zusammenzufinden.
blogger.de:energist - 14. Dez. 2009, 12:47 Uhr

Fürrede

Werte Frau Modeste,

möglicherweise verwechseln Sie da etwas: niemand wird bestreiten können, daß der erste Eindruck den man von einem Menschen hat, sich hauptsächlich auf Äußerlichkeiten stützt. Selbstverständlich wird eine Frau, die ich ob ihrer Schönheit als Photographie in meine Wohnung hängen würde, zuerst ihre Aufmerksamkeit auf mich ziehen.

Sie täten uns Männern jedoch Unrecht, wenn Sie unser Interesse an Frauen auf dies reduzierten (auch wenn es für den ein oder anderen zutreffen mag). Nichts vergeht so schnell wie die Begeisterung für Schönheit, wenn sie nicht von anderen Vorzügen getragen werden kann.

Das was Herr Spritkopf äußert hingegen ist wahr: wenn man einen Menschen kennenlernt und dieser in der Lage ist, mit Esprit, Intelligenz und generell Charakter Interesse zu wecken (und das unterstelle ich Ihnen frecherweise), so ändert sich der Blick. Bildlich gesprochen legen sich die Wesens- über die Gesichtszüge zu einem viel schärferen Bild der Person. Und so kann (nicht muß, es gibt auch in jeder Hinsicht unattraktive Menschen) eine auf den ersten Blick nicht auffällige Dame durchaus wunderschön sein.

Ich könnte diese Thesen nun mit einer Reihe von Erfahrungen untermauern, dies würde jedoch den Rahmen deutlich sprengen. Stattdessen bitte ich Sie einfach, mir zu glauben und wünsche Ihnen eine angenehme Mittagspause.

Ihr


energist
arboretum - 14. Dez. 2009, 14:52 Uhr

Madame Modeste ist alles andere als unauffällig und obendrein attraktiv. Vor einigen Jahren gab es einmal an anderer Stelle ein paar Fotos von ihr zu sehen, die für einige Aufregung, speziell bei ihren männlichen Lesern, sorgten. Da kochten mitunter die Hormone über.

Im realen Leben trauen sich Männer oft weniger. Mag sein, dass Madame mitunter etwas unnahbar wirkt, das vermag ich nicht zu beurteilen, ich habe sie nicht so erlebt. An ihrem Beruf liegt es nicht, aber vielleicht an ihren Kollegen. Das scheinen ja ganz schöne Stoffel zu sein, wenn die den ganzen Abend nicht einmal auf die Idee kommen, sie zum Tanz aufzufordern.
Modeste - 20. Dez. 2009, 22:11 Uhr

Irgendwo, Herr Energist, habe ich einmal gelesen, es gebe eigentlich nur zwei Kriterien: Aussehen (bei Frauen) und Geld (bei Männern). Ich kennen keinen schlagenden Gegenbeweis.
Spritkopf - 20. Dez. 2009, 23:17 Uhr

Frau Modeste, dann frage ich provokant, welche Werte des Mannes für Sie die wichtigsten sind, die des Charakters oder die in der Brieftasche? Erstere? Da haben Sie Ihren Gegenbeweis. Aus allererster Hand sozusagen.
erphschwester - 13. Dez. 2009, 19:58 Uhr

oh,

liebe frau modeste, wie gern würde ich ihnen helfen, wo keiner helfen kann. diese missbefindlichkeiten sind in uns und da können andere reden, was sie wollen. aber eben höre ich "shake your groove..."-dingens und da fällt mir das ein:
http://www.bookrix.de/_title-de-erphschwester-weg

es kommt immer darauf ein, wo man gerade steht.
Modeste - 14. Dez. 2009, 0:49 Uhr

Ja. Aber unerfreulich bleibt es doch.
kid37 - 13. Dez. 2009, 20:27 Uhr

Toll. Haben Sie jemanden gegenüber behauptet, Sie hätten eine Wassermelone getragen? (Um mal ein anderes Zitat zu bemühen.) Das ist doch der Klassiker. (Und was soll das heißen, Sie holte keiner? War das in einem Blindencafé?)
Modeste - 14. Dez. 2009, 0:51 Uhr

Ich bin von 18.00 Uhr bis 3.00 Uhr morgens nicht einmal aufgefordert worden. Weihnachtsfeiern sind, scheint's, nicht so mein Ding.
unellen - 14. Dez. 2009, 9:04 Uhr

Liebe Modeste,
ich lese vergnügt schon länger im Stillen mit, muss mich jetzt aber mal zu Wort melden: Was ist denn mit der Emanzipation? Ist es immer noch so unmöglich, als Frau hinzugehen und einen Herrn zum Tanzen aufzufordern? Das wäre meine Strategie gewesen... (ich hätte sowieso keine Lust, als Frau "auf die Tanzfläche geholt" zu werden). Oder ich hätte mich einfach alleine auf die Tanzfläche gestellt und nicht paarknotengetanzt, sondern halt alleine.

im Übrigen sollten Sie vom nicht-Aufgefordertwerden nicht auf Ihre Attraktivität schließen. Es gibt nämlich zu einen Menschen, die trotz Attraktivität nicht aufgefordert werden weil man/frau Angst hat, einen Korb zu bekommen, und es gibt Menschen, die nicht aufgefordert werden weil sie entweder so aussehen, als würden sie auf nichts anderes warten oder als hielten sie den ganzen Spaß für unter ihrem Niveau.

Von dem was sie am Anfang schrieben kann ich mir vorstellen, dass sie auf der Feier eher wie eine Person wirkten, die sich nicht wohl fühlt. Das kann schnell wirken wie ein "Lass-mich-in-Ruhe".

.....

Aber das alles wissen Sie vermutlich auch selber (klug, wie Sie sind. Klugsein ist übrigens viel wichtiger als Attraktiv-Sein!), ich hoffe jedenfalls sehr dass Sie sich inzwischen wieder besser fühlen :-).
Modeste - 20. Dez. 2009, 22:08 Uhr

Tatsächlich geht es mir wieder besser. So eine Misstimmung hält ja zum Glück immer nur wenige Tage an, bis man sich wieder erfolgreich eingeredet hat, dass es egal sei, ob man gefällt.

Selbst Auffordern würde ich aber nie: Es ging mir ja auch nicht so sehr ums Tanzen, zudem wäre meine Angst vor Lächerlichkeit zu groß. Ich bin ein Hasenfuß, in dieser Beziehung.
flying turtle - 15. Dez. 2009, 8:54 Uhr

Dies Phänomen ist mir auch geläufig.
Vielleicht ist es der doch insgeheime Frust, die Traurigkeit darüber, als unscheinbare Frau nicht wirklich wahrgenommen zu werden, der im Laufe der Zeit das Bild der Unnahbaren auszustrahlen scheint.
Nun, vielleicht kommt in Ihrem Fall noch der Beruf dazu. Das vermag ich nicht zu beurteilen.
Ich kann leider nicht mit einer großartigen Karriere, einem tollen Job, Akzeptanz in eben solchen aufwarten - das macht es dann noch weniger einfach.
So bleibt man immer ein klein wenig graue Maus, unscheinbar und unnahbar.
Aber manchmal gibt es dann diese Tage, an denen merke ich, dass ich anders ticke, Tage, an denen ich ganz groß bin und irgendwie von innen strahle (klingt ja furchtbar Eso-like). Und dann werde ich auch anders wahrgenommen, geht man anders auf mich zu.
Das kenne Sie sicher auch. Evtl. kann man das üben?

Ob das für eine Tanzaufforderung reichen würde - ich weiß es nicht. ;)
Modeste - 20. Dez. 2009, 22:08 Uhr

Ob man Strahlen üben kann, frage ich mich auch manchmal. Ich weiß es nicht, bisweilen denke ich ja.

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