Nur in Demut ihn betrachten.

Ach, sagt sie, auf ihn angesprochen. Den kenne sie natürlich. Dann lacht sie, schüttelt den Kopf und trinkt noch etwas Wein.

Zusammen mit ihm studiert hätte sie, gemeinsam erst mehr zufällig in der Einführungsveranstaltung gesessen, damals im Wintersemester 1994/95. Mit einer Menge anderer Leute seien sie später in die Mensa gegangen, und als sich Freundeskreise bildeten, sei sie Teil eines Kreises geworden, dem auch er, wenn auch eher lose, verbunden war. Mehr oder weniger täglich hätten sie sich gesehen, meist an der Uni, auf Parties oder irgendwo in den WGs von Freunden, abends ins Bars, und ein paar Mal waren sie zusammen Ski fahren in den Alpen.

Sie hätte sich nie als eine Freundin von ihm bezeichnet. Sie war auch nie allein bei ihm in der Wohnung, die er mit einer Katze und seiner älteren Schwester bewohnte, die wegen irgendwelcher Auslandsprojekte eigentlich nie da war.

Dass sie in ihn verliebt war, erzählte sie keinem. Es hätte auch keinen Sinn gehabt, sagt sie heute. Sie sei schon auf den ersten Blick erkennbar keine Partnerin für ihn gewesen. Sie war ein wenig unhübsch, behauptet sie, dicklich und mit Brille. Schlecht angezogen sei sie gewesen, ein wenig unbeholfen, immer im falschen Moment zu ernst oder zu albern, und dass es nichts werden würde mit ihr und einem blonden, sportlichen, beliebten Mann, der mit der halben Republik verwandt und mit der anderen Hälfte befreundet war, war von Anfang an klar.

Nur wegen ihm habe auch sie ein Jahr an einer amerikanischen Uni verbracht. Sie brauchte ein Stipendium, dafür musste sie gut sein, aber irgendwie ging es sich so aus, und sie verbrachte sie auch dieses Jahr in seiner Nähe. Er hatte da schon irgendwelche Freunde, sein Vater kannte da irgendwen, deswegen war er sofort unter Leuten und auch das Ausland brachte ihn ihr nicht näher. Sie habe das nicht enttäuscht, sagt sie. Sie habe das nicht anders erwartet.

Er hatte immer Freundinnen, sagt sie, und ich kann es mir vorstellen. Seine Freundinnen waren alle hübsch, ungefähr so wie die junge Jil Sander hübsch war, von dieser sehr, sehr gepflegten Sorte Frau, die ihr und auch mir immer noch Komplexe bereiten. Diese Frauen scheinen dazu geboren, es irgendwie leichter im Leben zu haben, und so sei es ihr eigentlich selbstverständlich gewesen, dass diese Frauen etwas mit ihm hatten und nicht sie. So eine Frau habe er dann ja auch geheiratet.

Ihr Leben habe sich damals mehr um ihn gedreht als um ihr Studium, ihre Freunde und ihre Familie, erzählt sie und dreht ein wenig verlegen an einem Ring. Sie habe etwa Buch geführt über jedes gewechselte Wort, mit ihr wie mit anderen. Was er anhatte. Was sie über ihn erfuhr. Das Nichtigste, nichts war ihr zu unwichtig, nichts, was er sagte oder tat, war ihr gleichgültig. Sie pflegte diese Passion wie man ein Hobby pflegt, wie manche Käfer sammeln oder Bilder malen, sie verzehrte sich Nacht für Nacht und ließ sich nie das Geringste anmerken.

Nach dem Studium trennten sich ihre Wege. Er ging nach München, sie nach Berlin. Beide promovierten im Völkerrecht. Seit ein paar Jahren ist er bei einer Internationalen Organisation. Sie arbeitet für die EU. Ab und zu treffe sie ihn auf Konferenzen, einmal habe sie ihn am JFK gesehen. Er hat zwei Kinder, hat sie gehört. Sie hat keine, aber einen halbwegs festen Freund. Vielleicht wird sie diesen Freund heiraten in den nächsten Jahren. Sie liebe ihren Freund, wie man so sagt, fügt sie hinzu, als wolle sie jeden potentiellen Zweifel daran zerstreuen.

Niemals aber, betont sie, sei sie wieder so verliebt gewesen wie damals als Studentin in ihn. Über nichts, was später kam, sei es Beruf, Beziehung, was auch immer, habe sie so nachgedacht. Kein Mann, mit dem sie wirklich zusammen war, habe sie auch nur halb so erfüllt und beschäftigt, und bis heute könne sie nicht für sich garantieren, riefe er an.

luckystrike - 10. Apr. 2011, 19:36 Uhr

Puh!

Und ich hab bis zum letzten Satz die Luft angehalten - es würde doch nicht eine intime Kennerin von Deutschland aristokratischstem Plagiatoren werden?
Modeste - 10. Apr. 2011, 21:36 Uhr

Nein, nein - dieser Mann, von dem der Text handelt, hat im Gegensatz zu jenem zwei Staatsexamen und eine meines Wissens redlich zusammengestrampelte Diss.
arboretum - 11. Apr. 2011, 15:03 Uhr

Jener Plagiator ist doch nicht blond, Herr Lucky, sondern nur blöd. :-)
chriseff - 10. Apr. 2011, 21:05 Uhr

obwohl es nicht hundertprozentig passt musste ich doch gerade sehr an dieses Lied denken: http://www.youtube.com/watch?v=0mH7lYwzaUU
Modeste - 10. Apr. 2011, 21:36 Uhr

Das ist hübsch, das kannte ich noch nicht.
ellaella - 10. Apr. 2011, 22:50 Uhr

geschickt, fräulein modeste, sehr geschickt.
Modeste - 12. Apr. 2011, 0:17 Uhr

Immer.
Remington - 11. Apr. 2011, 7:16 Uhr

Aus wie wenig das Leben doch wirklich besteht, nicht wahr, Miss M?
Modeste - 12. Apr. 2011, 0:18 Uhr

Wenig, Herr Remington, scheint mir das nicht. Das Maß an verliebt sein ist ja nicht selten ganz unabhängig vom Zurückgeliebtwerden.
clipped - 11. Apr. 2011, 8:03 Uhr

ein toller text!
Modeste - 12. Apr. 2011, 0:18 Uhr

Danke.
phyllis - 11. Apr. 2011, 11:46 Uhr

Finde ich auch. Schön lakonisch erzählt. Obwohl der Text - verzeih'n Sie! - keiner über Liebe ist, sondern einer über die beharrliche Weigerung einer Frau, Selbstwertgefühl zu entwickeln. So aus der Ferne betrachtet.
arboretum - 11. Apr. 2011, 15:09 Uhr

Nein, mit fehlendem Selbstwertgefühl hat das nichts zu tun - auch wenn die Überschrift das vielleicht nahelegt -, sondern mit dem realistischen Erkennen, dass eine Liebe aussichtslos ist. Leider bedeutet das nicht zugleich, dass man sie dann auch wie auf Knopfdruck abstellen kann.

Manchmal ist es fatal, der Liebe seines Lebens zu begegnen.

Gehen Sie davon aus, Madame Modeste, dass Sie einer der ganz wenigen Menschen sind, denen sie davon erzählt hat, vielleicht sind Sie sogar der erste überhaupt. Und alles was man darüber denken oder dazu sagen kann, hat sie sich auch schon gesagt. Sie hat schließlich genügend darüber nachgedacht.
Modeste - 12. Apr. 2011, 0:19 Uhr

Ich glaube, da hat Frau Arboretum recht. Es hat vielleicht nicht viel mit einem selbst zu tun, wen man liebt. Manchmal ist es auch nur Pech und Zufall.
virtualmono - 12. Apr. 2011, 21:04 Uhr

Ich glaube nicht an Zufälle. Nur an schlechtes Timing :-/
Modeste - 17. Apr. 2011, 3:12 Uhr

Ja, das mag es auch sein.
Rusti - 13. Apr. 2011, 10:53 Uhr

Ist es nicht auch so, dass man manchmal sich an so etwas Vergeblichem wie an etwas Kostbarem festhält. Dass man die Illusion, den nachts im Bett ausgeschmückten Gedanken daran lieb gewinnt und insgeheim weiß, dass der Traum viel schöner und wärmer ist als es die Wirklichkeit wäre, solange er nur theoretisch ganz vielleicht doch denkbar ist? Dass seltsamerweise die Bilanz zeigt: der Traum macht mehr schöne, warme Gefühle als er Schmerz bereitet, auch wenn das eigentlich keinen Sinn ergibt (aber dass solche Sachen nicht immer Sinn ergeben, ist ja nix Neues nicht).
Es darf nicht ein ganzes Leben aus solchen Dingen bestehen, dann ist es ungelebt und ein Schatten. Aber so einige Schatten-Traumperlen sich bewahren - vielleicht gar kein Zeichen fehlenden Selbstwertgefühls, vielleicht stattdessen eine kleine Schatztruhe für unterwegs, jederzeit verfügbar, gar nicht so dumm.
Modeste, bin neu hier, sehr beeindruckt von Deinen Gedanken, den Worten, sie zu skizzieren, anregend, danke
Modeste - 17. Apr. 2011, 3:12 Uhr

Es ist eine Gradwanderung so zwischen Traum und Realität, stelle ich mir vor. Ich habe so zum letzten Mal als sehr junges Mädchen geliebt, und seither eigentlich immer die unvollkommene Realität vollkommenen Träumen vorgezogen, aber wer wäre ich, dies für jeden und jede für richtig zu halten.
reklame - 15. Apr. 2011, 0:09 Uhr

Bei einer Frau ist eben doch das Aussehen das Entscheidende. [Werbe-Einblendung: jovan haut jovan] Weshalb ich persönlich des längeren nachhaltig an meinem Reichtum arbeite. Dann geht es auch endlich mit dem Sex aufwärts. http://www.buchmesse-leipzig.com/leipzig_liest/feuilleton.html

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