Mittwoch, 20. Juli 2005

Typologie

Horoskope? Glauben Sie kein Wort. Auch die Berufswahl ist meistens zu zufällig, um wirklich Auskunft geben zu können über diesen oder jenen interessanten Herrn, und nach der Oberbekleidung zu gehen wäre natürlich in höchstem Grade kindisch.

Nein, besuchen Sie ihn einfach und schauen sich um. Wohnt er noch in seiner Jugendzimmereinrichtung aus Kiefer? Ist die Wohnung sehr schmutzig oder extrem unaufgeräumt? Gibt es Bilder? – Aber auch diese Faktoren, meine Damen, können nur begrenzt Auskunft geben über die wahre Natur eines Mannes, und so stellen Sie sich einfach vor sein Bücherregal. Bei sehr umfangreichen Sammlungen – und nur die Besitzer sehr umfangreicher Bibliotheken sind imstande, eine Frau wirklich glücklich zu machen – verwickeln Sie den Herrn in ein Gespräch über seine leinen- oder ledergebundenen Lieblinge, und schon eine Stunde später, vielleicht auch zwei, wissen Sie eigentlich alles Wissenswerte über diesen Herrn und besitzen eine hinreichende Faktenbasis, um Entscheidungen über die weitere Verwendung des Eigentümers der Bücher zu treffen.

Mit dem Hermann-Hesse-Leser zum Beispiel würden Sie nicht viel Freude haben. Treuherzig mag er ja sein, gewiss – aber ist Treuherzigkeit eine Eigenschaft, die einem erwachsenen Mann zukommen sollte? Bestimmt versucht er Ihnen bei nächster Gelegenheit, ein Exemplar des „Kleinen Prinzen“ zu schenken, schleppt beleuchtete Salzsteine in Ihre Wohnung, und findet die Anthroposophie gar nicht so uneben. Ansonsten werden Sie klare Stellungnahmen kaum aus ihm herausbekommen: Er ist ein treuer Jünger des Einerseits-Andererseits und schreitet überhaupt durch´s Leben als die männliche Ausgabe des Tigerentenmädchens. – Gehen Sie besser einfach nach Hause.

Mit dem Hemingway-Freund ist es dagegen so eine Sache. In homöopathischen Dosen genossen, schätzt auch die kultivierte Dame zu recht eine gewisse Virilität. Der Zauber einer haarigen Brust und kräftiger Oberarme – wer könnte sich dem entziehen? Überschreitet die Begeisterung indes ein gewisses Maß, schätzt ein Herr dazu noch - sagen wir: Bukowski. Oder Wondratschek: Dann, meine Damen, haben Sie es nicht mit einer gesunden Männlichkeit zu tun, dann hat Ihr neuer Bekannter einen ausgewachsenen Komplex, der ihn in wenigen Jahren zum Kauf teurer Autos treiben wird, auf dem Beifahrersitz werden blonde, etwas vulgäre Personen weiblichen Geschlechts Platz nehmen, und am Ende wird ihn auf einer Safari ein Löwe fressen, weil er den Anordnungen der Fremdenführer keine Folge leisten wollte. Sie können dann noch froh sein, wenn er seine Besitztümer wenigstens Ihnen vermacht, und nicht der blonden Person. Auf der anderen Seite: Was wollen Sie mit Hemingways gesammelten Werken?

Die gesammelten Werke Thomas Manns, die vielfach gelesene Goethe-Ausgabe und ein Haufen einschlägiger Sekundärliteratur sollten Sie ebenfalls stutzig machen. Könnte, so sollten Sie sich fragen und den jungen Mann einmal genau in Augenschein nehmen, Ihr neuer Bekannter vielleicht ein wenig konventionell sein? Einer jener Herren, denen die Krawatte am Hals festgewachsen wäre, wenn sie nicht ab und zu das Modell wechseln würden? Die bei erstbester Gelegenheit an den Wannsee oder nach Döbling ziehen werden, ihre Nachmittag auf dem Golfplatz verbringen, weil man da nicht so schwitzt, und die nicht einmal ihre Frau unbekleidet zu Gesicht bekommen wird? Überlegen Sie es sich gut! So etwas kann ernsthafte Folgen haben – und bevor Sie sich versehen, sitzen Sie irgendwo am Kamin, Ihr Gatte stapelt nach einem ausgeklügelten System das Holz, und liest Ihnen zum Frühstück aus der FAZ vor.

Zu einem Oscar-Wilde-Verehrer kann man nur denjenigen raten, die es nicht stört, wenn Ihr neuer Freund länger im Badezimmer verweilt als Sie. - Von den geistigen Bewohnern Mittelerdes kann man gleichfalls nur abraten: Was wollen Sie mit einem Herrn, der sich mit einem Hobbit identifiziert, ernsthaft anfangen? Und dass Männer, die Frauenromane lesen, keine weitere Beachtung verdienen, liegt natürlich auf der Hand: Vor Jahren begegnete mir einmal ein Herr, der zwecks Studium der weiblichen Seele erfolglos „Das Tagebuch der Bridget Jones“ las – ich habe mich selten so gelangweilt.

Tja – und dann, nach gründlicher Durchsicht seiner Regale, können Sie sich also wahlweise verabschieden und schnell davonlaufen, oder Sie bleiben einfach gleich da, nehmen sich ein Buch und legen sich auf sein Sofa. Vielleicht legt er sich ja dazu.


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