Über Essen

Montag, 1. April 2013

Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten

Andere Leute wären essen gegangen. Oder hätten im Ofen eine Lammkeule geschmort. Oder ein Lamm bestellt. Aber wir grillen seit zehn Jahren bei der I. und dem S., und wir werden nicht einfach damit aufhören, nur weil hier die Eiszeit ausbricht. Wir treffen also frierend wie die Schneider um kurz vor zwölf im Grunewald ein, und dann wird gegrillt. Dieses Jahr hat der M. eingekauft: Es gibt Merguez, Salsiccia, Lammfilet und Bisonsteaks, die ein bißchen wild, aber eigentlich eher zäh schmecken. Dazu essen wir Salate, Brot und Hummus.

Das Grillen ist dann eine eher mühsame Angelegenheit. Unter Verweis auf den F. ("darf nicht frieren") bleibe ich im Wohnzimmer und schaue durch die Terrassentür den Grillenden zu, die sehr, sehr lange versuchen, die Kohle zu entzünden, und dann mit Föhn und Zeitungspapier vor den gräulichen, harten Schneeresten im Garten versuchen, den Grill endlich anzuzünden. Irgendwann klappt es dann. Wenig später gibt es Fleisch.

Ich esse, als hätte ich heute noch nichts gegessen. Das fällt mir nicht schwer. Ich habe nämlich heute noch nichts gegessen, weil ich ein wenig verschlafen habe, und so stopfen der F. und ich ganz schnell sehr viel Grillgut und noch mehr Nudelsalat in uns herein. "Mamm!", schreit der F., wenn es ihm nicht schnell genug geht, und weil der das ziemlich oft macht, bekomme ich nicht so viel, wie ich eigentlich wollte.

Beim Nachtisch wird die Lage dann langsam prekär. "Mamm! Mammmm!", fordert der F. energisch noch mehr Vanillepudding und mindestens 2/3 meines Carrot Cake. Ich vertage den eigenen Kuchenverzehr auf später, ermuntere alle noch einmal, den gestern abend gebackenen Carrot Cake zu probieren und trinke schnell zwei Glas Sekt. Den zumindest muss ich nicht mit dem F. teilen.

Doch auch später sieht es schlecht mit dem Kuchen. Immer, wenn ich mich der Küche nähere, erspäht mich der F. "Mamm!", streckt er mir beide Hände entgegen. Ich werde später essen, wenn der F. schläft, beschließe ich, und irgendwann brechen wir auf. Ich habe keinen Kuchen gegessen.

In der Tasche über der Schulter des J. immerhin tragen wir zwei Stück Carrot Cake wieder nach Hause. Das eine wird der J. morgen früh essen, bevor der F. und ich aufgestanden sind. Das zweite Stück esse ich einige Stunden später, den Rücken dem F. zugekehrt und simulierend, ich sei taub, und hörte hinter mir niemanden brüllen: "Mamm! MAMM!"

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(400 gr. geraspelte Möhren, 350 gr. Zucker, 180 gr. Mehl (550), 100 gr. Haferflocken, 1 Tasse Öl, 4 Eier, 1/2 TL Salz, 2 TL Natron, 1/2 TL Zimt, 1/2 TL gemahlener, getrockneter Ingwer, Schale von 1/2 Orange, 1/4 TL geriebene Muskatnuß

Alles verrühren und 60 min bei 175° C. Auskühlen lassen, halbieren und füllen und ummanteln mit einem Frosting aus

200 gr. Frischkäse, 25 gr. Palmin, 1 Pck. Vanillezucker, 2 EL Butter und ca. 150 gr. Staubzucker.)

Samstag, 30. März 2013

Osmans Töchter

Die Berliner Türken gehören zu Westberlin wie das Strandbad Wannsee oder Harald Juhnke, und wie ganz Westberlin stecken auch die Westberliner Türken in einer Art Zeitblase, in der die Achtziger Jahre einfach nicht vergehen wollen. Da in diesem immerwährenden Jahr 1985 die Mauer natürlich noch steht, ziehen die Berliner Türken so gut wie nie in den Osten. Im Prenzlberg gibt es deswegen, meine ich, weniger Türken als in Nordfriesland oder auf dem Mond. Das merkt man dann auch an der Gastronomie.

Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt schon ein türkisches Restaurant im Prenzlberg gab. Das nächstgelegene mir bekannte Gasthaus war das Hasir am Hackeschen Markt. Doch selbst wenn es schon ein türkisches Restaurant oberhalb der Dönergrenze gegeben haben sollte, dann sah das vermutlich so aus, wie diese Läden, in denen man in Kreuzberg gut isst und schlecht sitzt, also so eine Kulisse aus Teppichen, Kupferkannen, Wasserpfeifen, das Ganze untermalt wahlweise mit türkischem Pop oder leierndem Ethnokitsch. 1985 - wir kommen zurück auf die Westberliner Blase - fand man das für die sog. Spezialitätenrestaurants nämlich gut und richtig.

Bei Osmans Töchtern in der Pappelallee dagegen ist es schön. Betonböden und unverputzte Mauern, Lampen aus Schraubgläser und schlichte Tische und Stühle wirken nüchtern, eine sehr zurückgenommene Eleganz, die von ganz, ganz wenigen orientalisierenden Stilelementen aufgenommen wird. Man sitzt ein wenig eng, aber angenehm. Das finden andere anscheinend auch: Um sieben ist jeder Tisch besetzt. Ohne Reservierung geht hier, schätze ich mal, nichts.

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Der Service ist schnell, herzlich und freundlich. Es erscheinen ein ordentlicher Viognier für mich und Efes für den J., und statt der ursprünglich gewählten gemischten Vorspeisen - für zwei zu viel, aber weniger gebe es nicht, sagt man uns - kommen ein Bulgursalat und gehackte, gut gewürzte Auberginen. Es ist jetzt nicht so, dass diese Vorspeisen eine noch nie dagewesene kulinarische Offenbarung bedeuten würden. Es schmeckt sehr gut, aber nicht anders als bei anderen türkischen Restaurants oder letztes Jahr im Urlaub. Dem F. immerhin scheint es großartig zu munden, er stopft sich den ganzen Brotkorb nach und nach in den Rachen, und zeigt immer wieder auf das Auberginengericht. Okay, Kleiner, denke ich, und löffele ihm das Zeug in den Mund. Der F. liebt scharfes Essen und außerdem liebt er Knoblauch.

Als die Hauptgerichte kommen, beneide ich den J. kurz um sein Essen. Er isst Hackfleischbällchen auf kleinen Brotstücken, die unter einer dicken Schicht gewürztem Joghurt verschwinden. Es sieht sehr, sehr gut aus und riecht auch phantastisch. Viel besser, finde ich, als mein gegrillter Lachs mit auf den Punkt gegartem Gemüse und Ofenkartoffeln, woran es rein gar nichts auszusetzen gibt, aber sehr türkisch mutet das Gericht nicht an. Mein Fehler: Ich hätte die Dorade nehmen sollen.

Dass der Teller des J. besser aussieht, findet auch der F. und weist meinen Lachs mit zusammengekniffenem Mund und heftigem Kopfschütteln zurück. Wieder und wieder zeigt er auf das Essen vom J. und bekommt reichlich Stücke von Fleisch, Brot und Joghurt in den Mund geschoben. Im Ergebnis haben der J. und der F. dann beide etwas weniger gegessen, als beiden lieb wäre. Eine Kinderkarte wäre hier schön oder zumindest ein Ausweichgericht wie Nudeln mit Sauce oder so, wie es bei den meisten Italienern auf der Karte steht. Beim nächsten Besuch würde ich dem F. auch ein Hauptgericht bestellen, allerdings erscheinen mir die Hauptgerichte von 15 € an aufwärts alle etwas zu teuer für eine Person, der Nudeln mit Käse völlig reichen.

Am Ende entscheiden der J. und ich uns dann doch gegen ein Dessert. Wir haben genug Süßes gegessen, versichern wir uns gegenseitig und verweisen auf die folgenden Feiertage. Wir zahlen dann so circa € 65, meine ich, und laufen langsam zurück, durch den tauenden Schnee, vorbei an der Kulturbrauerei, vorbei am November, vorbei an Anna Blume, und im Wagen liegt der F. und schläft und träumt, tja, vermutlich von Nudeln mit Sauce. Mir aber hat's gefallen.

Osmans Töchter
Pappelallee 14 (neben dem Ballhaus Ost)
10437 Berlin

Freitag, 29. März 2013

Der Turbomuffin

Wenn man den Berliner Milieuschutzfreunden glaubt, war ja früher alles besser, als die Semmel noch Schrippe hieß, und man für 60 qm 100 Reichsmark zahlte. Wir aber wissen: Das ist alles gar nicht wahr.

In Wirklichkeit - ich war dabei - waren die Bewohner Prenzlbergs keineswegs schöne und fröhliche Menschen, sondern in erheblichen Teilen ziemlich graue Gestalten, die vor den Spätkäufen der Stadt grimmig Dosenbier tranken. Die Häuser waren grau und rochen komisch, und in ganz Ostberlin gab es keine vernünftige Pâtisserie. Die Parties waren gut, das Bier kostete 2 Mark, aber wer vernünftigen Kuchen wollte, fuhr entweder in den Westen oder kaufte den guten, aber nicht sensationellen Kuchen bei Sowohlalsauch.

Das immerhin hat sich geändert. Allein im Bötzowkiez gibt es vier vernünftige Möglichkeiten des Kuchenkaufs. Die Chance, in einem Privathaushalt ordentlichen Kuchen vorgesetzt zu bekommen, ist damit eigentlich ziemlich gut, doch wenn aus den alten, schlechten Zeiten noch irgendetwas übrig geblieben ist, dann das: Man bekommt in Privathaushalten so gut wie nie Selbstgebackenes. Ich liebe aber hausgebackenen Kuchen.

Nun ist es ja mehr als verständlich, dass niemand mehr Zeit hat für eine abendfüllende Schwarzwälder Kirsch oder Bienenstich. Aber ein schneller Gugelhupf? Ein Streuselkuchen? Und wenn es für alles nicht mehr reicht, wenn der Besuch schon quasi vor der Tür steht, wenn kaum mehr was im Haus ist, und niemand Lust hat, noch einzukaufen, dann gehen doch immer noch Muffins. Und zwar die schnellsten Muffins der Welt:

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(200 ml Schlagsahne, 150 gr. Zucker, 1 Pck. Vanillezucker, 3 Eier, 200 gr. Mehl, 1 EL. Maisstärke, 1. Pck. Backpulver, Zitronenschale und Saft von 1/2 Zitrone

Alles verrühren, in Muffinförmchen füllen und bei 175° C 25 min. backen. Anschließend mit Zuckerguß von der übrigen 1/2 Zitrone überziehen und verzieren)

Sonntag, 18. Dezember 2011

Die absolute Ente

Tipps gibt es ja viele. Mit Bier bestreichen zum Beispiel. Allerdings fragt sich der häusliche Koch: Wieso eigentlich mit Bier? Weicht die Entenhaut da nicht eher auf? Oder Salzwasser. Warum soll eine Ente knuspriger werden, wenn man sie mit Salzwasser bepinselt? Meine Oma hat Schmalz genommen, aber die allzu bedenkenlose Verwendung von Schmalz gehört ja ohnehin zu den Küchensünden der Nachkriegszeit, die man nicht wiederholen sollte. Wenn ich Ihnen beispielsweie verrate, dass es noch in den Achtzigern bei uns daheim Kartoffelsalat mit Zwiebeln, harten Eiern und, ja, das ist keine Übertreibung, Schmalz gab, dann schütteln Sie sich zu recht. Schmalz nehme ich also nicht.

Irgendwo habe ich gelesen, es sei die allzu feuchte Füllung, die von innen die Ente durchweicht. Es ist wahr, in meiner Ente stecken meistens gehackte Maronen, Äpfel, Majoran und die gebratenen Innereien der Ente, aber schmeckt die Ente vielleicht nicht etwas fad, wenn ich sie - so lauten Tipps, die man liest - nur wasche, trockne, pfeffere und salze? Oder was ist von dem Tip zu halten, die Ente nur mit einer trockenen Semmel zu füllen, die die Feuchtigkeit aus der Ente saugt? Wird dann nicht das Fleisch trocken? Muss ich heißer als 200°C braten? Die Niedrigtemperaturente vom vorletzten Jahr wurde immerhin etwas knusprig, als ich ganz am Ende den Grill noch einmal hochgezogen habe, aber die schmeckte dem J. allzu entenhaft und war zudem von sagenhafter und auf die Dauer etwas störender Geruchtsentwicklung.

Vielleicht ist auch schon das Gericht an sich schon ganz falsch gewählt. So berichtete mir einmal der Bruder eines Kochs, man könne entweder Keulen oder Brust oder Haut einer Ente optimal braten, aber nicht alle drei Kompoenten einer ganzen Ente. Am Besten, man zerlege das Tier. Dies aber erscheint mir irgendwie falsch. Ich habe keinerlei Beziehung zu den christlichen Aspekten des Weihnachtsfestes, ich will nichts weiter als einen schönen Baum und etwas Gutes zu essen, auch mein Bedarf an Familienleben ist für dieses Leben hinreichend erfüllt, aber ohne Ente ist nicht Weihnachten und deswegen gibt es auch dieses Jahr so einen Vogel beim J. und mir für den R., die I., die C. und ihren neuen Freund, und vielleicht verrät mir ja noch einer das wahre Rezept für die perfekte Haut: Dünn, braun, knusprig und glänzend auf einem zarten, hellbraun-rosigen Fleisch.

Dienstag, 15. November 2011

Erziehungsberatung

In den letzten Jahrzehnten hat ja eigentlich alles ein verhältnismäßig problematisches Gepräge angenommen, was die Menschheit bis dahin einfach so betrieben hat. Die Aufzucht von Kindern etwa. Oder die menschliche Ernährung. Oder, in ganz besonderen Fällen, beides.

Ein mir lose bekanntes Ehepaar - ein Rechtsanwalt und seine meines Wissens berufslose Frau - etwa zieht in einem der südwestlichen Vororte Berlins einen Knaben samt drei Schwestern auf. Der Knabe ist acht und besucht eine Grundschule. Diese Grundschule ist evangelisch, denn diesem Bekenntnisse hängen die Eltern an. Außer an den lieben Gott glaubt man im Hause dieser Familie an eherne moralische Prinzipien und die Verwerflichkeit des Verzehrs von Fleisch und Zucker.

Die drei Mädchen wurden mir persönlich geschildert als folgsam, unproblematisch und brav. Der Bub allerdings macht Sorgen. In der Schule sei er nicht direkt schlecht, das nicht, aber beängstigende Indizien moralischer Verkommenheit träten zu Tage, schockierende Vorfälle hätten sich ereignet: Der Junge habe gestohlen.

Zwei Mitschüler sogar habe der Bube angestiftet. Ein verschlossenes Behältnis habe man ausgekundschaftet, einen Kühlschrank nämlich, welcher in der Cafeteria der Schule stand. Ein halbes Blech Kuchen habe man aus diesem enwendet, sei damit nach Schulschluss davongefahren und habe den Kuchen zu dritt im Kinderzimmer des einen Buben ganz verzehrt. Zur Tarnung habe man das elterliche Abendessen dann trotzdem tapfer gegessen.

Die Tat blieb nicht lange geheim. Es ist nämlich nicht einfach, mit einem Blech Kuchen durch den recht verschlafenen Vorort zu radeln, ohne gesehen zu werden. Harte Verhöre schlossen sich an. Der eine angestiftete Junge darf nun nicht mehr dem verkommenen Sohn der Bekannten spielen. Der Sohn selbst gab auf Befragen zu, er habe nicht nur diese Missetat zu vertreten. Er habe auch nur wenige Tage zuvor Geld, das ihm seine Großmutter heimlich gegeben, bei real in mehrere Würstchen investiert und diese sofort mit Senf verschlungen.

Die Schwestern des Buben waren von diesem ungeheuerlichen Vergehen angemessen angewidert. Die Mutter am Boden zerstört. Weitere Nachforschungen ergaben, dass dieser Vorfall nicht solitär in der Ernährungsgeschichte des jugendlichen Delinquenten stand. Vor Monaten hatte schon die Großmutter in Nürnberg das Kind in den Ferien mit Fleisch in Form von Würsten, Schinken und Braten traktiert. Der Junge hatte auch Süßes und Kuchen im Gegenzug zum Versprechen erhalten, der ohnehin ungeliebten Schwiegertochter, der Mama, nie etwas von diese verbotenen Freuden zu erzählen.

Der Mutter war nun alles klar. Eine schnurgerade Linie führte von den großmütterlichen Würsten zum Diebstahl von Schuleigentum. Nur eine hauchdünne Linie trennte ihre Brut jetzt noch von Sittlichkeitsverbrechen und blutigem Terrorismus. Wenige Tage später suchten Mutter und Sohn eine Eriehungsberatung auf.

Es schmecke ihm nicht daheim, gab der Junge hier zu Protokoll. Er wolle Kuchen, Eis und Frankfurter essen. Die Mutter ist schockiert. Der Konflikt scheint unüberbrückbar.

Sonntag, 29. Mai 2011

Gurke

Jeden Freitag morgen kommt ein Lieferdienst aus dem brandenburgischen Dorf Brodowin und stellt mir eine grüne Kiste mit Obst und Gemüse vor die Tür. Eier und Milch habe ich auch abonniert. Die Lieferung ist durchweg bio. Dieser Lieferdienst kostet 15 Euro pro Woche und ist fast ausnahmslos ganz, ganz großartig.

Es gehört zu den Prinzipien dieses in Berlin sehr populären Dienstes, dass man nicht weiß, was man bekommt. Der Kisteninhalt ist vorwiegend, aber nicht nur, aus der Gegend, man bekommt daher im Winter keine Erdbeeren, sondern ziemlich viel Kohl und Möhren. Im Sommer wird es dagegen bunt. Jede Woche, gleichgültig oder sommers oder winters ist ein Salat dabei, den esse ich manchmal am Freitag abend und meistens am Wochenende. Bisweilen ist der Salat dann schon schlaff, dann werfe ich ihn weg und ärgere mich ein bißchen.

Vorgestern morgen öffne ich also wie jeden Freitag die Tür, da steht die grüne Kiste, und auf der Kiste liegt ein Kopfsalat. Ich freue mich. Ich liebe Kopfsalat. Am liebsten esse ich Kopfsalat in einer riesigen Schüssel, übergossen mit einer Vinaigrette aus Weißweinessig und Olivenöl und Zwiebeln und Kapern und Senf und einem fein gewiegten, harten Ei. Meine Salate sind, anders als die Salate anderer Leute, nur so mäßig gesund, weil meine Dressings aus Prinzip fetter als ein Schweinebraten ausfallen, und außerdem mag ich Salat nur mit Fisch, Fleisch, Käse oder Eiern.

Außer dem Salat liegen auch ein paar Tomaten in der Kiste. Eine Schlangengurke gibt es auch. Ich denke an eine große Salatschüssel mit Parmesanspänen und Eierscheiben und stapele alles ordentlich in den Kühlschrank. An tödliche Durchfallerkrankungen denke ich gar nicht, weil ich Krankheiten meistens nicht so ernst nehme. Ich denke ja immer, dass die konsquente Risikovermeidung mehr Einbußen bedeutet als die vereinzelte Verwirklichung eines Risikos.

Am Freitag abend dann taucht der J. bei mir auf. Der J. war die ganze Woche beruflich unterwegs, er ist mächtig hungrig, öffnet den Kühlschrank und - ja, das ist keine Übertreibung - erstarrt. Der J. sieht dem Tod einige Sekunden in die offenen Augen. Dann schließt er den Kühlschrank wieder und ächzt erschüttert.

"Bist du wahnsinnig.", schüttelt der J. ungläubig das Haupt und befiehlt, das todbringende Gemüse zu entsorgen. Ich weigere mich. Ich will den Salat, ich glaube nicht, dass ausgerechnet meine Brodowiner Gurke kontaminiert sein sollte, und dann beenden wir die Diskussion. Am nächsten Morgen fahren wir weg. Freunde heiraten in der Altmark, wir essen beide fürchterlich viel und fürchterlich gut, übernachten in einem extrem geschmacksneutralen Hotel, vollgestopft mit abstrusen Dekorationsobjekten, wie man sie in Möbelhäusern sehen kann, und dann fahren wir wieder heim.

Zu Hause stehe ich wieder vorm Kühlschrank. Dem J. kann ich mit einem großen Salat nicht kommen. Es gibt also einen Blumenkohl, Senfsauce, gekochte Eier und Kartoffeln, und mit ein bißchen Bedauern schaue ich die Tomaten und die Gurke an. Dann esse ich etwas und lese Zeitung.

Zeitungen sind in diesen Tagen ja fatal. Andauernd, lese ich, sterben Leute an Gurken, Salatesserinnen sind besonders gefährdet, und mein Plan, morgen abend salattechnisch in die Vollen zu gehen, wird auf einmal etwas zweifelhaft. Morgen ist der J. nicht da, da zetert keiner, wenn ich die Salatschüssel fülle, aber andererseits ist eine Schüssel Salat nun auch keinen plötzlichen Tod wert. Einfach so ins Bockshorn jagen lassen will ich mich dann aber auch wiederum nicht. Mein Gott, denke ich. Ich habe 15 Jahre geraucht. Was sollen mir amtliche Empfehlungen.

Am Ende verschiebe ich die Entscheidung auf morgen. Der Salat ist dann bestimmt hin. Was mit den Tomaten und Gurken ist, wird sich herausstellen. Wenn dieses Blog also ab morgen einfach versiegt ... Es war schön mit Ihnen. Es hat mich sehr gefreut.

Sonntag, 20. Februar 2011

Journal :: 19.02.2011

Es gehört zu den vielen Vorzügen des Grill Royal, dass die Gäste - das ist selten in Berlin - nicht absichtsvoll aussehen, als hätten sie absichtslos irgendwas angezogen, was gerade an der Leine hing, und so schaue ich mich ein wenig um und begutachte Kleider, Handtaschen, Schmuck und Frisuren. Ab und zu versuche ich zu schätzen, was die Frauen wohl wiegen, die an mir vorbei in den Raucherraum laufen, und versuche auf der 1 bis 100 Skala des guten Aussehens der weiblichen Gäste meinen ungefähren Standort zu bestimmen, schäme mich ein bißchen für diesen Akt lächerlicher Eitelkeit und esse weiter.

Weil ich am Freitag nach langen, rauchfreien Wochen wieder geraucht habe, rauche ich Samstag nicht, trinke ziemlich langsam zwei Gläser von dem ganz guten Cygnus, den sie hier haben, und schaue ein bißchen herum. Wäre das kein Steakhouse, bleibe ich an einem Paar vor den Kühlschränken hängen, würde ich den Mann für Jonathan Safran Foer halten, aber wenn ein Vegetarier einmal sündigt, dann vermutlich nicht gerade am öffentlichsten Ort Berlins. Eine Frau am Tresen von vielleicht 40 mit langen, schwarzen Haaren trägt ein wunderschönes Kleid von Kenzo, das ich letztes Jahr fast einmal anprobiert hätte, eine andere sehr schöne, sehr hochgewachsene blonde Frau hat ein graues, gerafftes Kleid von einer französischen Designerin in Mitte an, von der ich auch zwei Kleider habe. Dem Mann am Nachbartisch dagegen sollte mal jemand sagen, dass seine Uhr barbarisch aussieht. Unablässig läuft am Tresen vorbei Helene Hegemann zum Rauchen und zurück. An ihrer Stelle würde ich mir das Essen in den Raucherraum bringen lassen, geht es mir durch den Kopf, aber das ist vielleicht gar nicht erlaubt oder es gefällt ihr einfach aus so einem gewissen Bewegungsdrang heraus, den ganzen Abend durch das Lokal zu spazieren.

Mit dem J. diskutiere ich ein bißchen hin und her, was man noch so machen könnte, Samstag nacht, und ertappe mich bei dem Gedanken an eine Tasse Tee und das fast ausgelesene Buch in meinem Bett. "Es geht um zwei New Yorker Messies, von denen einer blind ist.", berichte ich dem J. die ungefähre Exposition des Werkes. Der J. nickt leicht abwesend und schaufelt weitere Bohnen auf seinen Teller. Aus Bequemlichkeit bestellt der J. in den meisten Restaurants immer dasselbe, im Alt Wien um die Ecke also beispielsweise immer das Schnitzel, im Pappa e Ciccia immer Vitello Tonnato und danach Pasta mit Ragù, und im Grill sind es gebackene Kartoffeln, Bearnaise, 250 g Filet, davor der Salat mit den Frischkäsebällchen und danach die Crème brûlée. Ich esse heute Schnecken. Filet Tagliata und den Schokokuchen von der Tageskarte.

Ich gähne. Gegen Ende der Berlinale ist die ganze Stadt schon eher ziemlich müde, das gilt auch für mich. Die Vereinbarkeit von Berufs- und Nachtleben, sage ich dem J., ist ein zu Unrecht vernachlässigtes Problem. Nach Hause aber will ich nun doch nicht fahren, vielleicht besser irgendwo in braunen Clubsesseln liegen, ein Gin Tonic in der Hand, ein Crémant möglicherweise, eine heiße Schokolade eventuell und sehr, sehr langsame Gespräche führen über möglichst belanglose Dinge. Zusehen, wie das Eis in den Gläsern schmilzt.

Am Ende aber dann doch keine Sessel, am Ende in der King Size Bar, ganz am Ende und eine Taxifahrt später dann daheim und mit der Zahnbürste im Mund vor dem Spiegel stehen, der keine Antworten gibt, wenn man ihn fragt, wer denn die Schönste ist im ganzen Land auf einer Skala von 1 bis 100.

Dienstag, 2. November 2010

Journal :: 31.10.2010

Damals, mein Kind, als die Kalorien noch gar nicht erfunden waren, tat man an Krautfleckerl nicht nur mageren Schinken ganz ohne Fett wie ich gestern. Meine Großmutter - Du hast sie nicht mehr kennengelernt - kaufte beim Metzger statt dessen durchwachsenen Speck und der Metzger schnitt ein sieben oder acht Zentimeter breites Stück von einer ganzen Speckseite. Das würde gewürfelt.

Meine Großmutter hatte Messer, so große Messer kann man heute kaum mehr kaufen. Überhaupt war alles in ihrer Küche etwas größer. Ihr größter Topf ging mir bis zum Bauch. Die Familien waren größer als heute, es aß aber auch jeder für sich viel mehr. Der Speck war deswegen gerade richtig portioniert für vier: Mein Cousin, meine Schwester, meine Großmutter selbst und ich.

Während meine Großmutter den Speck mit dem großen Messer in Würfel schnitt, schnitt ich mit einem kleinen Messer Zwiebeln. Für Krautfleckerl muss man die Zwiebeln nicht so fein schneiden. Am besten ist es, die Zwiebelstückchen sind so groß wie das gehobelte Kraut. Man braucht mindestens zwei große gelbe Zwiebeln und einen kleinen Kohlkopf dazu.

Für Krautfleckerl nahm meine Großmutter eine ganz große, weiße Pfanne mit einem hohen Rand. Keiner weiß, wo diese Pfanne geblieben ist. Vielleicht ist sie weggeworfen worden. Mir tut das leid. Ich habe keine solche Pfanne, ich nehme eine runde Pfanne von Le Creuset, aber da passt nur ein Essen für zwei hinein wie am Sonntag. Meine Großmutter kochte nie für weniger als eine Großfamilie und eventuell überraschenden Besuch und hatte aus Prinzip nur riesige Töpfe und gigantische Auflaufformen und hätte über weniger als drei Kilo Gulasch wahrscheinlich nur gelacht.

In der riesigen Pfanne ließ meine Großmutter den Speck aus. Das sah gut aus. Das Fett floss auf dem Herd aus allen Seiten aus dem Speck. Wenn es anfing zu brutzeln, schüttete die Großmutter Zucker dazu. Den Zucker verwahrte sie in der linken Schütte im weißen Schrank. Dann wurde gerührt. Meine Großmutter trug eine Schürze, wenn sie rührte. Wenn es spritzen konnte, trug sie ein Kopftuch, und auch ich hatte eine kleine Schürze um, rot mit weißen Tupfen.

Wenn der Zucker braun war, kamen die Zwiebeln dazu. Später das Kraut und der Kümmel. Kümmel hatte meine Großmutter in einem ziemlich fleckigen Ubena-Döschen, das ab und zu nachgefüllt wurde. Die Fleckerl waren schon fertig, die kamen erst ziemlich zum Schluss und warteten in einer weiß emaillierten Schale mit blauem Rand auf ihre Verwendung. Bis dahin musste es die ganze Zeit ziemlich laut brutzeln und duften. Ohne duftende Dampfwolken ist so ein Essen nicht richtig, und deswegen stand das Fenster die ganze Zeit weit offen. Aus dem Küchenfenster konnte man in den Garten schauen, über die Teppichstange in den Hof und dann über die Beete. Der schöne Garten mit den Blumen war zur anderen Seite hinaus.

Wenn die Fleckerl auch schon bräunten, deckte ich den Tisch. Meine Großmutter hatte für Alltags ein geblümtes Service, mehr so Sechziger, und ein einfaches, elfenbeinfarbenes mit Goldrand. Jeder bekam eine Serviette in einem Strohring. Außer Sonntags gab es kein Silber, sondern nur WMF. Auf dem Tisch standen immer ein paar Blumen, die pflückte meine Großmutter im Garten und nahm jeden Morgen die verblühten Blumen aus dem Strauß und steckte neue dazwischen.

Wenn ich mit dem Eindecken fertig war, schlug ich den Gong. Nur auf den Gongschlag kamen alle zum Essen, denn nur der Gong war wirklich überall zu hören. Wer den Gong nicht hörte, war taub oder tot. Meine Großmutter schmeckte derweil die Krautfleckerl mit Essig ab und verrührte saure Sahne mit Schnittlauch. Meistens dekorierte sie noch den Nachtisch (Flammeri, Gelee, vielleicht auch Grieß) mit ein paar frischen Früchten. Manchmal schlug sie noch ein bißchen Sahne dazu, denn die Kalorien, mein Kind, waren ja noch gar nicht erfunden.

Montag, 1. November 2010

Journal :: 30.10.2010

Gegen 23.00 Uhr schwöre ich mir, nie wieder etwas anderes als höchstens eine völlig entfettete klare Suppe zu essen. Dazu ein lauwarmes Glas Wasser. Fachinger wäre gut. Sehe ich mich um, so sieht es bei den anderen nicht wesentlich anders aus. Der M. hängt mehr auf dem Sofa als er sitzt. Seine schwangere Freundin hat schon während des Essens kurz erwähnt, dass so langsam der Abschnitt der Schwangerschaft erreicht sei, in dem man ohnehin nicht mehr viel essen könne, weil das Kind den Magen so zusammendrücke. Der J. ächzt an meiner Seite ab und zu etwas, was wie "Mascarpone ..." klingt, und die Gastgeberin I. und ihr Mann bieten ab und zu Getränke an, aber selbst die übertreffen gerade mein Fassungsvermögen in nicht unwesentlichem Maße. Ich habe zu viel gegessen.

Weil man bei der I. immer gut und nie wenig zu essen bekommt, habe ich mittags nur einen Salat mit Weintrauben und Pinienkernen und ein paar gebackene Kürbisspalten gegessen. Nicht einmal Kuchen habe ich nachmittags gehabt, schon in der S 9 Richtung Schönefeld habe ich richtiggehend Hungergefühle gehegt, und bei der I. eingetroffen sofort in alle Töpfe geschaut. Das Essen sah fertig zubereitet aus. Ich war richtig erleichtert.

Auf dem Tisch stand ein geschnitzter Kürbis. In dem Topf war eine Kürbissuppe. Die Kürbissuppe enthielt Kastanien und war sehr gut. Nach der Kürbissuppe war ich quasi satt. Das Kalbsschnitzel und den Kartoffelsalat mit grünem Salat danach habe ich trotzdem gegessen und den Kaiserschmarrn habe ich auch nicht abgelehnt. Der Kaiserschmarrn - das habe ich noch nie gesehen - wurde mit Mascarpone zubereitet und war herrlich saftig und luftig und viel, viel besser als mein Kaiserschmarrn, der aus Mehl, Eiern, Vanille und Zucker und so einem MIlch/Sahnegemisch besteht.

Nach dem Essen hätte ich gern einen Magenbitter getrunken, wenn ich solche Getränke vertrüge. Auch eine Vollnarkose wäre nicht schlecht, aber statt dessen trinke ich ganz, ganz langsam eine Bionade nach der anderen und führe mit den gleichfalls mächtig übersättigten Gastgebern plus M. und M. kalorienbetäubte, etwa träge Gespräche mit langen Pausen, die Gisbert zu Knyphausen mit äußerst verlangsamten Gesängen füllt. Noch im Taxi nach Haus ist mir ein bißchen übel. Ich glaube, ich habe irgendetwas eher Sonderbares geträumt.

Sonntag, 31. Oktober 2010

Journal :: 29.10.2010

Freitag ist der Tag der Rituale. Ich kenne ein Paar, das geht jeden Freitag ins Kino. Ein anderes Paar holt sich auf dem Weg vom Büro heim einen Film, bei der Weinhandlung nebenan eine richtig gute Flasche Wein und setzt sich damit aufs Sofa. Eine Freundin von mir kauft jeden Freitag in der Mittagspause etwas Gutes zum Essen und einen Haufen Illustrierte ein, legt sich abends daheim sofort in die Badewanne, isst anschließend im Bett alles auf und blättert in den Journalen. Der J. und ich gehen jeden Freitag essen.

So richtig mit Reservierung und vorher nachschauen schaffen wir allerdings nie. Im engeren Sinne geplant sind die Abende auch nicht. Meistens telefonieren wir so gegen 17.00 Uhr. Ich teile dem J. dann mit, der Kühlschrank sei leer. Der J. antwortet, er habe jetzt auch keine Luft, einkaufen zu gehen, und gemeinsam beschließen wir, irgendwo etwas zu essen. Für eine sorgfältig erwogene Auswahl ist es dann zum einen zu spät, zum anderen wollen wir auch nirgendwo hin, wo man noch extra hinfahren muss, und deswegen waren wir jahrelang jeden Freitag (oder zumindest so jeden zweiten) im Pappa e Ciccia. Das ist ein Italiener im Prenzlauer Berg.

Das Pappa e Ciccia ist jetzt kein so besonderer Italiener. Es schmeckt ganz gut da, der Service ist auch nett und herzlich, alles schön, lässig, aber nicht unelegant, doch der größte, der entscheidende Vorteil des Pappa e Ciccia bestand eigentlich in dem Umstand, dass er nahezu nebenan gelegen war. Jetzt allerdings sind wir umgezogen und dass Pappa e Ciccia ist ziemlich weit weg. Bestimmt 15 Minuten Radweg.

Unstet sind seither unsere Freitage. Im Brot und Rosen an der Ecke waren wir mehrfach, auch ein Italiener, aber da fehlt es an der fröhlichen Quirligkeit des Pappa e Ciccia, die Gäste wirken alle ein bißchen gedämpft, etwas Herbstliches wallt durch die Räume - wir sind da nicht so heimisch geworden. Für das Chez Maurice um die Ecke gilt etwas Ähnliches. Man isst ziemlich gut da, das ist es gar nicht. Es ältelt halt so ein bißchen. Es isst da oft nicht die nette, etwas aufgekratzte Nachbarschaft, sondern so ein wenig getragene Menschen, keine so reizvolle Umgebung, und so essen der J. und ich uns nun am Freitagabend etwas unbehaust durch den Prenzlauer Berg. Diesen Freitag waren wir einmal wieder im großartigen Filetstück (oh, das göttliche Pommersch Rind!), auch wenn da jedesmal am Nachbartisch irgendwelche Hornochsen lautstark ihre Bedeutung in Kunst und Medien in die Welt posaunen. Den nächsten Freitag geht es vielleicht wieder ins Sasaya, wo man so großartig Sushi isst wie fast nirgendwo sonst, aber einen festen Hafen, einen Ankerplatz am Ende der Woche, einen Laden, den man nicht aushandeln oder wählen muss, kurz: Ein Pappa e Ciccia diesseits der Greifswalder Straße ist nicht in Sicht.



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