Das Meer wäscht uns aus
Die ganze Nacht hatte der Sturm das Meer umgegraben, und das sommerliche Blau nach unten gespült. Grau und aufgerissen starrte der Ozean uns entgegen, an diesem Sommermorgen morgens um fünf, und am Strand lag der Abfall der See, den das Wasser aufs Land geworfen hatte. Mit nassen Hosen, frierend auf dem feuchten, harten Sand, tranken wir die Flaschen leer und rauchten, als gelte es, unbekannte Mächte mit Brandopfern zu versöhnen. Ein paar Meter entfernt hatte es einen Rinderschädel mit eingedrückter Hirnschale aufs Trockene gespült, ein paar Quallen und alte Seile dazu, und zwischen den Muscheln lagen die Reste brauner Knochen, keiner länger als drei, vier Zentimeter. Vor uns lag die Nacht noch in schweren Wolken über den Wassern, und mit geschlossenen Augen ließ ich mich in den Sand fallen, müde von den vielen Worten, und blies den Rauch der Zigarette in die scharfe, salzige Luft.
„Nur bis zu den Knien.“, hörte ich den J.² sagen, die kurzen Antworten des R., und schlug die Augen auf. „Ich komme mit.“, sagte ich, und ließ die Jeans am Strand, wo der R. auf uns wartete. Das Wasser fühlte sich kälter an als am Vortage, schwerer, als hätte der Sturm die Masse zusammengepresst und verdichtet. Stumpfgrün zog das Meer an unseren Beinen, und Hand in Hand gingen wir der Dunkelheit entgegen bis das Wasser mir bis zur Hüfte reichte und kraftvoll zurückwich, um Sekunden später zurückzukehren und mir ins Gesicht zu schlagen. „Lass uns umkehren.“, zog der J.² an meinem Handgelenk, und ich schüttelte den Kopf. Ein paar Meter hinter mir blieb er stehen.
Immer ziehender wurde das Meer, die Wellen schlugen zusammen über meinem Kopf und trieben mit ihrem Salz den bitteren, betäubenden Geschmack der Nacht aus meinem Mund. Für Sekunden hob ich die Beine vom Boden, um mich wegtragen zu lassen, der Nacht hinterher, und setzte Schritt für Schritt den Weg fort, der Mitte des Meeres entgegen, wo es dunkel werden würde und kalt.
In der Mitte aber, in der Mitte des Meeres auf einem Stein, säße einer mit abgewandtem Gesicht, und würde auf mich warten. Auf seinem Schoß würde ich sitzen, das Gesicht in seine Halsbeuge gepresst, und mich festhalten an seinen Schultern, und er würde Stück für Stück mir das Fleisch von den Armen beißen, bis nichts mehr über wäre, und der nächste Sturm die Knochen an den Strand spülen würde.
Keiner länger als ein paar Zentimeter.
Aber als North Beachboy muss ich mir diese sinistre Ozeankonnotation sofort wieder aus dem Kopf schlagen.