Das tibetanische Steinsalz
Nichts Essbares ist Ihnen fremd, Sie können mit verbundenen Augen die weißen Trüffel des Piemont von ihren Lombardischen Verwandten unterscheiden, die teuerste Trinkschokolade Berlins von Domori war Ihnen schon 2003 € 18 wert, und Sie trinken seither keine andere mehr. Sie hatten schon vor fünf Jahren indischen Gin in ihrem Schrank, und wissen heute schon, welche walachischen Winzer nächsten Sommer ganz groß rauskommen. Ihre Freunde lieben Sie für die Qualität Ihrer Gelage und halten respektvoll den Atem an, wenn Sie zu Gast sind und irgendetwas essen. Wenn aber Ihnen jene Menschen, die Sie Ihre Freunde nennen, auch nur eine einzige der schokoladenüberzogenen Kaffeebohnen von Sawade, nur ein einziges Eclair bei Albrecht in der Rykestraße wert sind – dann, oh mein teurer Leser, geschätzte Leserin: Dann lassen Sie gefälligst Ihre Freundinnen zu Hause, wenn Sie einkaufen gehen.
Aber fangen wir von vorne an:
„Magst du mitkommen, ein paar Besorgungen machen?“, säuselt die D. also in den Hörer und lockt ihre liebe Freundin Modeste an einem Dienstagmorgen um halb elf aus dem warmen Bett auf der Jagd nach der Königin des Natriumchlorids, der weißen Lilie aus dem Zaubergarten mineralischen Wohlgeschmacks, kurz – auf der Jagd nach dem tibetanischen Steinsalz.
„Selber schuld, wer mitkommt.“, entgegnen Sie mir? Soll, denken Sie, doch einfach ablehnen, wer es nicht ernst meint mit der Suche nach wahrhaftem Genuss? Mit so etwas muss man einfach rechnen, wenn man mit Frau D. einkaufen geht? - Dass aber ein Spaziergang durch einfach alle Feinkostgeschäfte einer Dreimillionenstadt auch für die in allen Stahlgewittern der Feinkostbeschaffung hartgesottenen Menschen in dieser Form nicht ohne weiteres vorhersehbar war, das, liebe Leser, das sollte jedem anständigen Menschen ohne weiteres einleuchten.
Ins Lafayette, in Ordnung, und auch das Fräulein Modeste hat schon manche Stunde vor den Vitrinen der Pâtisserieabteilung verbracht, den letztjährigen Staatshaushalt der Republik Burkina Faso an der Käsetheke verbraten und ganz hinten in der Ecke beim Fisch mehr Austern gegessen, als für irgendeinen Menschen gesund sein kann. Eine Epicerie gibt es auch, „Fleur de Sel“ kann man da aus einfach allen Gegenden Frankreichs kaufen, in ansprechenden Leinensäckchen mit Seidenschleifchen zugebunden, ein paar Gläschen mit grobem Meersalz und einige gutaussehende Streuer. Wenn die D. aber an dieser Stelle dieses Ausflugs ihre liebe Freundin Modeste beobachtet haben würden, wie sie ein wenig gelangweilt vor der Theke mit den Konfitüren steht, dann würde sie schon in diesem frühen Stadium des Ausflugs bemerkt haben, dass ein Salzkauf an Ort und Stelle eigentlich eine ganz gute Idee gewesen wäre.
„Wo willst du denn jetzt noch hin?“, ist eine eigentlich auch kaum mehr missverständliche Äußerung eines gewissen Überdrusses der jeweiligen Begleitung an der jeweiligen Situation, und wer dann noch weiterzieht, das Hawaiianische Meersalz in einem kleinen Gewürzgeschäft verschmäht und afrikanisches Meersalz in der dekorativen Frischebox mit exklusivem Holzlöffelchen aus ungeklärten Gründen für unzureichend erklärt, der hat es nicht besser verdient, als jene an sich und meistens von mir hochgeschätzte Dame, die in dem ungefähr achten Geschäft, das irgendwo in Berlin Mitte Salz und Gewürze anbietet, sich auf einmal ihrer Meisterin gegenübersah.
Die Meisterin war leider nicht ich. Ich, zermürbt von der Reise durch die leuchtenden Gefilde des Salzes, stand schweigend und ein wenig bockig zwischen den beleuchteten Regalen und fühlte mich ein wenig wie eine Achtjährige, die ihre Mutter beim Schuhkauf begleiten muss. So rein äußerlich war das meisterhafte an der Meisterin, welche die Position einer Verkäuferin in diesem Geschäft einnahm, übrigens nicht allzu aufdringlich sichtbar. Hochgewachsen war sie natürlich, wie es Meisterinnen zukommt. Blond, mit schönen, goldenen Ringen in den Ohren, und mit einem so strahlend weißen seidigen Oberteil angetan, wie es sich für eine Priesterin des Salzes gehört.
„Muss es tibetanisch sein?“, frug die Meisterin, und meine Freundin schüttelte den Kopf. „Wir führen verschiedene Salzsorten aus dem Himalaya!“, flötete die Meisterin weiter, und ihre Kundin spitzte fast sichtbar die Ohren. „An welche Konsistenz hatten sie gedacht?“, führte die Meisterin das Verkaufsgespräch in immer konkretere Bahnen, und schwenkte mehrere Steingutgefäße, in denen sich Salz verschiedenen Mahlungsgrades befand. „Wir bieten dieses tibetanische Rosésalz an. Elegante Knusprigkeit, dezenter, vornehmer Geschmack. Besonders angenehm zu rotem Fleisch, harmoniert aber auch mit Gemüse.“ – „Hm.“, stand Frau D. der Meisterin unschlüssig gegenüber und nahm ihr die Dose aus der Hand. „Alternativ dieses sehr ergiebige Salz, ausgesprochen blutvoll. Kräftige Ausstrahlung, ein Torero, wenn sie wissen, was ich meine.“ Mit einer Dose Salz in jeder Hand stand meine Begleitung der Meisterin gegenüber, die weitere Behältnisse aus den Regalen nahm.
„Ein eher zurückhaltendes Salz aus Japan. Sehr gradlinig, subtil. Hoher Mahlungsgrad, eine feine Puderigkeit. Denken sie an ein fernöstliches Rokoko. – Und hier, ein englisches Salz. Maldon. Traditionsunternehmen seit 1882. Das ist so rein, das eignet sich hervorragend für`s Finish am Tisch. Oder dieses australische Salz, pfirsichfarbene Auswaschung. Besonders mild.“ – Bewundernd signalisierte meine Freundin der Meisterin Zustimmung.
„Ich geh` kurz eine rauchen.“, meldete ich mich ab und verließ das Geschäft. Hinter der Scheibe sah ich die Meisterin auf meine Freundin einreden, immer weitere Schmuckdosen, Holzgefäße, Leinenbeutel und Metalldöschen aus den Schränken ziehen, und meine Freundin nickte, nickte und nickte.
"Können wir jetzt los?“, unterbrach ich, als die Zigarette fertig geraucht war, und der Strom des Salzes immer noch kein Ende zu nehmen schien. „Einen Moment, Modeste.“, wurde ich abgewiesen, und erst, als wirklich alle Produkte, die das Geschäft zu bieten schien, einmal durch die Hände der Verkäuferin gegangen waren, schritt meine Freundin an den Kassentisch, zückte ihre Kreditkarte, und die Meisterin packte Salz für € 33,68 in eine ansprechend bedruckte Papiertüte.
„Für sie habe ich auch noch was!“, wandte sich die Meisterin beim Verlassen des Geschäftes erstmals an mich. Neben dem Kassentisch stand die Priesterin des Salzes, griff in eine Schublade und überreichte mir ein Zehn-Gramm-Döschen apricotfarbenen afrikanischen Salzes mit handgeschriebenem Etikett. „Zum Probieren.“, winkte die Dame uns hinterher.
„Nie wieder.“, stöhnte ich auf, als sich die Tür hinter uns schloss. „Die Frau versteht ihr Geschäft.“, sprach die D., warf einen zufriedenen Blick in die Tüte, und wir gingen.
So etwas, dachte ich bei mir, auf dem Weg die Friedrichstraße hinunter, so etwas sollte man seinen Freunden niemals antun.
Und das sage ich auch Ihnen. Und ich meine es ernst.