Die wirklich sehr große Pflanze des J.
Mit möglicherweise amüsanter Übertreibung könnte ich an dieser Stelle, meine Damen und Herren, von der verheerenden Wirkung meiner Gegenwart auf eigentlich jegliche Form der Flora berichten: Wie bereits im zarten Alter von ungefähr fünf die Erdbeerpflanzen und Möhren in meinem drei Quadratmeter umfassenden eigenen Beet im elterlichen Garten verdorrten, während Schwesterchens Wicken den ganzen Garten zu verschlingen drohten. Wie der Kaktus vertrocknete, der auf meiner Fensterbank stand, und wahrscheinlich alsbald gestorben wäre, hätte ich nicht die ganze Pflanzschale bei einem der seltenen Versuche, dem Kaktus Wasser zuzuführen, versehentlich aus dem Fenster gestoßen. Unzählige ungefähr gleichartige Geschichten könnte ich erzählen, denn der von mir misshandelten Pflanzen sind viele. Indes beschränke ich mich, um Sie, meine sehr verehrten Leser nicht mit diesen wirklich außerordentlich belanglosen Details meines Daseins zu langweilen, auf die Feststellung, dass meine Begabung zur Pflanzenhaltung sehr, sehr gering ist und nur von wenigen Menschen ein ähnlicher Tiefstand erreicht werden dürfte. - Eigene Tiere habe ich nie besessen.
Pflanzenlos kamen und gingen die Jahre, ab und zu kaufte ich mir Schnittblumen, und einmal im Jahr stellte ich einen Kräutertopf in die Küche, der dort unverzüglich verendete. Auch mein lieber J., geschätzter Gefährte bereits jener fernen Tage der ersten Semester, führte ein pflanzenloses Leben, und erst bei Bezug der ersten gemeinsamen Wohnung sollte sich herausstellen, dass die frühere Pflanzenabstinenz des J. lebensphasenbedingt war, und nicht auf einer Unfähigkeit beruhte. Der J. kaufte mehrere Grünpflanzen, stellte sie in unsere viel zu kleine Wohnung im viel zu schmierigen Friedrichshain, und jene wuchsen und gediehen. Mehrmals in der Woche goss der J. die Pflanzen mit Wasser, die Pflanzen wuchsen weiter, zogen mit uns nach Prenzl’berg, und als der J. auszog, nahm er seine Lieblingspflanze mit. Die anderen starben.
Befreit von meiner Gegenwart wucherte die Pflanze in der Wohnung des J. immer weiter und wurde riesengroß. Ihre harten, gummiartigen Blätter begannen, übergroßen und unförmigen Lappen zu ähneln, Luftwurzeln von beträchtlicher Länge ragen inzwischen in alle Richtungen durch die nicht sonderlich große Behausung des J., und selbst bei realistischer Betrachtung muss man zugeben, dass die Pflanze unterdessen ein Ausmaß erreicht hat, welches man ohne weiteres als urwaldhaft und leicht beängstigend bezeichnen könnte. Würde eines Tages mein lieber J. die Tür auf mein Klingeln nicht öffnen, und statt dessen blau angelaufen erwürgt von den fleischigen, sicherlich kraftvollen Strünken der Pflanze auf den Dielenbrettern seiner Wohnung liegen, so wäre ich sicherlich bestürzt, meine Überraschung indes hielte sich in Grenzen.
Wie man weiß, pflegt der britische Thronfolger mit seinen Pflanzen zu kommunizieren, und dies, so nehme ich an, setzt voraus, dass auch von Seiten der Pflanzen eine Reaktion erfolgt, denn kein vernunftbegabter Mensch würde jahrzehntelang antwortlos auf regungslos stumme Geschöpfe einreden. Auch des J. Pflanze zeigt eine deutliche Reaktion auf meine Gegenwart, so bilde ich mir ein, sie erzittert, wenn ich mich an ihr vorbei zum Fenster bewege, und ihre Luftwurzeln schließen sich enger zur Mitte, denn die Pflanze hat Angst vor mir, eine Angst, die sicherlich nicht ganz unberechtigt ist, da nach einer gegenwärtig nicht unwahrscheinlichen erneuten Haushaltsvereinigung die Pflanze, bedingt durch meinen verderblichen Einfluss auf derlei Geschöpfe, sicherlich auf ihr früheres Maß zurückginge, und vielleicht nicht einmal diesen Zustand zu halten imstande sein wird.