Das große schwarze Loch des privaten Lebens
Eine Entgegnung
Soso, denke ich mir, und lehne mich behaglich zurück gegen die weichgepolsterten Wände des Lochs, in der die deutsche Blogosphäre höchst privat ein wenig Zeit totschlägt. Politischer müsste man also sein, dann wäre man auch bedeutender, und bedeutend zu sein, entnehme ich diesen Zeilen des von mir hochgeschätzten Don D., muss eine großartige Sache sein, und überhaupt jeder sollte Bedeutung anstreben, die in der Sphäre des Politischen offenbar eher beheimatet sein soll als im Reich des ganz und gar Privaten. Die Medien, die man so gemeinhin lesen kann, hätten allesamt versagt, und daher nun sei es an der Zeit, als engagierter Bürgerjournalist Missstände anzuprangern, den Datenschutz etwa, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und derlei Dinge mehr.
Tja, denke ich weiter. Liegt man also daneben, wenn man nicht an den Primat des Politischen glaubt? Wenn man auch nicht die Ansicht teilt, dass es große, wichtige Themen gibt wie die Widerlichkeit des hessischen Ministerpräsidenten Ro*land K*och, und kleine, bedeutungslose wie die Melancholie der glücklichen Liebe, das herzzerreißende Verblassen alter Bilder, und die Trauer morgens um vier, wenn man nach Hause kommt, und auf einmal merkt, dass alles, was wir tun, gleichgültig ist, und den Herzschlag der Welt nicht ändert. Ist es falsch, wenn man es ein bißchen egal findet, ob die private Krankenversicherung jetzt alle Leute nehmen muss, oder nur die, die mehr verdienen als andere? Schadet man der Relevanz der deutschen Blogosphäre, wenn man sich nicht merken kann, wer gerade Bundeslandwirtschaftsminister ist? Wenn man es sehr okay findet, nicht wählen zu gehen, weil der Regierende Bürgermeister von Berlin ein ohnehin eher dekoratives Amt ausübt, und die Frage, wer es innehat, das morgendliche Aufstehen vor Schließung der Wahllokale irgendwie nicht wert ist? Wenn einem Relevanz im Sinne von Einfluss oder auch nur im Sinne des Wahrgenommen-Werdens eigentlich auch ziemlich gleichgültig ist?
Wenn man davon überzeugt ist, dass angesichts der Vielzahl der zu berücksichtigenden Interessen jeder mehrheitsfähige Kompromiss notwendig etwas durchaus Krötenhaftes an sich hätte, und die Welt schon nicht untergehen wird, egal, ob etwas nun sehr oder nur ein bißchen ärgerlich ist? Weil meine Welt in ihren wesentlichen Zügen okay ist, wie sie ist, und es mir jedenfalls nicht wert ist, die Zeit und das Interesse aufzubringen, daran etwas zu ändern?
Warum, denkt man bei sich, ist es nicht einfach eine tolle Sache, dass es den deutschsprachigen Bloggern bei allen subjektiven Einschränkungen offenbar gut genug geht, um das, was das Leben der meisten Menschen viel, viel mehr bewegt als alle Politik, wichtig und ernst nehmen zu dürfen, und zu schreiben, was man mag, was berührt, was wichtig erscheint, was das Leben verändert, und die öffentlichen Dinge nur als ein Thema von vielen zu behandeln, dessen Unterhaltungswert sich ebenso wie seine Relevanz sehr in Grenzen hält in diesem lauen Herbst unseres digitalen Biedermeier.
Dies alles aber hat für mein Leben - wie für das Leben der meisten Leute - keine besondere Bedeutung. Dass es arm und reich gibt, "neu hier" und "immer schon da", dreiste Macher und skrupulöse Prediger, das finde ich völlig normal und nicht weiter skandalös. Ab und zu ist es ganz amüsant.
Man mag mal mehr und mal weniger einverstanden sein mit der Handhabung der öffentlichen Angelegenheiten, aber einen Vorrang des Öffentlichen vor dem ganz und gar Privaten mag ich nicht anerkennen. es ist mir nicht nachvollziehbar, warum es vorzugswürdig sein soll, sich diesen Dingen mehr zu widmen als den Dingen, die tatsächlich mein Leben ausmachen. Die Welt besteht nicht von vorn bis hinten aus Problemen, die man lösen sollte oder kann, sondern aus lauter Dingen, deren Betrachtung und Beschreibung sich selber genügt. Man schreibt ja nicht, um zu verändern, sondern um zu schreiben. Ich denke, das reicht.