Für mich
O wie blüht mein Leib aus jeder Ader
duftender, seitdem ich dich erkenn;
sieh, ich gehe schlanker und gerader,
und du wartest nur-: wer bist du denn?
Rainer Maria Rilke, 1906
Vor ein paar Monaten, im Herbst: Die auf einmal offene Autotür, der Schreck, der Sturz, mein umgekipptes Fahrrad, der ipod, der die ganze Zeit weiter singt, singt, singt, und ich liege auf der Straße dazu.
Fast eine ganze Minute biegt sich die Welt, will brechen, bricht doch nicht, weil kein Auto kommt, mich zu überfahren, und dann stehe ich wieder auf, klopfe mir die Hosen ab und lasse mir aufschreiben, wer mich beinahe umgebracht hat, an diesem Morgen um halb neun. „Das wollte ich nicht.“, entschuldigt sich ein junges, blondiertes Mädchen mit Pausbacken und zu viel Schminke.
Die Punkte über dem „I“ im Namen des Mädchens bestehen aus kleinen, halbgeöffneten Kullern, und an ihrem Handy hängt ein rosafarbenes, glitzerndes Herz. Auf dem steht ihr Name.
So also sieht der Tod aus, schießt es mir durch den Kopf, unrichtigerweise, denn ich lebe ja noch, und fahre weiter zur Arbeit. Ziemlich unsicher trete ich die Pedale am Alex vorbei nach Kreuzberg und lächele ein bißchen über mich, die lieber einem schöneren Tod begegnet wäre, einem schlanken, biegsamen, eleganten Herrn mit weißem Shawl, mit sicherem Griff und festen, warmen Händen.
Wenn die Dame weiter so schusselig fährt, erwischt sie sicher noch den
passenden jungen Mann mit Piercing und weißer Turnhose.