Madame Modestes Bildungsreform (Ein Einwurf)
Recht gern lese ich, etwa in der Zeit oder so, ellenlange, sorgenschwere Artikel über das Schulsystem und freue mir ein Loch in den Bauch, dem Bildungswesen der Republik entkommen zu sein. Abgesehen von zwei Staatsexamina habe ich keine Schäden davongetragen, die nicht nach einigen Jahren wieder von selbst verschwunden wären. Denn tatsächlich verhält es sich doch so:
Schule ist schrecklich. Man wird mit lauter Leuten zusammengesperrt, von denen man mit rund zwei Dritteln freiwillig nie sprechen würde. Mit dem Rest wäre man auch so befreundet. In der Grundschule hat man vor den großen, dicken Kindern Angst, die schon einmal sitzengeblieben sind und den aufkeimenden Frust einer im Ansatz gescheiterten Bildungskarriere an denjenigen Sprösslingen auslassen, die Lesen und Schreiben können. Vor den fiesen Kindern versteckt man sich dann in der großen Pause auf der Mädchentoilette, zu dritt in der engen, stinkenden Kabine, während die künftigen Empfänger staatlicher Transferleistungen mit schmutzigen Fäusten gegen die Türen bollern. Im Gymnasium wird das dann deutlich besser, aber angenehm ist etwas anderes.
Die meisten Lehrer sind dumm. So gut wie niemand, der klug und schnell, elegant und witzig ist, findet Gefallen daran, vor einer Horde Minderjähriger zu stehen. Lehrer werden zumeist Menschen, die zu unsicher oder zu unfähig sind, sich in der Konfrontation auf Augenhöhe zu behaupten. Der Versuchung, nach Abschluss der Schule möglichst schnell wieder in selbige zurückzukehren, geben fast regelmäßig nur jene Leute nach, die – oft mit Recht – annehmen, in jedem anderen Lebensbereich vorhersehbar zu scheitern. Ich habe über 13 Jahre sehr, sehr wenige Lehrer getroffen, denen ich zugetraut hätte, auf einem anderen Spielfeld zu reussieren, und diese wenigen waren fast ausnahmslos Frauen der heute älteren Generation, die eine Generation später mit hoher Wahrscheinlichkeit einen anderen Beruf ausüben würden. Wer aus meinem Jahrgang Lehramt studiert hat, ist im Regelfall keine Persönlichkeit, die ein Kind inspirieren könnte.
So gut wie nichts, was man in der Schule erfährt, könnte man nicht auch woanders lernen. Lesen und Schreiben hat mir meine Mutter beigebracht. Fast alles, was ich über Literatur, Kunst, Musik oder Geschichte weiß, weiß ich aus Büchern. Den Rest habe ich zu Hause gelernt, am Esstisch im Gespräch oder an den Tischen anderer Familien, in Museen oder einfach so, im Vorübergehen. Über Naturwissenschaften weiß ich quasi nichts. Daran haben 13 Jahre nichts geändert.
Ansonsten: Mein gesamtes Sozialverhalten stammt von zu Hause. In der Schule hätte ich vielleicht lernen können, wie man auch mit Leuten umgeht, die man für beschränkt und grobschlächtig hält. Indes ist mir dies nie in einer Weise gelungen, die zu überzeugenden Ergebnissen geführt hätte. Wie man eine gute Freundin, eine angenehme Bekannte ist – das wird man in der Schule nicht lernen. Wer zur Freundschaft nicht begabt ist, wird diese Begabung nicht erwerben, nur weil er täglich Menschen trifft, mit denen er sich befreunden könnte.
Spricht damit nichts für, aber alles gegen die Schule, so stellt sich die Frage: Muss eigentlich dermaßen viel Geld ausgegeben werden für ein obsoletes System? Kann nicht jeder einfach so vor sich hin lernen? Reicht es nicht aus, jedes Jahr zentrale Prüfungen zu veranstalten, die jedes Kind absolvieren muss, und wer durchfällt, muss so lange schreiben, bis er besteht? Wieso erhält nicht jedes Elternpaar ein dickes Buch mit dem kompletten Curriculum und gute Tipps über Lehrmaterial, und kann dann sehen, wie es dies in sein Kind hineingebimst bekommt? Reicht es nicht aus, um auch komische Kinder komischer Leute nicht bildungstechnisch komplett verwahrlosen zu lassen, den Bezug etwa von staatlichen Sozialleistungen an das Bestehen der Prüfungen zu koppeln oder einen Idiotenaufschlag von 5% auf die Einkommensteuer zu erheben? Vielleicht werden dann sogar alle viel gebildeter als jetzt, derweil es ja nicht sehr gut zu funktionieren scheint mit dem flächendeckenden Erwerb von Wissen und Fähigkeiten?
Für die Leute aber, die gern zur Schule gehen, kann man ja pro Stadtteil einfach eine dieser Einrichtungen offen lassen. Für die Kinder, die allein nichts anzufangen wissen mit ihrer Zeit.
nicht unwitzig;-)