Kunst und Hausverwaltung

Nun, meine Damen und Herren, ich sehe Sie enttäuscht: Aus diesem Hut springt auch diese Woche wieder kein einziges Kaninchen, und überhaupt ist mein Tun und Treiben gegenwärtig arm an Überraschungen, ohne allerdings jenen interessanten weltschmerzlichen Überdruß hervorbringen, welcher sich dann wiederum publikumswirksam ausstellen ließe:

Am Morgen stehe ich auf, den Tag über versuche ich unter Ächzen und geräuschvollen Missfallensbekundungen, die keiner hört, die Berge von Arbeit auf und neben meinem Schreibtisch zu verkleinern, und am Abend verlasse ich das Haus, um mit lieben Freunden an öffentlichen Orten zu essen oder zu trinken und sich dabei ziemlich viel zu erzählen. Des Nachts verstaue ich meine Sehhilfen ordentlich in eigens zu diesem Zweck fabrizierten Döschen aus Plastik und bestreiche mein Gesicht mit einer Creme, die vorzeitiger Hautalterung vorbeugen soll, die, wie man hört durch den Genuss von Tabakwaren gefördert würde, die ich nicht aufhören kann in möglicherweise übertriebenem Maße zu konsumieren.

Um Sie, mein geschätztes Publikum indes nicht vollends zu langweilen, und Sie zu sofortiger Kündigung des Abonnements dieses Blogs zu veranlassen, sehe ich mich also gezwungen, anderer Leute Kaninchen aus meinem Zylinder zu fischen, ein Prachtstück an Kaninchen allerdings, ein glanzvolles Produkt der Zweitverwertung jener Gegenstände, denen Sie oder ich uns vielleicht erst kürzlich entledigt haben.

In ihrer Einzimmerwohnung in Friedrichshain begab es sich nämlich, dass eine Studentin der freien Künste eines Tages begann, ob für´s Studium oder zu rein privaten Zwecken, aus allerlei Abfall eine Skulptur zusammenzukleben. Mag der Müllmann eine Hommage an den großen HA Schult dargestellt haben, oder mag er einfach nur so das Herz seiner Urheberin erfreut haben – aus Röhren, altem Haushaltsgerät und Blechdosen, alten Zeitungen und den Resten eines sogenannten Badezimmerradios in Form eines bunten Fisches entstand nach und nach ein ungefähr 150 Zentimeter hoher Zeitgenosse, der lustige Geräusche machen konnte, kam man dagegen. Weil die Künstlerin am oberen Ende und am unteren Ende des Rumpfes jeweils die Enden eines Plastikrohres angebracht hatte, konnte der Müllmann sogar urinieren, wenn man ihm zu trinken gab. Um Beschädigungen der Dielen durch derart aufgebrachte Feuchtigkeit zu vermeiden, trug der Müllmann eine Windel, die ursprünglich der Versorgung inkontinenter Menschen zu dienen bestimmt war und von einem Freund des Hauses aus einem Seniorenheim entwendet worden war.

Eines Tages aber kam das Unheil über den Müllmann, und wie so oft kündigte auch in diesem Fall das Schicksal sich auf so leisen Sohlen an, dass die Künstlerin keinen Grund sah, eben jenes zu vermeiden. Es wäre ihr indes auch nicht leicht gefallen, dem Übel aus dem Weg zu gehen, das in Gestalt der Hausverwaltung über ihren Müllmann kam, denn jener war mit der Zeit und bedingt durch die nicht allzu feste Verbindung seiner Teile, ein wenig immobil geworden.

Die Hausverwaltung schrieb also, weder durch Art noch Inhalt des Schreibens Misstrauen erregend, die Künstlerin in ihrer Eigenschaft als Mieterin an, und bat um Zugang zu der Wohnung, um einen Mangel an den Balkonen erst begutachten und sodann beseitigen zu können. - Arglos gewährte die Künstlerin der Hausverwaltung Zugang zu ihrem Heim und ließ das Unheil in Gestalt eines Mitarbeiters jenes Unternehmens in jene 38 m², die sie mit dem Müllmann bewohnte.

Was sich so ganz genau während der Besichtigung zwischen der Künstlerin und dem Abgesandten der Hausverwaltung abspielte, darüber können wir mangels genauer Kenntnis nur spekulieren. Fakt ist indes, dass wenige Tage später ein Schreiben der Hausverwaltung bei der Künstlerin einging, den Müllmann „unverzüglich“, so hieß es in jenem Brief „zu entfernen“. - Natürlich kam das gar nicht in Frage.

„Kunst!“, rief markig die Urheberin des Müllmanns. - Hygienische Gründe, gab die Hausverwaltung zurück, verböten indes die langfristige Lagerung von Haus- Sperr- und Sondermüll in zu Wohnzwecken genutzten Räumen. Ihr Müllmann sei nicht schmutzig und ziehe keineswegs Kleintiere an, wandt die Künstlerin wenn auch vergeblich ein. - Fabulierte die Hausverwaltung sogar von Ratten, sprach die Mieterin um so lauter von kreativer Selbstverwirklichung, bis beide Seiten müde der eigenständig geführten Auseiandersetzung jeweils einen Rechtsanwalt einschalteten.

Drohungen mit Kündigung des Mietverhältnisses kreuzten sich mit Ausführungen über den die liberale Gesellschaft geradezu konstituierenden Wert der Freiheit der Kunst. Gütevorschläge, den Müllmann in einer alten Remise unterzubringen, wurden mangels Beweglichkeit des Kunstwerks entrüstet abgelehnt, weitere Kompromisse nach diesem Entgegenkommen weit von sich gewiesen, und gut stehen die Chancen, mit dem Hausgenossen der Kunststudentin dermaleinst noch das rostige Herz des Amtsgerichts zu erfreuen.
KleinesF - 8. Aug. 2005, 10:51 Uhr

Läuft doch auch ohne Inhalt auf Inhalt hinaus.
che2001 - 8. Aug. 2005, 11:02 Uhr

Ach Modeste, ach,
so langweilig mutet Dein Alltag gar nicht an.
Das Abends an öffentlichem Ort Essen und Trinken und dabei
sehr viel Erzählen ist doch etwas sehr Schönes, und keineswegs
für Jeden/n und überall selbstverständlich. Die Alternativen
"vor dem Fernseher einnicken" und "Bis Mitternacht am Rechner
arbeiten" sind doch sehr verbreitet. Und wenn ich auch bisweilen
Dinge tue, die weitaus spannender und gefährlicher sind als irgendetwas,
das in den normalokonventionellen Alltag gehört, kann es doch andererseits
Wochen dauern, bis ich mal dazu komme, mich mit Freunden in einer
öffentlichen Lokalität zu treffen.
Modeste - 8. Aug. 2005, 14:00 Uhr

Ja, Che, da hast Du recht, trotzdem ist mir irgendwie langweilig. Immer dasselbe, die vorhersehbaren Verläufe einer Nacht in Mitte oder eines Essengehens mit Freunden habe ich gerade ein bißchen über, ohne dass mir ernsthaft Alternativen einfielen, was sich denn statt dessen machen ließe, und amüsanter wäre.Vielleicht fehlt´s ein wenig an Überraschungen, natürlich nur solche angenehmer Art.
moccalover - 8. Aug. 2005, 11:08 Uhr

Na, das ist doch wunderbar für das zuständige Amtsgericht, die haben ja sonst viel zu selten was zu lachen. Ich würde mich über einen solchen Prozess jedenfalls freuen. Ist ähnlich skurril wie die vor Jahren mal meinen Schreibtisch querende Geschichte von der Rassenhündin, die durch den Maschenzaun hindurch von Nachbars Bastarden-Fido geschwängert wurde. Frauchen Züchterin wollte natürlich Schadensersatz.

Kunst und Miete verträgt sich wohl nur allzu selten; grad gestern Nacht haben wir bei uns wieder die Grenzen des Möglichen durch lautes Singen ausgereizt. Scheint aber gutgegangen zu sein, ich lebe noch. Schlafen konnte ich danach selber nicht. Und ganz zu schweigen ist in diesem Zusammenhang vom Zielkonflikt der Ausübung von Balkon-Grillkünsten und dem Recht der anderen auf freie Atemluft.
Modeste - 8. Aug. 2005, 14:30 Uhr

Oh, Herr Moccalover, Sie sind vom Fach? Aber hoffentlich nicht der Kollege vom AG Mitte, der meine Freundin J. als Klaus-Kinski-Look-a-like erst letztlich mit ausladender Gestik und ungefähr acht Ringen mit großen Glassteinen bezaubert hat? Sie hatte nach der Verhandlung ernsthaft überlegt, zu ihm vorzudringen und ihn auf einen Kaffee einzuladen, war sich aber unsicher, ob einer der vielen Ringen vielleicht ein Ehering hätte sein können.

Lautes Singen in Mietwohnungen finde ich bei weitem nicht so schlimm wie geigenspielende kleine Mädchen oder Menschen, die Klaviere einfach so auf ´s Parkett stellen und dann ausprobieren, was von dem Unterricht von vor zehn Jahren noch übriggeblieben ist. - Was singen Sie denn so? Handelt es sich eher um spontane Gesänge aus Lebensfreude oder organiserte Gesänge im Rahmen von Hausmusik?
che2001 - 8. Aug. 2005, 16:14 Uhr

Na ja, vielleicht kann ich ja Deine Stimmung heben. Komme demnächst vorbei!
moccalover - 8. Aug. 2005, 19:48 Uhr

Jawoll, Frau Modeste, genau der bin ich! [Die Ringe funkeln und klimpern…] Zu schade, dass sich Ihre Kollegin nicht traute, mich zu einem Kaffee einzuladen. Sie ahnen ja, wie bestechlich ich bei Aussicht auf einen Mokka werde! Sie hätte das schon hingekriegt, obgleich ich mich mit Vorzug mit weiblichen Parteien lieber noch als mit deren Vertreterinnen einlasse. Und übrigens: Natürlich sind sämtliche meiner fünfzehn Ringe Eheringe. Die meisten allerdings zeugen von Vergangenem, nur drei (eine in Deutschland und zwei in Nahost) sind gewissermassen aktuell. Aber das hätte Ihre Kollegin doch nicht abschrecken müssen!

Nun, Sie werden es bemerkt haben: Mit all diesen schweren Ringen an den Fingern kann ein Mensch keine Tastatur bedienen und ergo auch nicht bloggen. Ich habe mich zu fest von Ihrem neuerlichen Träumer-Beitrag inspirieren lassen. Ich kenne diesen edlen Glassteinringmagistraten nicht, bin also nicht er. Aber ich habe mich heute Nachmittag ob Ihrer Beschreibung dreimal um den Bürotisch gewickelt vor Lachen!

In Wahrheit arbeite ich auf der Fachberatungsstelle für Gleichstellungsfragen der städtischen Bauverwaltung, Abt. Formularbeschwerden. Ich habe keine Glassteinringe, dafür aber lasse ich meinen Autoschlüssel mit dem unverkennbaren, dicken Logo immer schön sichtbar auf dem Schreibtisch liegen, was auch ganz effizient ist. - Wie, Sie glauben mir nicht? Ihnen kann man nicht so schnell was vormachen, was? Nun ja, eigentlich ist es ja geheim, aber ich bin Sonderbeauftragter des Bundeskanzlers und arbeite an der Regierungserklärung der grossen Koalition.

Schluss mit Flachsen, sagen Sie? Kommen Sie, die Wahrheit interessiert doch keinen!


Ja, ich bin vom Fach, aber noch nicht so weit, dass meine Position alleine mir schon Einladungen von irgendwem einbrächte (und das ist auch nicht mein Ziel). Ich bin - wie sagt man das bei Ihnen? Referendar? - Praktikant mit Fernblick auf das Anwaltsticket. Zurzeit an einem erstinstanzlichen Gericht weit draussen auf dem Lande.

Und: Hausmusik wäre als Beschreibung nun wirklich zu hoch gegriffen. Lebensfreude und Spontaneität sind da viel treffender. Einer meiner Mitbewohner spielt leidlich Gitarre, und dann ist es jedes Mal ungefähr dasselbe Repertoire, das wir (jeweils zu später Stunde) meist lautstark, aber auch mal zärtelnd, abklappern: Ein bisschen Beatles, ein paar lokale Mundartgruppen und vor allem der Übervater der Berner Mundartszene: Mani Matter . Und unser momentanes Lieblingslied: Buenos Tardes, Amigo von Ween.
Modeste - 8. Aug. 2005, 22:31 Uhr

Schade, Herr Moccalover - meine Freundin hätte sich so gefreut! Na, wäre auch zu schön gewesen ;-)

Ich fürchte allerdings, ich muss Sie enttäuschen, was die Einladungen angeht - auch als fertiger Anwalt halten sich die Einladungen schwer in Grenzen. Wie ich aus berufenem Munde erst am Samstagabend vernommen habe, scheint dies auch bei männlichen Anwälten nicht anders zu sein, auch die Position eines wissenschaftlichen Mitarbeiters an der Uni verschafft offenbar kein ausreichendes Sozialprestige, um von bewundernden Damen verfolgt und eingeladen zu werden. Vermutlich muss man mindestens professorale Würden erreicht haben, dann wird das vielleicht was.

(Oder ein richtig cooles Blog - dann brauchen Sie auch keine Ringe. Die haben alle massig Verehrerinnen, die sie immerzu einladen, glaube ich.)

(Der Klaus-Kinski-Richter mit den vielen Ringen waltet seines Amtes am AG Mitte, und ist da für Verkehrssachen zuständig - vielleicht kennt ihn ja einer der Berliner Leser.)
mcwinkel - 8. Aug. 2005, 22:08 Uhr

Wie das da wohl riecht? Man mag nicht daran denken... Schade, dass es hierzu kein Bildmaterial gibt...

Ist es so, dass Zigaretten Falten machen? Auch Lights? Entweder ich höre auf, oder... was kostet nochmal eine Familienpackung Botox?
Modeste - 8. Aug. 2005, 22:24 Uhr

Von den nachteiligen Folgen des Rauchens auf die Gesichtshaut hört man immer wieder, ich halte diese Gerüchte allerdings nicht für vertrauenswürdig. Man muss nicht alles glauben, was in der zeitung steht.

Was die Geruchsentwicklung angeht, so glaube ich, dass ausschließlich nicht organische Materialien Verwendung gefunden haben, nicht so wie im Falle meiner Mitbewohnerin, die ein Projekt zur Visualisierung der Zeit unter anderem anhand eines Käsebrotes in unserem Badezimmer über einen wirklich ziemlich langen Zeitraum laufen ließ. Da sich das Projekt im Inneren einer undurchsichtigen Tüte befand, war das nicht so schlimm, es ist aber doch erstaunlich, wie schnell und gleichzeitig intensiv ein harmloses Brot mit Gurkenscheiben drauf den Weg alles irdischen vollzieht.
gheist - 9. Aug. 2005, 2:10 Uhr

Ich hatte zuerst eine Pygmalion o. Pinocchio Geschichte gewittert, aber solche koennen ja nicht mehr ins Leben treten, wenn Hausverwaltungen sich einschalten. Die Vermieterin vom Gauguin hatte ihm gekuendigt, da hatte er die Fresse voll, ab nach Tahiti aufm ersten Schoner, etc. ? Ob das das glaubwuerdig klingt....

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