berlin.amour
Ach, Berlin, denke ich. Du großartige Schlampe. Du fettes Weib mit den verwischten Tatoos und den Krampfadern am Hintern. Dir zuzuhören, wenn du in der U-Bahn deine Feinde beschimpfst, wenn du nachts einmal quer von den Klos bis zur Theke das nächste Bier für dich und deinen Süßen bestellst, und wenn du - elfenhaft und verjüngt und verschönt - morgens um vier an der Oberbaumbrücke der Sonne beim Aufstehen zuschaust und seufzt.
Aber seien wir ehrlich: Im Winter hassen dich irgendwann selbst deine Freunde. Deine Unfähigkeit, einmal nur den Winterdienst zu wuppen wie eine ganz normale Stadt. Der Dreck und die Dunkelheit. Die Distanzen, die auf einmal unüberwindlich werden, weil für ein Auto kein Platz ist in deinen Straßen, die Radwege buckelig vereist sind und die BVG voller Wahnsinniger, die schlecht riechen und mit sich selbst und anderen bedrohlich klingende Gespräche führen.
Sowas wie Frühling und Herbst gibt es bei dir nicht. Du bist ja nicht so für Schnickschnack, und Zwischentöne findest du doof. Überhaupt bist du immer ganz für oder gegen irgendwas und überlegst es dir immer so schnell anders, dass man keine Gelegenheit hat, sich auch nur eine Minute zu langweilen. Du bist brutal und cool und manche haben Angst vor dir, weil man nie weiß, was du in drei Monaten sagst oder tust.
Ganz du selbst bist im Sommer. Im Sommer riechst du nach Hundedreck und klebrigem Asphalt und bist trotzdem unwiderstehlich. Ich liebe es, wenn du in Mitte auf dem Kantstein sitzt, die Füße auf der Torstraße, und es ist morgens um halb vier und du trinkst Wodka und kannst kaum mehr sprechen und lallst mir etwas vor über das absolute Kunstwerk, das so perfekt ist, dass man es nicht sehen kann, denn sonst würde man blind. Du bist abstoßend und größenwahnsinnig und siehst fabelhaft dabei aus.
In deinen Parks gibt es schon im Juli mehr gelbes Unkraut als Rasen, aber du hast Spaß mit einem Federballspiel vom Flohmarkt und grillst mit allen deinen Freunden so lange Würste und Lämmer schwarz, dass ihr alle noch bis zum Herbst an Krebs sterben würdet, wenn die Leute recht hätten, die predigen, dass alles schlecht ist, was Spaß macht. Diese Leute haben es ohnehin nicht leicht mit dir: Du rauchst immer noch, weil du findest, dass das gut aussieht, du isst den größten Dreck und trinkst aus Prinzip. Überall in Deutschland ist Rauchen heute ziemlich verboten. Nur bei dir gilt das Rauchverbot ausschließlich in öffentlichen Gebäuden und Mutter-und-Kind-Cafés.
Überhaupt: Deine Kinder. In den Innenstadtbezirken hast du mindestens eins und nimmst es überallhin mit. Ich habe gelesen, du hättest gar nicht mehr Nachwuchs als woanders, aber du versteckst dich nicht in Vororten, sondern setzt dich mitten in die Stadt. Da sitzt du dann, trinkst Rhabarberschorle, isst eine Waffel und plauderst mit einer Freundin. Man sagt dir nach, du seist schrecklich anstrengend in deiner Rolle als Übermutter, aber ich weiß: Gegenüber den Vorortmamas mit dem Van bist du die lockerste Frau der Welt und deine Männer sind auch mit 40 noch ziemlich lustig.
Wenn du alt bist, wohnst du irgendwo im Westen. Ich kenne dich nicht, aber ich sehe dich manchmal, wenn ich in Charlottenburg bin. Im KaDeWe trinkst du Champagner mit deinen steinalten Freundinnen. Manchmal höre ich euer schrilles Lachen und hoffe, dass ich auch noch was zu lachen habe, wenn ich achtzig bin. Abends sieht man dich manchmal in der Deutschen Oper, dann führst du deinen Pelz und deinen Schmuck aus aus der Zeit, als du noch Frontstadt des Westens warst und für die Freiheit in Dahlem Sahnetorte essen musstest.
Tot aber, meine Liebe: Tot bist du nie. Du stehst erst mittags auf, wenn das geht, aber liegen bleiben wirst du nicht. Du hast dich immer aufgerappelt. Du bist nicht sentimental und hältst ganz gut was aus, wenn du musst. Wenn nicht, haust du schrecklich gern auf die Pauke. Du bist keine Dame, Berlin, aber du machst was her.
Soviel Spaß hatten wir zwei die letzten zehn Jahre. Cheers, Berlin. Auf all die Jahre, die noch kommen.