Das Scheusal
In durchaus ermüdender Weise spricht die ganze Stadt (zumindest der mir bekannte Teil) gerade über Kita-Plätze und Immobilien. In gewisser Weise ist das nicht weiter überraschend. Schließlich haben gerade alle kleine Kinder, die kleinen Kinder wachsen und werden groß, große Kinder brauchen eigene Zimmer, und außerdem steigen die Mieten so steil an, dass manchen Leuten morgens manchmal ein bisschen schwindelig wird, wenn sie vom Gipfel ihrer monatlichen Miete tief ins Tal auf die vormals lächerlich niedrigen Berliner Mieten herabblicken.
Bisweilen wünsche ich mir, man würde auch in meinem Umfeld wieder über Romane und Bands sprechen, aber dass man mit einer Frau, mit der man gerade eine weitere Kita um die Ecke besichtigt hat, vor der Tür der Kita auch über Kitas und Mieten spricht, versteht sich fast von selbst. Dabei gehen die Meinungen sofort auseinander: Ich fand die Kita okay, ich würde Kind F. sofort da unterbringen, wenn mir jemand einen Platz garantieren würde, was leider keiner tut. Die andere Frau ist da kritischer. Irgendwas war mit dem pädagogischen Konzept nicht richtig. Außerdem lernen die Kinder hier kein Englisch.
Ich unterdrücke ein nachsichtiges Lächeln. Welchen außerordentlichen Wert andere Leute der Beherrschung von Fremdsprachen bei Kindern beimessen, hat sich mir nämlich nach wie vor nicht erschlossen. Sollen die den alle Simultandolmetscher werden? Noch mein Großvater hielt die Fremdsprachenbeherrschung (und er sprach einige) für eine Schlüsselqualifikation vor allem für Kellner und Portiers. Macht es denn andere Leute nicht stutzig, dass wir alle, die wir da sind, mit unseren lächerlichen paar Jahren Schulenglisch in Brüssel verhandeln, in London lehren oder von Aachen aus mittels englischsprachiger Aufsätze die Ingenieurswelt rocken, um nur ein paar mir befreundete Beispiele aus meiner Klasse anzuführen, die es wegen Latein und Altgriechisch meist nur auf vier Jahre Englisch von Quarta bis UII gebracht hat? Englisch, das glaube ich bis heute, lernt sich irgendwie nebenher so, zumindest soweit, dass man damit arbeiten kann, aber mit dieser Annahme stehe ich offenbar inzwischen allein.
Um lange Diskussionen zu vermeiden, nicke ich nur, als die andere Frau sich dann über pädagogische Konzepte auslässt. Ich glaube nämlich nicht nur nicht an sprachliche Frühförderung. Ich glaube auch nicht an pädagogische Konzepte. Ich habe zwar wenig Vorstellungen davon, wie aus kleinen, sabbernden Säuglingen erwachsene Leute werden, die appetitlich essen, die Punischen Kriege und die Politik der Amerikanischen Notenbank gleichermaßen sinnvoll erläutern und denen man auch dann noch gern zuhört, wenn sie keine Ahnung haben, was Roland Barthes geschrieben hat, und trotzdem darüber sprechen. Sicher bin ich eigentlich nur über eins: Die Kindergartentanten haben nichts damit zu tun.
Die fremde Frau sieht das alles offenbar anders. Unsympathischer Weise findet sie auch nicht nur die Kindergartentanten wichtig. Auch die anderen Eltern stellen in ihrer Vorstellung eine überaus relevante Größe dar, weil sich Randständigkeit bei anderen Eltern offenbar irgendwie über deren Brut auf das eigene Kind überträgt. Ich bin sprachlos. Ich kenne einige Leute, die die gesellschaftlichen Schichten für sozusagen erblich halten. Leute, die die Zugehörigkeit zu dem, was man einmal die working class nannte, offenbar für ansteckend halten, sind mir ebenfalls suspekt. Vielleicht reagiere ich dermaleinst auch nicht begeistert, wenn Kind F. aus dem Kindergarten schreckliche Wörter und kleine Freunde, die das Messer ablecken, mit nach Hause bringt, aber so viel Statusbewusstsein, wie die andere Frau hier über die Straße trägt, ist mir suspekt.
Ich will das Gespräch beenden. Ich mag die andere Frau nicht. Außerdem bin ich zum Kaffee verabredet. Die andere Frau kommt noch ein Stück mit und wendet sich dann zur Tram. Auf dem Weg kommt sie dann auf das zweite Berliner Lieblingsthema zu sprechen. Die Mieten. Sie, gesteht sie mir in einem Anfall von Vertraulichkeit, wohne ja gar nicht hier. Das - so sagt die Frau unlogischer Weise (schließlich sind die Häuser voll) - könne sich ja keiner leisten. Sie werde nur ihr Kind hier melden, denn das Umfeld sei ihr wichtig, und für einen kurzen, sehr kurzen Moment spiele ich mit dem schnell unterdrückten Gedanken, bei der Kita anzurufen und genau das zu kommunizieren.
(Bei meinem Kaffee trinken ging es dann um - ja, ja: Kita-Plätze. Und Immobilien.)
Super ist es, wenn die Eltern zwei verschiedene Muttersprachen sprechen, dann kommt die Zweisprachigkeit umsonst. Doch irgendwie ist die Akzeleration, welche dann gesellschaftlich von Frühpension und Burnout von unter Dreißigjährigen begleitet wird, ziemlich eindeutig ein Schuss ins Knie. Die Leistungsbetonung ist ein Holler, (so sagt man bei uns in Wien) und das sage ich als jemand, der unheimlich leistungsorientiert erzogen wurde. Es hat mir nicht geschadet, weil ich mich ja sowieso gespielt habe. Doch es hat lange gedauert, bis ich mich gedanklich mit meiner Mutter ausgesöhnt hatte. Ich hatte das Gefühl, dass für sie nur die Leistung in der Schule, mit der sie vor Freundinnen angeben konnte, zählte.
Das prägt auch fürs Leben.
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Also konkret: spielerisch die Kinder was lernen lassen klingt ok. Aber dann vielleicht nicht chinesisch, sondern türkisch oder serbisch oder wer da halt sonst noch in der Kita integriert ist.
Mit Hintergedanken, den Kindern eine bessere Karriere zu ermöglichen? Absolutes Nogo!
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Ich lerne jetzt zum Spass chinesisch lesen und bin bei ca. 500 Worten. Es ist ein Genuss, etwas zu lernen, von dem man weiß, dass man es nicht mehr einsetzen wird können. Aber wer weiß, vielleicht überrascht einen ja noch das Leben.
Und mehr als chinesisch Lernen bleibt mir ja nicht mehr übrig, wenn die 30-jährigen sich mit einem 61-jährigen nicht abgeben wollen. (Oder eigentlich umgekehrt.)
(Also Deutsch, Englisch, ((Latein)), Französisch, Russisch, Serbisch, Chinesisch - vielleicht sollte ich doch noch einmal Spanisch lernen, das gilt ja als einfach:)