Der J. hat schlechte Laune
Im Dos Palillos
"Sei still.", zische ich den J. an. Der Laden habe einen Designpreis bekommen, und deswegen dürfe hier nicht gemeckert werden. Allerdings gebe ich zu: Auch für mich ist die Küche etwas sehr offen, und die lange Theke, an der die Gäste nebeneinander aufgereiht quasi auf der Weinmeisterstraße sitzen, ist nicht so besonders kommunikativ. Von dem R. und der C. drei Plätze weiter hören wir diesen Abend daher nahezu nichts.
"So ein Käse.", grantelt der J. von Gang zu Gang. 16 Gänge, jeweils bestehend aus einem oder zwei Bissen, werden serviert, etwas hochtrabender als es unbedingt nötig gewesen wäre, erläutert, und dann kommt binnen Minuten die nächste Schüssel.
Von den kantonesischen Walnüssen über die Wan Tan bis zu den Sommerrollen höre ich den J. neben mir leise ächzen. Dabei schmeckt das Essen gut, nur so besonders originell scheint es mir nicht zu sein, und mich beschleichen leise Zweifel, ob dieses in Barcelona offenbar sehr erfolgreiche Konzept auch in Konkurrenz mit den sehr guten asiatischen Restaurants Berlins bestehen kann: Allein in der unmittelbaren Umgebung des Dos Palillos kann man im Chi Sing sehr, sehr gut vietnamesisch essen, im Toca Rouge modern chinesisch, im Yum Cha Heroes gibt es wirklich ordentliche Dim Sum, und bis zu den Sushi und Nudelsuppen im Kuchi ist es auch nicht weit.
Als das bei 63° C gegarte Ei mit Schnttlauch kommt und mit wichtiger Miene mit einer Dashi-Brühe übergossen wird, schnauft der J. lauter. Ob es ihm um die € 65,-- für das Degustationsmenü zuzüglich Getränke leid tut, oder ob es ihm nicht schmeckt, ist nicht auszumachen. Dass angesichts eines aus lauter sehr kleinen Häppchen bestehenden Essens das Auf-Einmal-Verschlingen jedes einzelnen Gangs die richtige Strategie darstellt, bleibt indes einigermaßen fraglich. Die Miene des J. verzerrt sich ins durchaus Bedenkliche.
Der M.2 - der den Laden ausgesucht hat - weist auf den Reichtum der verschiedenen Geschmacksnuancen hin, und der J. murmelt irgendwas von "nachher noch irgendwo was Richtiges essen". Der Algensalat mit Makrele verstärkt die miese Laune des geschätzten Gefährten. "Ich will zurück ins Paris Moskau." knurrt es neben mir. In der Tat: In dem kleinen Fachwerkhaus beim Hauptbahnhof haben wir vor zwei Wochen mit dem R. und der I. - preislich ungefähr vergleichbar - unglaublich gut, wenn auch deutlich zu viel gegessen.
Überhaupt ist es nie ein gutes Zeichen, während des Essens das Essen woanders zu loben. Der J. ergeht sich über einem mit wichtiger Miene servierten Wokgemüse - vermutlich gut hörbar für die Kellnerin - über ein kürzlich verzehrtes Wagyu-Steak und lobt den Saumagenburger im Rutz.
Auch das an sich ganz gute Dessert macht die Sache nicht mehr besser. Der J. ist nun in ein beleidigtes Schweigen verfallen, kippt seinen Pfälzer Riesling mit finsterer Entschlossenheit zur Betäubung, und wirft ab und zu unheilschwangere Blicke in die Küche, in der die fünf oder sechs Köche oder Küchenhelfer nun aufräumen und putzen. Die ungewöhnliche Dauer des Bezahlvorgangs kommentiert der J. dann nur noch durch ein missbilligendes Grunzen.
An der Amano Bar vorbei schiebe ich den J. einmal durch die Odessa Bar und dann nach Hause.
werte frau modeste,
könnte man derartigen berichten wohl eine kurze warnung voran setzen, damit der ansonsten geneigte leser sich in diesen fällen zum erhalt der eigenen widerstandskraft wieder abwenden kann?