Der Sommer der Männer
"Schau mal!", sage ich zur charming Frau Kitty im Heinz Minki im Garten und deute auf einen jungen Mann mit Bart und einer safrangelben Kapuzenjacke. Hübsch sieht er aus. Hübsch sehen viele aus, wie sie gerade durch Kreuzberg oder Mitte laufen, lang und schlank, aber nicht so hager wie in den schrecklichen Hedi-Slimane-Jahren mit den dünnen Beinen. Der Mann 2011 ist zweifellos erwachsen und belegt dies mit einem schönen Bart.
Der Bart des Sommermanns 2011 ist schwarz. Ich habe keine belastbaren Zahlen über die Bartfarbe der Männer dieser Stadt, aber allgemeine Feldstudien letzte Woche in der Mittagspause zwischen Neuer Schönhauser, Münzstraße und S-Bahnschienen haben genau dies ergeben. Über die Augen des Sommermanns kann ich dagegen nichts sagen, denn er trägt Sonnenbrille. Gern noch die vom letzten Jahr mit dem weißen oder mintfarbenen oder lachsfarbenen Gestell, weil er viel zu lässig und viel zu arm ist, um ständig irgendetwas Neues zu kaufen. Selbst wenn er Geld haben sollte, ist davon nichts zu sehen, weil hier Berlin ist und man zumindest so tut, als sei Geld nicht da, aber auch kein Thema. Unabhängig von seiner Muttersprache spricht der Mann des Jahres übrigens oft, trifft man ihn, englisch.
Wenn der Sommermann Locken hat, dann zeigt er sie kurz geschoren und dicht wie ein römischer Kaiser. Hat er keine, trägt er eine Mütze. Diese Mütze ist aus Wolle und liegt nicht so eng an wie eine Mütze, die man zum Skilaufen auf dem Kopf hat. Eher ähnelt seine Mütze (gern oliv oder taupe) dem Beanie seiner Freundin. Die verblasst dieses Jahr so ein bißchen gegen ihn, weil die Damenmode dieses Jahr extrem dämlich aussieht, allein diese Jumpsuits, es ist zum Heulen, so dass die Freundin des Sommermanns nur die Wahl hat, unmodern oder unvorteilhaft auszusehen.
Viele der Männer, die mittags in Mitte essen oder die man abends bei Konzerten sehen kann, wie sie selbstvergessen und glücklich tanzen, sind muskulös. Sind sie sehr muskulös und unbefangen eitel, tragen sie im Sommer gern Unterhemden oder Shirts, die wie Unterhemden aussehen. Ihr Bizeps glänzt dann in der Sonne. Sie sehen super aus so, sehr gern würde man einen der Männer auffordern, die Muskeln einmal anzuspannen, und das feine Spiel der Adern unter der Haut zu bewundern. Ist der Sommermann nicht so muskulös oder sitzt er in Büros, wo man das nicht so macht, trägt er gut gebügelte weiße Hemden. In jedem Fall hat er ein Riesentuch um den Hals. Wenn er sich was traut, gern mit Lurex.
Selbst in Jodhpurhosen sieht er sehr, sehr gut aus. Die Hosen können farbig sein, so ein pudriger Ton, der nach Staub und Hitze aussieht, gut sitzende Jeans gehen auch, und wenn er Flipflops tragen sollte - was es gibt - dann hat er gepflegte Füße. Überhaupt ist der Mann des Jahres 2011 sehr gepflegt und gibt sich keine Mühe, es zu verstecken. Er riecht gut. Creed könnte er tragen oder Blenheim Bouquet. Vielleicht trägt er sogar Schmuck.
Was der Sommermann beruflich macht, weiß ich nicht zu sagen. Ich kenne solche Männer nämlich im Regelfall nicht, weil es in meiner Branche wenig solcher Männer gibt und ich kaum Männer ohne einen solchen Anknüpfungspunkt treffe. Ich rede mir ein, diese Männer hätten Geist und Geschmack, weil ich nur kluge Menschen schön finden möchte. Überraschend oft bestätigt sich diese Hoffnung: Letzte Woche habe ich einen solchen Mann vor YamYam sitzen sehen, der las Robert Byron, strich sich ab und zu eine der Locken aus der Stirn und sah dermaßen sterbensschön aus, dass ich ihn am liebsten photographiert hätte. Am Donnerstagmittag bei Dolores in der Sonne sprach ein anderes Prachtexemplar von Sommermann klug über Jonathan Meese, den ja gerade zu recht keiner mehr mag.
Wie der Sommermann im Winter aussah, kann ich mir nicht mal vorstellen. Ich will's auch nicht wissen, ich will keinen Sommermann haben. Ich will mich nicht einem solchen Mann verabreden und nicht mit ihm sprechen. Ich spreche ja überhaupt manchmal ungern mit Fremden. Nur anschauen will ich den Sommermann, mich an ihm erfreuen wie an einer Orchidee, weil er 2011 so großartig aussieht wie selten sonst.
Hach …