Erfolg
Beruflichen Erfolg finde ich richtig gut. Dafür bin ich dann auch bereit, notfalls auch einmal zu wenig zu schlafen, zumindest zeitweilig wochenlang bis nachts um elf am Schreibtisch zu sitzen und drei Geburtstage hintereinander mit Kollegen statt mit dem J. zu verbringen. Das ist okay, wenn im Gegenzug möglichst große, wilde Tiere durch brennende Reifen springen, wenn ich das will, und außerdem kann ich mit Geld nicht um und brauche deswegen ziemlich viel.
Wie bei den meisten Menschen hat mein Wunsch nach Erfolg und Geld aber eine klare Grenze nach oben. Ein Job muss mich zunächst einmal interessieren. Aber auch ein interessanter Job, der alles, was ich bin und kann, restlos auffräße, wäre mir zuviel. Einen Job, der mir weder Zeit für Freunde, noch Zeit für den J. und den F. ließe, der mir weder den Raum für dieses Blog noch für gutes Essen, Kino, Reisen und die Oper einräumen würde, möchte ich deswegen nicht haben. Man könnte also sagen: Erfolg ist mir so circa 50 - 55 Stunden die Woche wert. Mehr nicht. Für mich gilt also: Der richtige Job ist der mächtigste, angesehenste, interessanteste, bestbezahlte Job, der mit diesem Aufwand zu stemmen ist.
Für Anne Marie Slaughter scheint sogar noch etwas mehr zeitlicher Aufwand "richtig" gewesen zu sein. Der Job als Chefin des Planungsstabs im amerikanischen Außenministerium ging über das Budget an Zeit, die Slaughter der Erfolg wert war, aber offenbar deutlich hinaus. Als sie das anlässlich von Problemen, die einer ihrer Söhne in der Pubertät hatte, bemerkt hat, hat sie diesen Job verlassen und ist in ihren früheren Job als Professorin in Princeton zurückgekehrt. Nun scheint das Verhältnis wieder zu stimmen.
Mit der Frage, ob Slaughter eine Frau oder ein Mann ist, hat diese Geschichte aus meiner Sicht nun gar nichts zu tun. Die persönliche Obergrenze für den Aufwand, den ein Mensch für beruflichen Erfolg zu betreiben bereit ist, mag bei Männern traditionell etwas höher liegen, weil die meisten Männer noch immer weniger Zeit in Haushalt und Kindererziehung stecken als ihre Frau. Die Bereitschaft, viel zu arbeiten, ist aber auch bei Männern nicht unbegrenzt gegeben, und so wäre ebenso gut ein Mann vorstellbar, der mit dem selben Job eines Tages bemerkt, dass er zu wenig Zeit hat für Dinge, die ihm wichtig sind, und der deswegen kündigt.
Warum Slaughter ihre Kündigung trotzdem auf einen spezifischen Unterschied zwischen Männern und Frauen zurückführt, hat sich mir also nicht ganz erschlossen. Ihre Begründung, warum Frauen ihre Familie existentiell wichtiger sei als Männern (hier auf S. 3), erschöpft sich im rein Anekdotischen. Argumente, die die Allgemeingültigkeit dieser Einzelerfahrungen auf Frauen generell stützen, fehlen.
Bringt man diesen Teil des Aufsatzes also als unlogisch in Abzug, bleibt trotzdem Einiges übrig, was zu lesen sich lohnt. So ist die Forderung, Schul- und Berufsleben sollten zeitlich besser aufeinander abgestimmt werden, sicherlich richtig. Auch der Wunsch, Karrierewege mögen flexibler werden, wird sicherlich zu recht von vielen geteilt. Auch der Hinweis, dass die Epoche der Anwesenheitskultur gerade in den großen Law Firms offenbar mangels Nachfrage gerade zu Ende geht, ist interessant. Ich habe mich schon einige Male gefragt, ob das ein deutsches Phänomen darstellt oder eine weltweite Entwicklung.
Unschön an der ganzen Sache bleibt die Überschrift. Der Bezug auf Frauen, die "nicht alles haben können", suggeriert gerade denjenigen, die finden, dass Frauen auch nicht alles haben sollten, Bestätigung, und wenn es darum geht, ob ich oder irgendeine andere Frau befördert wird, werden wir noch etwas härter kämpfen müssen, um den mächtigsten, angesehensten, interessantesten, bestbezahlten Job zu bekommen, der zu uns passt, wenn diejenigen, die das entscheiden, glauben, einer Frau sei der Job ja im Grunde gar nicht so wichtig.
Mit 30 habe ich ungefähr 80 Stunden in der Woche gearbeitet. Ganz freiwillig. Damals entwickelte ich ein medizinisches Messgerät und war beseelt von dem Gedanken, dass das ein "gute" Arbeit war.
Später arbeitete ich nicht mehr ganz so viel. Ich war im Verkauf und da konnte ich schon zwischen Arbeit und Freizeit trennen. Ich musste viel Geld verdienen, damit ich Frau und drei Kinder erhalten konnte.
Heute bin ich in Altersteilzeit und arbeite aber noch immer mindestens 50 Stunden. Nur dass ich die jetzt vollkommen mit freier Einteilung und nach meinen Wünschen einsetze.
Vor 12 Jahren habe ich nicht verstanden, als ein sehr tüchtiger Mitarbeiter nicht zu einem Gruppenleiter gemacht werden wollte. Er hat die Karriere zugunsten einer Vereinbarung mit seiner Frau eingeschränkt. Beide wollten sie nicht mehr als je 32 Stunden arbeiten. Damals habe ich das nicht verstanden.
Heute sehe ich das anders. Zwar arbeitet mein Sohn voll, doch nicht mehr als das. Den Rest verbringt er zu Hause bei seinen drei Kindern und seiner Frau. Er scheint glücklich zu sein. Er könnte ebenfalls in der Firma "Karriere" machen, hat aber ganz bewusst verzichtet.
Seit neuem habe ich eine Mitarbeiterin, die auf Bedarf Vollzeit arbeitet. Sie hat drei Kinder, einen ganz netten Mann, der ein Handwerk mit drei Mitarbeitern führt, und sie studiert jetzt mit 39 Jahren Informatik. Eigentlich wollte sie das schon früher, aber es war keine Zeit. Sie wirkt absolut nicht überlastet. Ich fördere sie, wo es geht, nicht weil sie attraktiv ist, sondern weil sie auch sehr klug ist und rasch kapiert.
Eine andere Frau, ebenfalls attraktiv und mit drei Söhnen, Dr. nebenbei, sie selbst ist um die 50, führt ein Unternehmen und es ist ein Vergnügen mit ihr zu plaudern. (Ich bin ein Kunde von ihr.)
Es ist also in meinen Augen schwierig, ein allgemeines Zeitmaß festzulegen.
Ihren letzten drei Absätzen ihres Postings kann ich voll zustimmen, möchte noch einen Punkt über die Anwesenheitskultur hinzufügen. (Österreich)
Bei einer mir übertragenen Aufgabe, unsere Software-Entwickler mit einem neuen Prozess zu besserer Produktivität zu motivieren, scheiterte bei der ersten Besprechung an folgender Frage:
Wofür werden Software-Entwickler bezahlt?
Eine ziemlich einfache Frage, wie mir schien. Ich wollte hören, für das Produkt, das entwickelt wird, oder so ähnlich. Dann hätte ich mit Produktivitätssteigerung weiter machen können. Ein sehr, sehr guter Entwickler, mit dem ich später noch viel zusammen gearbeitet habe, sagte provokant: wir werden dafür bezahlt, dass wir in der Firma sitzen und arbeiten. (Egal wie gut oder schlecht die Arbeit war.) Anfänglich dachte ich noch, dass es auszudiskutieren wäre, aber nach einer Stunde brach ich das Meeting ab. (Später legte ich mir dann noch eine andere Strategie zurecht.)
Als ich einer Bekannten aus dem Personalmanagement - und viel später noch meinem derzeitigen Chef - den Verlauf der Diskussion schilderte, wurde ich belehrt: es stimmt, die Arbeitsverträge sind alle auf Zeit und Anwesenheit ausgelegt. Natürlich kann mein Chef jemand kündigen, wenn er schlecht arbeitet. In der Versicherung allerdings, in der ich damals gearbeitet habe, waren noch viele Mitarbeiter pragmatisiert. ("absolut") Praktisch so wie die Beamten.
Die Personalfrau sagte mir auch, dass sie vom PM unglücklich mit dieser Regelung seien, aber Anstrengungen liefen, dies zu ändern.
In internationalen Konzernen (z.B. IBM) wird nicht nur "home office" gefördert, oft teilen sich auch mehrere Verkaufsmitarbeiter einen Schreibtisch gemeinsam. Man kann natürlich jetzt argumentieren, dass eine Beurteilung nach reinen Verkaufszahlen oder Akkordrichtlinien den Angestellten wieder auf das Stück Arbeiter reduziert, der pro Schraube bezahlt wird.
Aber zur Anwesenheitskultur wollte ich das noch ergänzt wissen.