Hiobstage

Um sechs aufgestanden. Nach dem Aufstehen zum Flughafen, vor Ort im Stau gestanden. Der Taxifahrer hat sich verfahren. Anstrengender Termin. Schlechtes Essen. Auf der Rückfahrt im Stau gestanden. Am Flughafen eingekauft. Ich habe keine Hautcreme mehr. Die Verkäuferin sieht mich und baut vier Anti-Falten-Cremes vor mir auf. Ich bin verstört. Ich habe keine Falten, glaube ich, aber vielleicht schaue ich auch nur nicht genau hin?

Die Cremes sind alle sauteuer. Die billigste Creme kostet 40 Euro, die teuerste 260. Das ist mir zuviel, ich verlange ein günstigeres Produkt und die Verkäuferin ist beleidigt. Da müsse ich jetzt mit Wirkstoffdefiziten rechnen, sagt sie und schleudert mir Cremes um die zwanzig Euro hin. Ich kaufe eine Creme im rotem Tiegel, weil sie unparfumiert sein soll. Später stellt sich heraus: Das stimmt nicht.

Im Flugzeug eingequetscht zwischen zwei raumgreifenden Männern. In Tegel ein Taxiproblem. Über hundert Menschen stehen auf der Taxiinsel und warten auf Taxen, die nicht kommen. Gereizte Atmosphäre. Wir schätzen die voraussichtliche Wartezeit und steigen in den Bus. Der Bus ist überfüllt und schlingert schrecklich. Neben mir leckt sich ein dicker Junge um die zwanzig die ganze Zeit den Mund. Am Zoo dann endlich augestiegen. Sehr müde gewesen. Im Taxi weiter nach Kreuzberg.

Im Jolesch ist es voll. Meine Freunde warten schon, nur mein Freund ist noch nicht da. Wir warten eine Stunde auf ihn und trinken Sekt. Dann bestellen wir. Ich nehme die Fritattensuppe, Ente und einen Blauen Zweigelt. Dann warten wir weiter. Ich trinke sehr schnell zwei Glas Sekt und genieße das Gefühl der langsamen Sinnenverwirrung.

Irgendwann kommt die Vorspeise meiner Freundin I., eine wenig ansehnliche Tafelspitzterrine. Dann meine durchaus unspektakuläre und irgendwie salzlose Suppe. Einige Minuten später bekommt auch der S. seine Kaspressuppe. Fast zeitgleich erscheint mein geschätzter Gefährte J. von einer Betriebs-Oktoberfestfeier. Ich bin verstimmt.

Nach und nach kommen die anderen Gerichte. Nicht einmal die Schnitzel des M. und des T. erscheinen gleichzeitig: Als die letzten ihr Hauptgericht haben, sind die ersten fertig. Das Essen ist okay, aber nichts Besonderes. Es war hier schon einmal besser. Zudem ist die Stimmung schlecht: Weil alle dem J. Vowürfe machen, steht dieser wieder auf und verschwindet. Aus ungeklärten Gründen war er zwar zuletzt da, hat sein Essen aber als erster bekommen.

Natürlich kommen auch die Desserts nicht gleichzeitig. Mein halbflüssiger Schokoladenkuchen liegt etwas verloren und mit einem Durchmesser von circa drei Zentimetern neben einer Nocke Eis und wirkt ebenso traurig wie ich. Ich bin müde.

In der wirklich netten Hubertuslounge werde ich kurzzeitig wieder wach und spreche. Ich trinke noch mehr Sekt. Davon werde ich wieder so müde, ich könnte auf der Stelle einschlafen, aber zum Glück ist es dafür zu laut.

Der S. und die I. fahren mich heim. Ich laufe die Treppe hoch. Der J. liegt im Bett und ächzt, ihm sei schlecht.

Ich träume von Maden.

arboretum - 11. Okt. 2009, 14:57 Uhr

Dass Ihnen diese Verkäuferin gleich vier Anti-Falten-Cremes hinstellte, lag nicht an Ihrer Haut, sondern bestimmt am Preis der Cremes und an der Profitgier der Verkäuferin. Sie ging wohl davon aus, dass sie Sie als Kundin sowieso nicht wiedersieht, der Laden ist schließlich am Flughafen.
Modeste - 11. Okt. 2009, 21:53 Uhr

Ich hoffe. Indes irritiert mich das Produktangebot der Parfumerien nicht wenig - gibt es denn eigentlich gar nichts mehr zwischen Anti-Pickelcreme und Anti-Faltencreme? Und wieso sind alle diese Cremes so wahnsinnig parfumiert? Was benutzen eigentlich andere Leute mit normaler Haut?
ellaella - 12. Okt. 2009, 21:07 Uhr

Babypflegeprodukte. Da wagen sie es nicht, irgendwelche absurden Zusatzstoffe hineinzumengen - meint jedenfalls meine Großtante. Und die sieht für ihre 84 blendend aus.
timanfaya - 13. Okt. 2009, 12:46 Uhr

40 bis 260 euro. das ist so absurd lächerlich, wie frauen sich verarschen lassen, dass es schon fast wieder traurig ist. zitat eines befreundetene hautarztes: "wenn der ganze schrott irgendetwas wirksames enthalten würde, dürfte er nur in der apotheke verkauft werden ..."

neben babyprodukten [die ich übrigens auch benutze] gibt es noch:

http://www.dm-drogeriemarkt.de/dmDHomepage/generator/dmD/Homepage/Sortiment/Gesichts-__und__Koerperpflege/alverde__markenbeitrag/alverde.html

ich verstehe ohnehin micht, wie man auf die idee kommt in einer pafümerie cremes zu kaufen. von kleinen chemie-klitschen ohne großes know how.
Anselmowitsch - 13. Okt. 2009, 9:41 Uhr

Wirkstoffdefizite, raumgreifende Männer, Betriebs-Oktoberfestfeier, salzlose Frittatensuppe? Auch Jahrtausende nach Hiob stellt sich die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes mit Wucht.

Ich wiederhole mich sicher, wenn ich verständnisvoll anmerke: Diese Welt ist die Kirche Satans.
timanfaya - 13. Okt. 2009, 12:49 Uhr

... nicht zu vergessen die zu verschiednenen zeitpunkten eintrudelnden essen. die ich übrigens niemals angenommen oder bezahlt hätte.
Modeste - 14. Okt. 2009, 23:03 Uhr

Ich bin ein relativ friedlicher Mensch und liebe den Eklat nicht.
schreiben wie atmen - 14. Okt. 2009, 10:44 Uhr

Nur mal angenommen,

Sie forderten einen solchen Dreckstag gleich am Morgen auf, Ihnen mal sein Tässchen rüberzuhalten, und weiter angenommen: Sie spuckten ihm dann kräftig in dieses Tässchen hinein...?
Ja genau! Dann hätten Sie auch der bescheuerten Kosmetikerin den Schönheitschirurgen Ihrer besten Freundin empfehlen können, mit dem freundlichen Hinweis, dass diese Freundin zwar ca. zwanzig Jahre älter sei als sie, die Verkäuferin, aber dafür dreimal so gut aussehe.
Weiter hätten Sie vollmundig die raumgreifenden Herren zu platsparender Sitzweise ermutigen, und dem leckenden Jungen ein sofortiges Herunterschlucken seiner Lippen empfehlen können - wo er sie doch nun eh schon abgeleckt habe.
In Lokalen wie dem Jolesch empfiehlt es sich ohnehin die Verhältnismäßigkeit der Essens- und Bedienungsqualität und der eingeforderten Preise hin und wieder gut hörbar an den Tischen im Lokal zu diskutieren. Das wirkt nicht immer aber oft.
Und das alles wäre möglich gewesen, weil Sie diesem miesen Stück von Dreckstag sowieso schon am Morgen in sein Tässchen gespuckt haben.
Was man mit grämlichen, verspäteten Lebensmenschen tun kann, davon soll ein anderes Mal die Rede sein. Seien Sie herzlich gegrüßt von der Alten Saeckin.
Modeste - 14. Okt. 2009, 23:04 Uhr

Nun ist das Jolesch (ein Österreicher in Kreuzberg) so günstig, da muss man eigentlich nachsichtig sein.
schreiben wie atmen - 16. Okt. 2009, 9:19 Uhr

ah ja.
Anousch O. - 14. Okt. 2009, 20:04 Uhr

Das war es also, das Leben der gut situierten Ü-30-jährigen.

ps: Ich habe ewig gesucht und bin nun sehr zufrieden mit der 'Babydream-extrasensitive-Pflegecreme' von Rossmann. Frei von Parfüm, Seifen, ätherischen Ölen, Farb- und Konservierungsmitteln, Paraffinöl, Parben, Gluten. Dafür mit Panthenol und Mandelöl. Empfohlen vom Allergie-und Asthmabund. Kostet 1,99 €. Toll v.a. für die Hände, ansonsten schätze ich fürs Gesicht nach wie vor Nivea-Soft.
Modeste - 14. Okt. 2009, 23:04 Uhr

Die schaue ich mir an. Ansonsten kaufe ich doch Eubos, die ist mir empfohlen worden und riecht auch angenehm zurückhaltend.

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