Dienstag, 8. März 2005

Über Krankheiten sprechen

„Hey,“, kreische ich begeistert ins Telephon. „Sie hat nichts gefunden!“ „Gibt´s doch gar nicht.“, sagt der T. „Die Frau muss betrunken sein.“ Vor der Tür des Ärztehauses tanze ich ein bißchen auf der Stelle und laufe dann die Schwedter Straße hoch.

Sah es noch vor wenigen Monaten so aus, als werde ich demnächst an einem kariösen Zahn auf der Kastanienallee sterben, hat sich mein Zahnzustand nun offenbar zumindest nicht verschlechtert: Weisheitszähne besitze ich nicht mehr. Das letztjährige Inlay sitzt, die Teilkrone über der Wurzelfüllung vom November ist auch noch nicht rausgefallen, und weitere Löcher in meinen verbliebenen Zahnruinen hat die Frau Doktor heute auch nicht diagnostiziert.

„Heute mal Zahnarzt ohne Händchenhalten?“, T. winkt dem Kellner, der meine Karamelwaffel ausruft. „Schlechte Zähne kann man doch haben?“, sage ich und schiebe mir die warme Waffel mit der Karamelmasse darauf zwischen die Zähne. „Immerhin gehören Zahngeschichten nicht zu diesen schrecklichen Krankheiten, über die man nicht spricht.“, meint T. und spielt dezent auf eine meiner Freundinnen an, die R., die mit Ausdauer und Vorliebe solche Gebrechen beschreibt, die unangenehme Bezüge zu den weniger tafeltauglichen Sphären der menschlichen Physis aufweisen.

„Ich höre aber auch ungern von Mandelentzündungen oder Brüchen.“, verteidige ich die Freundin mit dem Hinweis auf die ebenfalls unerwünschten Schilderungen unverfänglicher körperlicher Mängel. „Ich finde, man sollte überhaupt nie über Krankheiten sprechen. Das erinnert so sehr an die Vergänglichkeit.“, T. betrachtet ein vom Vanilleeis durchgeweichtes Waffelstück auf seinem Löffel. „Nein,“, meine ich. Es gibt durchaus eine Rangfolge der unpassenden Krankheitserwähnungen, in der eine Lungenentzündung jedenfalls eher ausgesprochen werden kann als etwa Herpes. Und überhaupt: Blut, Eiter und Infektionen gehören verschwiegen. Trübungen des menschlichen Geistes dürfen dagegen offenherzig erwähnt werden, solange der Betroffene nicht eingesperrt werden muss.

„Sagen sie...“, von hinten zupft mich ein Mädchen im rosa Pullover am Kragen meines Cardigan. „Würde es ihnen etwas ausmachen...wir essen gerade.“ Ich nicke stumm und beschließe, R. wieder öfter anzurufen.


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