„Kann dich kein anderer versorgen?“, belle ich in den Hörer, und schaue etwas besorgt auf den Stapel Arbeit, der mächtig wie der Watzmann auf meinem Schreibtisch thront. „Ach, ach“; winselt J. und bittet um Paracetamol, Pfefferminztee und warme Speisen. „Na gut.“, sage ich und kündige meinen Besuch am Helmholtzplatz für den späten Nachmittag an.
„Wie läuft´s bei Dir?“, fragt der J. noch in der Tür, und ich berichte ein bißchen von öden Vorträgen und amüsanten Bekanntschaften am Ende der Welt, der unsäglichen Kälte am Osthafen, und wieso ich doch so lange geblieben bin.
J. sieht schlecht aus, die Augenlider geschwollen, verschnupft und geradezu dramatisch unfrisiert, gräbt der ehemals geschätzte Gefährte in Bergen dreckigen Geschirrs nach zwei Tassen. „Ehemals geschätzter Gefährte,“ spreche ich den Grabenden an. „Geschätzter ehemaliger Gefährte!“, verbessert J., und verteilt den Tee auf zwei leidlich saubere Becher.
„Eigentlich sitze ich gerade am Schreibtisch.“, sage ich dem J. eine Stunde später auf dem Sofa und weise auf den nur wenig abgeschmolzenen Watzmann hin. „Pah!“, sagt J. Sei doch Sonntag, und schenkt Tee nach. „Dir kann´s ja egal sein, wann ich fertig bin.“, maule ich, und J. zieht mich am Ohr. „Das darfst du nicht mehr!“, sage ich zum J., und blitze ihn ein bißchen böse an. Exfreunden, so erläutere ich diese an sich selbstverständliche Regel des menschlichen Zusammenlebens, seien körperliche Berührungen nämlich verboten. „Intime körperliche Berührungen – klar, das geht nicht.“, äußert J. und legt anschließend eine im Detail klar abweichende Auffassung dar: Ohrenziehen, in die Seiten Stubsen und den Arm um die Schulter zu legen, sei beispielsweise dagegen völlig unverfänglich und daher zumindest im häuslichen Rahmen, fernab potentieller Nachfolger, erlaubt.
„An den Ohren zieht mich T. doch auch nicht.“, meine ich und bedaure bei mir, keinen Kuchen mitgebracht zu haben. Oder zumindest Schokolade. Oder Pralinen. „Man wird ja nach langjährigen Beziehungen mehr Rechte haben, seine Exfreundin an den Ohren zu ziehen, als jemand, mit dem man überhaupt nie zusammen war.“, behauptet J. und unterbricht meine Träumereien aus Buttercreme. Ich brauche einen Moment, um die Absurdität jenes Satzes zu erkennen und zu widerlegen, J. schüttelt den Kopf, lacht und hustet und fährt sich durch die Locken, bis seine Haare doppelt so dick sind wie der Kopf.
„Ich muss weitermachen.“, sage ich und stehe auf. „Lass uns mal wieder ausgehen.“, schlägt J. vor, wir erörtern Vorzüge wie Nachteile des
designmai, und beschließen, zusammen auszugehen, wenn wir uns bis Samstag schön genug fühlen für einen Haufen Berliner Designer, die alle mehr stylish sind als wir. „Muss ja keiner wissen,“, sage ich, „dass du mein Exfreund bist.“ Nein, sagt J., wir würden uns einfach als gute Freunde ausgeben, und beim Auftreten möglicher Nachfolger jeweils schnell das Weite suchen. Obwohl, gibt J. zu bedenken, mitgeführte gute Freunde von Frauen auf Parties nur eher selten für heterosexuell gehalten würden. Die Idee mit den guten Freunden sei vielleicht zumindest bezüglich seiner Interessenlage so gut dann doch nicht.
„Gib mich doch einfach als deine Schwester aus.“, schlage ich vor, und der schönste Niedersachse von Berlin lacht solange, bis er schrecklich husten muss.
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Modeste Schublade: Datum: 9. Mai. 2005, 10:06 Uhr