Mittwoch, 18. Mai 2005

Hochzeitsbilder

„Liebe Modeste,“ steht in der Klappkarte mit dem Brautpaar vorne drauf, „vielen Dank für die schönen Eierlöffel, die wir jeden Morgen benutzen!“ – Nichts zu danken, denke ich, und bewundere ein wenig das Brautkleid mit einem Überwurf aus elfenbeinfarbener Spitze, das geschmackvolle Diadem, und die - mir unbekannte - lächelnde Braut mit rotblonden aufgesteckten Haaren. Ich war nicht auf der Hochzeit.

„Erstklassige Feier“, berichtet der T. auf telephonische Anfrage, und hebt die Familie der Braut hervor, deren Familie schon mit Heinrich dem Löwen gen Osten ritt. Der Bräutigam habe Glück gehabt. „Wieso bist du nicht mitgekommen?“, fragt T., und berichtet, es sei nach mir gefragt worden. Der Bräutigam G. habe sich am Abend mit T. eine ganze Weile über mich unterhalten und bedauert, dass der enge Kontakt nach dem Umzug in der Oberstufe so schnell versiegt sei. Auch die N., enge Freundin sowohl des G als auch von mir, sei leider nicht dagewesen, heirate aber selbst im Herbst in Wien. „Heiratet bestimmt nicht irgendwen, die N.“, beschließt T. das Gespräch, und damit hat er wohl recht.

Damals, frisch in der Obertertia, war die N. meine lässige Nebensitzerin, ein Mädchen wie von Arno Breker in Stein gehauen, und zu ihren Füßen lag die halbe Oberstufe und winselte. Schließlich küsste sie den Schlagmann des Schulachters, um ihn noch vorm Ende des Halbjahres gegen einen athletischen Studenten auszutauschen, der nicht nur adelig war, sondern auch reich. „Du brauchst auch einen Freund.“, sagte die N. nachmittags zu mir, teetrinkend auf unserer Veranda. – Zwar teilte ich diese Auffassung der N., die Anschaffung eines Gefährten allein erwies sich insbesondere vor dem Hintergrund schwierig, dass ich, ganz für mich, mir schon einen Kandidaten ausgesucht hatte, den G. nämlich, jenen inzwischen frisch verheirateten Herrn.

Die Schritte, die Menschen unternehmen, um denen nahe zu sein, die sie verehren, haben es an sich, dass sie nur dann nicht unendlich tölpelhaft, peinlich aufdringlich und unglaublich ridikül wirken, wenn es denn letztendlich klappt, und man sich eines Tages in die Arme sinkt. Diese Erkenntnis jedoch blieb einem späteren Lebensalter vorbehalten, und so begab sich mein fünfzehnjähriges Ich in den Redaktionsraum der Schülerzeitung, um dort die Mittelstufenseite vollzuschreiben, und dem G. näherzukommen. In der Pause zerrte ich N. auf den Raucherschulhof, wo der G. herumstand, und bis heute fürchte ich, dass meine Teilnahme am Finale von „Jugend trainiert“ in gleich drei Wettkampfklassen im wesentlichen auf den Wunsch zurückzuführen war, G. zu begleiten.

Die Kalkulation, G. wenigstens kennenzulernen, ging immerhin auf. Wir gingen ins Kino, ich trank meinen ersten Gin Tonic auf seinem 18. Geburtstag, und G. versuchte mir erfolglos, Chemie beizubringen. Nachts träumte ich vom G., morgens wartete ich auf ihn im Foyer der Schule, und eines Tages fasste ich mir ein Herz, und griff nach seiner Hand. Ein paar Minuten saßen wir so da, ich umklammerte seine Finger, und schließlich zog G., seine Linke vorsichtig weg, alle Himmel stürzten ein, ich heulte eine Woche am Stück und wollte nie mehr in die Schule gehen.

Ein paar Wochen später stand der G. vor unserer Haustür, ich schöpfte neue Hoffnung, kochte eine große Kanne Tee, und erfuhr, dass sich auch G.´s Herz keineswegs auf dem freien Markt befand. Das Mädchen, dem seine Neigung gehörte, war blond, schlank und sportlich, verbrachte seine ganze Freizeit auf Pferden, und sprach so gut wie nie.

„Tja, dann –„, sagte ich, und lächelte vernichtet und ein bißchen geniert vor mich hin. G. nickte, verabschiedete sich, und ein paar Wochen später war die schweigsame Blonde seine Freundin. „Nimm´s dir doch nicht so zu Herzen.“, riet die N., und versuchte, mein Augenmerk auf andere nette Menschen zu lenken. Wer einen nicht liebe, sei einen auch nicht wert. Geradezu eine Notwendigkeit des Stolzes sei daher unverzüglich ein fester Freund, damit weder der G. und auch sonst einer bemerke, dass mir die ganze Sache ja offenbar ein wenig mehr zu Herzen gegangen sei, als man noch als vernünftig bezeichnen könne. Überdies gebe es nichts, was vor den Augen der Welt lächerlicher sei als vergebliches Hinterherlaufen.

Ich schwieg und litt also im vollen Bewusstsein, mich gerade unsterblich zum Depp zu machen, und spazierte ein paar Wochen im Winter neben einem Studenten mit Überbiss über den Weihnachtsmarkt, dessen Namen ich vergessen habe.

Mit dem Hochzeitsphoto in der Hand stehe ich ein paar Minuten am Fenster. Aus dem Hinterhof winkt mir ein Nachbar hoch, ich winke zurück, und setze mich wieder an den Schreibtisch. Irgendwo, in einer Ecke, sitzt mein fünfzehnjähriges Ich und schnieft ein bißchen vor sich hin. „Blöde Bratz´n“, sage ich zu dem kleinen Mädchen, das ich schon so lange nicht mehr bin. Das kleine Mädchen erzählt von Hochzeiten in weiß, Nächten mit dem Kopf an einer warmen Schulter und Zusammenbleiben für immer.

„Schmink´s dir ab.“, sage ich, und schicke die Kleine weg.


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