Mittwoch, 27. Juli 2005

Auf den Spuren der Vergangenheit

Ahnenforschung soll sich ja gerade bei ansonsten beschäftigungslosen Rentnern gesteigerter Beliebtheit erfreuen, und so wandte sich auch mein Onkel U. nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben vor zwei Jahren der Erforschung der Familiengeschichte zu.

Allzuviel Unterhaltung kann besagter Onkel aus der Vergangenheit unserer insgesamt doch eher unspektakulären Familie, die weder herausragende Geistesgrößen noch bedeutende Krieger hervorgebracht hat, indes nicht gezogen haben, und die Tatsache, dass jener Vorfahr dort, und ein anderer woanders gelebt haben mag, dieser die Tochter eines Geistlichen heiratete, und jener eine Kaufmannswitwe heimführte, muss schon auf ein sehr gelangweiltes Gemüt stoßen, um als interessant gelten zu können. Insbesondere die Tatsache, dass das immerhin bewegte 20. Jahrhundert durch schriftlich wie mündlich außergewöhnlich mitteilsame Familienmitglieder nahezu lückenlos dokumentiert sein dürfte, führte jenen Onkel schnell in fernere Gefilde der Vergangenheit, in der kaum ein mitteleuropäischer bürgerlicher Haushalt etwas Spannenderes unternommen haben dürfte, als zu arbeiten, zu essen und ab und zu zu heiraten.

Besondere Sesshaftigkeit scheint der väterlichen Familie allerdings nicht zu eigen gewesen zu sein, und so fuhr der Onkel U. auf den Spuren der Vorfahren weiter und weiter, um schließlich ein Flugzeug nach Odessa zu besteigen, von wo um 1850 herum ein Vorfahr aufgebrochen war, um sein Glück in Österreich als ein Seidenhändler zu suchen.

Was der Onkel U. in Odessa so ganz konkret suchte, war aus ihm nicht abschließend herauszubringen. Odessa scheint sich, darf man meinem Onkel Glauben schenken, seit 1850 auch ganz erheblich verändert zu haben, und außer einigen Spaziergängen, ein bißchen ergebnislosem Herumlesen in den der Öffentlichkeit zugänglichen Archiven der Stadt und ebenso fruchtlosem Wandern auf verwahrlosten Friedhöfen, scheint der Onkel U. seinem Ziel nicht näher gekommen zu sein: Erkenntnisse über das Leben und die konkreten Verhältnisse der Vorfahren scheint der Onkel U. nicht heimgebracht zu haben.

Gefallen aber habe er an der Stadt durchaus gefunden, so äußerte sich der Onkel gegenüber meinem Vater. Das Hotel sei ein wenig staubig gewesen, insgesamt aber charmant, und auch die alten Frauen, die auf jedem Flur des Hotels gesessen seien, hätten ihn nicht über Gebühr irritiert. Da er keinen Besuch mit heimzubringen pflegte, habe ihn auch die Angewohnheit der weiblichen Wächterinnen nicht gestört, das Kommen und Gehen in dem wenig besuchten Hotel jeweils schriftlich festzuhalten. Was das in allen seinen Einzelteilen in Plastik verpackte Frühstück anging – nun, ein in vielen Flugreisen gestählter Mensch kennt dieses meist wenig wohlschmeckende Phänomen.

„Wesentlich weiter,“, so mein Vater über die Exkursionen seines Bruders, „wird er auf seiner Suche ja ohnehin kaum kommen.“, denn im Dunkel der Vergangenheit seien frühere Wanderungsbewegungen der Familie mangels entsprechender Überlieferungen wie Dokumente kaum mehr auszumachen. Wolle der Onkel U. auch seinen weiteren Ruhestand mit Exkursionen auf der Suche nach verblichenen Familienmitgliedern füllen, so müsse er sich daher wohl in das weite Land reiner Spekulation begeben, auf der Grundlage einer blühenden Phantasie die Kontinente durchwandern, und könne ebenso gut nach Ägypten fahren wie etwa nach Schweden oder gleich zum Mond.

Wohin es andere Familien ja immerhin fast geschafft haben.

Unter Paaren

„Eigentlich,“, sagt meine blondlockige Freundin, und schlingt ihren Arm noch ein wenig fester um ihren Freund, „wollten wir ja schon im Juli noch eine Woche weg.“ Der Freund nickt und ergänzt die unüberwindlichen Hinderungsgründe in Gestalt des Referatsleiters mit drei Kindern, dem bei der Urlaubsplanung leider der Vortritt gelassen werden musste. „Wir“ hätten also keinen Urlaub bekommen. Jetzt also solle es im Oktober losgehen, Portugal oder Sizilien, und „wir“ würden dann eine Woche mit einem Mietwagen herumfahren und anschließend eine Woche baden. - „Das hört sich aber nett an.“, sage ich pflichtschuldig, und beide Köpfe des eng umschlungenen Paares nicken eifrig und begeistert. Mit einem entschuldigenden Schwenken meines leeren Glases eile ich davon.

„Ja, hallo - Modeste!“, spricht mich vor dem Kühlschrank ein anderer Gast der Party an, und zieht mich in den Korridor, um mir seine neue Freundin vorzustellen, die klein, dünn und hennafarben an ihrer Bierflasche saugt. „Freut mich.“, sage ich, schüttele Hände, und plaudere ein bißchen über Art und Güte des Buffets, die Herstellung eines perfekten Käsekuchens, und woher ich die Gastgeber eigentlich kenne. „Wir haben uns ja in der Referendars-AG kennengelernt.“, strahlt die neue Freundin. „Noch jemand ein neues Bier?“, fragt mein Bekannter, küsst seine Freundin auf beide Wangen, um sich für knappe drei Minuten zu verabschieden, und drängelt sich durch den Türrahmen in die übervolle Küche.

„Schatz?,“ ruft eine hohe, weibliche Stimme aus dem Wohnzimmer. „Schaaatz?“, woraufhin sich ein blonder, schlaksiger Jüngling aus einer unter der Last der Weltpolitik wogenden Gruppe vor dem Buffet löst, und dem Rufen folgt. „Schaaatz“ und Freundin, so erfahre ich, seien nur noch zu Besuch in Berlin, und hätten sich in Hamburg gerade eine Wohnung gekauft. „Wir überlegen ja auch, zu kaufen.“, berichtet eine mir unbekannte Kollegin der Gastgeberin, und auf der Stelle beginnt eine längere und lebhafte Diskussion über den Kauf von Immobilien am Prenzlauer Berg, geeignete Quellen für den Erwerb antiker Kacheln, notwendige Bestandteile eines Badezimmers und die Tapetenfrage.

„Ich muss los.“, verabschiede ich mich von der Gastgeberin und erwähne meine unglaubliche Müdigkeit sowie meine außerordentliche Arbeitsbelastung. „Wohl gestern lange unterwegs gewesen?“, lacht die Gastgeberin: „Wir gehen ja gar nicht mehr so häufig aus.“ – Jaja, denke ich, und versuche mich zu erinnern, ob die Gastgeberin eigentlich zu irgendeinem Zeitpunkt eine Freundin der langen Nächte von Mitte war, und kann mich eher nicht erinnern. „Lass´ uns demnächst mal frühstücken gehen,“, schlage ich vor, „vielleicht im Nola´s? Oder im drei?“ „Gern,“, sagt meine Freundin. Nur nächstes Wochenende, da sei es schlecht. „Unsere Eltern kommen.“

„Melde dich einfach.“, sage ich, laufe die Treppe hinab und sage dreimal ganz laut "Ich", zu der Frau in den Spiegeln im Treppenhaus.


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