Dienstag, 29. Juli 2008

Der entschwundene Garten

Schmal und ziemlich langgestreckt war der Garten meiner Großmutter, und je weiter man sich vom Haus entfernte, umso struppiger wurde der Rasen. Ganz hinten, wo früher, als mein Vater noch klein gewesen war, Hühner gehalten worden waren, taten sich sogar handtellergroße kahle Stellen auf, und das Gras war so gelb wie Stroh. Zwei- oder dreimal pro Jahr mähte ein hiermit beauftragter Bauer hier hinten, niemals wurde gesprengt, und das Obst der drei, vier verkrüppelten Apfelbäume reifte vergeblich der Fäulnis und den Wespen entgegen, die schwer, satt und schwankend vor Gärung über den Früchten kreisten.

Bis aber der August die Äpfel auf den Rasen warf, saß ich von Juni an im fleckigen Schatten der Bäume und las den ganzen Tag auf dem straff gespannten Stoff einer Liege, die rot war, glaube ich, und ab und zu kam meine Großmutter an den Blumen und den Erdbeeren, den Gurken und den Zuckerschoten vorbei bis zu mir und brachte mir Käsebrote oder etwas zu trinken, Jahr für Jahr. Ferien für Ferien.

Irgendwann aber kam die Großmutter nicht mehr bis hinten in den Garten, weil der Rücken ihr weh tat und die Füße auch. Im Sommer drauf kam sie auch nicht mehr bis zu den Beeten und schickte mich ab und zu nach einem Bund Petersilie oder einer Handvoll Dill. Am Ende dann, zwei Jahre später, setzte der mobile Pflegedienst die Großmutter nur noch auf die Terrasse, wo sie den Blumen zusah, den weiß-roten Tulpen, den Pfingstrosen, dem Rittersporn, den Dahlien zuletzt, und bevor die Astern blühten, war sie tot.

Acht Wochen später gehörte das Haus anderen Leuten.

Vier Jahre wohnten die ersten Käufer im Haus und strichen nicht mal den Zaun. Der Sturm fällte den Nussbaum, und sie taten monatelang nichts, den Stumpf zu entfernen. Dann gingen sie pleite und das Haus stand leer. Zwei Jahre lang hausten dann gleich zwei Familien in dem Haus, die in Unterwäsche durch den Garten liefen und die Nachbarn erschreckten. Nicht ganz vier weitere Jahre gehörte das Haus einer kinderreichen Familie, die auszog, als die Frau den Mann verließ, und dieser anfing zu trinken. Dann gehörte das Haus wieder der Bank, und die fand keinen Käufer.

Das Haus sei zu groß, hieß es in der Bank, für eine Familie und zu klein für zwei. Besonders der Riesengarten sei nicht verkäuflich, hieß es, denn niemand wolle heute so etwas noch haben, und so teilte die Bank das Grundstück in ein großes, auf dem sich das Haus befand, und drei kleine: den hinteren Garten.

Ein Jahr lang tat sich gar nichts. Nun aber, erzählen die Nachbarn, seien Bagger erschienen. Bauwagen stünden auf dem Gelände. Ein provisorischer Zaun werde errichtet, wo stets nur Hecken und Büsche waren. Die Bäume würden gefällt, und wo das gelbe Gras spross, wo die Liege stand, wo die Erdbeeren, die Gurken und die Zuckerschoten wuchsen, würden Fundamente gegossen für drei kleine, viereckige Häuser mit kleinen, viereckigen Gärten, ein bisschen Rasen, ein einziges Beet und kein Baum weit und breit, in seinem Schatten zu sitzen.



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