Journal :: 04.05.
Am Abend werfe ich die letzten Erdbeeren weg. Süß und vergoren steigt es aus der halbvollen Schüssel auf und trägt mich zurück, zwanzig Jahre und einige hundert Kilometer an den Rand des Erdbeerfeldes, wo die M. damals in einer Bretterbude saß. Wir waren eng befreundet.
Die Eltern der M. hatten Erdbeerfelder, und jeden Morgen kamen Türkinnen mit bunten Kopftüchern, ernsthafte, oft ältere Frauen, die die Erdbeeren pflückten. Die M. musste dann wiegen, die Frauen bezahlen, und dann saß sie die halben Sommerferien in der Bretterbude und verkaufte. Die ganze Welt roch nach Erdbeeren, und die M. trug eine braune Schürze mit dunkelbraunen Flecken vom Erdbeersaft.
Jeden Nachmittag fuhr ich an der Erdbeerbretterbude vorbei, meistens vor oder nach dem Reiten. Eine halbe oder ganze Stunde saß ich bei der M., aber was wir uns erzählten, was wir hofften oder erwarteten damals, ist so weit weg wie die M., von der ich nichts mehr gehört habe, seit ich wegzog, erst noch schrieb, und dann wurden die Briefe weniger, seltener und blieben aus. Ich weiß nicht, wie es ihr geht. Vielleicht hat sie die Erdbeerfelder übernommen. Vielleicht aber sitzt auch sie Tag für Tag in einem Büro, trägt einen Hosenanzug statt der braunen Schürze und kommt am Abend spät nach Hause.
So spät wie ich aber kommen wenige heim. 22.45 Uhr war es heute. Die Mittagspause abgezogen habe ich ziemlich genau zwölf Stunden gearbeitet.