Alte Männer, alte Frauen
"Was?", frage ich nach und fische ein Stück Zitronengras aus meiner Suppe. Die G. hat also einen neuen Freund. Ihr neuer Freund ist 61.
Natürlich, das gibt auch die A. zu, sehe er nicht direkt aus wie ein alter Mann. Man sei ja inzwischen auch nicht mehr direkt alt aus mit Anfang 61, das nicht, aber ein Unterschied sei es doch, etwas irritierend geradezu, der neue Freund sei auch ganz grauhaarig und schlabberig, und außerdem lebe er in Steglitz, wo bekanntlich überhaupt nur Menschen wohnten, die entweder ziemlich alt sind oder von ortsansässigen alten Menschen abstammen und den Absprung nicht geschafft haben.
"Oha.", sage ich und widme mich weiter meiner Suppe. Es ist heiß, sehr heiß eigentlich, und die vier Männer im Anzug am Nachbartisch schwitzen, was das Zeug hält. Der gesellschaftliche Konversionsprozess in Zusammenhang mit dem Klimawandel sollte sich auch der Herenbekleidung annehmen, schießt es mir durch den Kopf.
Natürlich habe ein älterer Verbandsgeschäftsführer auch andere Gepflogenheiten als etwa ein jüngerer Schlagzeuger und Fahrradkurier, um den direkten Vergleich des Exfreundes der G. mit dem aktuellen Freund zu ziehen, fährt die A. fort. So habe etwa der aktuelle Freund eine schreckliche Vorliebe für Musik, die er, aber sonst keiner, zeitlos findet. Er sei nur schwer zu neuen Restaurants zu überreden, er werde um Mitternacht müde, obwohl alte Menschen doch angeblich weniger schlafen als junge, und er besitze wahnsinnig umfangreiche Sportausrüstungsgegenstände, die er nur in sehr untergeordnetem Maße benutzt. Er habe auch nur fade Freunde.
"Nicht so dein Fall, der Herr.", stelle ich fest. Die A. wiegt den Kopf ein wenig hin und her. Dann nickt sie. Man war wohl miteinander essen vor einigen Wochen und der alte Herr hat drei Stunden am Stück seine Ansichten über Gott und die Welt zum Besten gegeben, die sich nicht gerade durch Originalität auszeichnen sollen.
"Was aber das Schlimmste ist!", trompetet die A. nun so laut, dass die Männer im Anzug am Nachbartisch aufschauen. Das Schlimmste habe sie noch gar nicht erwähnt. Das Schlimmste an der ganzen Sache sei, dass der alte Herr überzeugt sei, mit der Wahl der G. - einer Journalistin von 37 Jahren - eine komplett altersadäquate Wahl getroffen zu haben, quasi eine gleichaltrige, reife Frau an seiner Seite zu sehen, denn eine Frau von über 35 sei (wie der alte Herr nicht verschwiegen habe) ja keinesfalls mehr als jung zu bezeichnen, vielmehr eine Frau in mittleren Jahren, so dass eine Art Parität herrsche in der Binnenarchitektur dieses Paares, auch wenn, wie der alte Herr lobend erwähnt, die G. deutlich jünger aussehe als ihre Jahre.
"Lass dem alten Herrn doch seine Illusionen.", beschwichtige ich und winke nach der Rechnung. Die Ansicht über die Ungleichzeitigkeit weiblichen und männlichen Alterns sei ja auch mitnichten eine Mindermeinung, wühle ich in meiner Handtasche nach meinem Portemonnaie.
Was aber die A. hierzu faucht, ist für den öffentlichen Abdruck keinesfalls geeignet.