Donnerstag, 25. August 2011

In Ordnung

"Weiß nicht.", sage ich. Ich arbeite zuviel. Ich habe so viel zu tun wie zuletzt 2007 und fühle mich dabei gar nicht wie irgendwas, sondern nur einfach so da. Das ist eine etwas merkwürdige Empfindung, ganz gut, aber emotional ein bißchen entkernt und vor allem bin ich meistens ein bißchen müde.

"Stell dich nicht so an.", sage ich mir und schneide lustige Grimassen vor dem Spiegel, damit es auch mal was zu lachen gibt, mache die Dinge, weil sie anstehen und esse abends schweigend und erschöpft mit einer Zeitung in der Hand ein paar Tomaten oder eine Suppe oder etwas, was ich mir auf dem Heimweg hole, wenn der Thai um die Ecke noch offen hat und mir etwas kocht.

Früher war in solchen Nächten Sommer, denke ich auf dem Heimweg, kurz nach elf, und schaue in die schwarzen Bäume. Auch nächstes Jahr wird wieder Sommer sein, denke ich dann und überlege, wie das alles wohl wird, und fahre heim und mache weiter, denn navigare necesse est und alles in allem schon ganz okay.

Montag, 15. August 2011

Im Regen

Dann aber, am Sonntag nachmittag, in der Loggia zu stehen, als es regnet, als wolle es nie wieder aufhören, und in den Regen hinauszuschauen, der die Straßen füllt und die Räume zwischen den Häusern und Menschen. Das kleine Mädchen im nassen Kleid auf der Straße beinahe ein bisschen zu beneiden, dass freudig durch das Wasser springt, denn kalt ist es ja nicht, und es spritzt weiß und gischtig so hoch, wie das Kind gerade noch reicht.

Schon steht das Wasser bedrohlich hoch auf der Straße und füllt die Gullies wohl ganz. Schon läuft es in die ersten Keller. Heftig peitscht auch der Wind. Die Bäume vorm Haus schleudern ihr Laub hin und her wie Priester in ekstatischem Tanze. Immer dichter wird der Regen, immer mehr fällt und prasselt und drückt als heller Strahl durch die Straßen, als müsse alle Leere mit Bewegung gefüllt werden, und das Wasser drängt die Luft mit Macht in die offene Tür.

Schön wäre es jetzt wie das Kind da unten durch den rauschenden Regen zu laufen. Im Bikini auf dem Fahrrad zu fahren, durchnässt, heiter, johlend und lachend die Linden abwärts zu fahren, durch die Pfützen zu gleiten, nass bis auf die Unterseite der Haut. Warm sollte es sein, noch viel wärmer als heute, hell der Himmel trotz der strömenden Wasser, und ganz über die Ufer getreten auch ich, glitzernd vor Nässe und glitschig vor Glück und neugeboren und feucht dann schließlich am Abend in Ruhe zu Haus.

Sonntag, 14. August 2011

Die Welt von gestern

"Das ist merkwürdig.", sage ich zum J. beim Essen. In den letzten zehn Jahren muss irgendetwas passiert sein, denn als wir so alt waren wie die, die derzeit in der halben Welt demonstrieren, hatten wir diese Angst nicht im Geringsten, mit unseren Examen nichts anfangen zu können.

Anfang, Mitte zwanzig waren wir damals. Die New Economy war gerade vorbei, aber bis auf ein paar Parties haben wir davon nichts mitbekommen. Die Kanzleien wurden gerade groß und stark und international, fusionierten in alle Richtungen und luden uns ein zu Vorträgen oder Essen oder irgendwelchen Events, auf denen die Partner der Kanzleien über Deals und Gehälter sprachen, die wir aufregend fanden und ein bißchen frivol für Leute wie uns, die ja praktisch nichts konnten. Die Unternehmensberatungen stellten ein, wenn jemand etwas eher Exotisches studiert hatte. Die Verbände boten Jobs, die Unternehmen Trainee-Programme, und meine Freundinnen gingen reihenweise zum Staat und wurden Ministerialbeamtin und Richterin oder leiten heute irgendwo ein Finanzamt.

Angst, auf der Straße zu sitzen, hatte niemand von uns. Wir promovierten, weil es noch nicht so schnell losgehen sollte mit dem Erwachsensein, und bekamen alle entweder einen Job an der Uni oder ein Stipendium. Es war genug für alle da.

Dass es damit vorbei zu sein scheint, haben wir nicht bemerkt. Wir wurden Senior, Partner, Richter am Landgericht, Regierungsdirektor. Wir haben uns Wohnungen gekauft und Kinder bekommen. Wir sind 35. Wir fahren ein bißchen herum, wir gehen ins Theater, wir kochen, wir lesen viel und wir sehen kaum fern. Vielleicht haben wir Teile der Welt einfach ausgeblendet, weil sie nicht so schön aussehen und uns ein bißchen ratlos machen. Wir zahlen unsere Steuern, wir wählen am Ende dann doch alle grün, wir wissen auch nicht weiter, und wenn wir uns fragen, wann die Welt sich verändert hat, zucken wir mit den Achseln.

Ich weiß es nicht, sagen wir dann. Ich habe davon nichts mitbekommen.

Sonntag, 7. August 2011

Die Sintflut in München

Wenn die Froschperspektive von Zeitgenossen illustriert werden soll, werden immer gern Tagebucheinträge aufgeführt, in denen am Tage eines Kriegsausbruchs oder so von Kino oder Verdauungsbeschwerden die Rede ist. Die Zeitgenossen stehen dann immer so etwas tölpelhaft dar.

Ein bißchen hemmt so etwas natürlich, wenn der Kapitalismus, wie es scheint, nicht nur an den Rändern ein wenig bröselt, und man selbst statt an die Finanzkrise am ehesten ans miese Wetter denkt. Man will ja nicht allzu dumm dastehen. Allerdings ist es schon eher schwer, nicht an den Regen zu denken, wenn man in viel zu leichten Schuhen klatschnass durch München irrt, weil man sich irgendwie im Umgang mit den öffentlichen Verkehrsmitteln verfranzt hat.

Noch vor wenigen Jahren hätten der J. und ich uns in solchen Momenten gestritten und möglicherweise zumindest bis zum Zielort getrennt. In Tunis beispielsweise. Auf dem Weg von Amsterdam an die Mosel. In Paris. Oder auch schlicht in den Parkhäusern an der Uni, in der der J. sich meistens nicht mehr erinnern konnte, wo sein Auto steht. Weil keiner von uns auch nur annähernd Karten lesen kann oder ein natürliches Orientierungsgefühl mitbringt, sind wir dann meistens eher länger unterwegs. Inzwischen tragen wir solche Momente aber mit Fassung und Demut. Es nützt ja nichts.

Diesmal laufen wir zum Auftakt erst zweimal um den Bahnhof. Irgendwie passt die Richtung nicht, dann wollen wir - es regnet mehr - doch lieber Bahn fahren, schließlich besteigen wir die Bahn und dann kommt eine Durchsage, die Bahn fahre heute nicht dahin, wo wir wollen. Wir steigen also aus und in eine Tram.

Diese allerdings scheint nicht so optimal zu sein, wie es anfangs aussah. Es ist nicht die 18, sondern die 27 oder umgekehrt, aber weil die Richtung stimmt, bleiben wir sitzen. Man kann das Museum ja auch schon sehen, trösten wir uns. Außerdem bin ich ohnehin schon völlig durchnässt. In meinen Ballerinas steht einen Zentimeter hoch das Wasser.

Der Regenschirm reicht ungefähr für meinen Kopf. Es gießt, als beginne heute die Sintflut. Käme eine Arche vorbei, ich fände das ganz logisch, aber natürlich kommt keiner, sondern irgendwann kommen wir beim Museum an. Inzwischen bin ich ungefähr so nass, als sei ich voll bekleidet in ein Schwimmbad gestiegen.

Ins Museum kommen wir auch nicht. Anscheinend will die ganze Stadt das Museum bevölkern. Statt ins Museum gehen wir also erst ins Museumscafé, dann schleppen wir uns eine Ecke weiter zum Essen, und als es irgendwann aufhört zu regnen, brechen wir auf. Es ist trüb, kein Vergleich mit Samstag, aber immerhin reicht es für einen langen Spaziergang zum Bahnhof zurück.

In den Schaufenstern der Maximilianstraße prangen die Taschen und Kleider, als gebe es keine Krise. Der J. und ich zeigen uns, was wir hübsch finden und machen uns ein bißchen lustig über Leute, die sehr hässliche Sachen kaufen und tragen. Wenn es abwärts geht mit der Welt, dann liegt es jedenfalls nicht an Kaufverweigerung durch den geschätzten Gefährten und mich, denke ich und wäge ab, was gegen eine grüne Echsentasche spricht. Irgendwo weit weg von hier knarrt und raschelt es im Gebälk. Irgendwo werden viele Leute telephonieren, wie nun umzugehen sein wird mit der Lage, in der jede Woche ein paar Ziegel vom Dach zu fallen scheinen, und ab und zu kracht ein morscher Balken einfach ein. Hier aber laufen wir durch die Innenstadt, kalt und nass kleben meine Schuhe an den Füßen, und als ich irgendwann im Flugzeug nach Hause sitze, fühlt die Welt sich an wie immer, auch wenn das vielleicht gar nicht mehr stimmt.

Montag, 1. August 2011

Madame macht das Beste draus

Schön, denke ich. So ganz und gar der Trägheit nachzugeben. Den schon bestellten Tisch wieder abzusagen, das Kinoprogramm erst gar nicht nachzuschauen. In keine Bar, zu keinem Konzert. Statt dessen zu Hause auf dem Sofa zu liegen, die Beine angewinkelt. Gegen die Scheiben trommelt der Regen, als wolle auch er herein. Die Geliebte des französischen Leutnants zu lesen, einen weißen Tee zu trinken und das Kuchenbacken auf später zu verschieben. Der W. kommt doch erst morgen.

Leise Musik. Ein wenig zu frösteln, das Plaid hochzuziehen bis unters Kinn. Ich habe die dicken Socken an, die meine Großmutter gestrickt hat vor fast schon zehn Jahren. Der Tee dampft. Die linke Hand auf dem Köpfchen der Katze, im Schlafzimmer hustet der ziemlich erkältete J.

Schon ganz okay, denke ich mir, gähne ein bißchen vor mich hin und verbiete mir, an den Sommer auch nur zu denken.



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