Happy End
Er erinnere sich, erzählt er, nicht mehr genau an alle Liebhaber der Mutter, die irgendwann ins Haus kamen, schon lange vor der Scheidung. An einen aber erinnere er sich noch genau, einen Studenten, zehn Jahre jünger als seine schöne Mutter, deren sinnliches, hohes Lachen einen Raum füllte, als seien die anderen Frauen eines Festes gar nicht da. Der Student habe viel mit ihm gespielt, ihm immer etwas mitgebracht, eine gelbe Trillerpfeife etwa, einen Luftballon in Form eines Hasen mit langen Ohren, und ihm morgens, wenn seine Mutter noch schlief, und der Student zum Bäcker ging und ihren Hund ausführte, immer ein Hörnchen mitgebracht, bestreut mit Mohn. Eines Nachts aber kam die Mutter mit einem anderen nach Hause, der Student wurde verabschiedet, und durfte nicht mehr erwähnt werden. „Nun gib doch endlich Ruhe mit dem G.“, wurde er von der Mutter beschieden, erwähnte den Studenten nicht mehr, und eines Tages war auch der Neue wieder weg.
Die Frauen des Vaters waren nicht so schön wie die Mutter. Wenn sie lachten, drehte sich kein ganzes Lokal nach ihnen um, und er erinnere sich aus diesen Jahren auch nur an eine Geliebte des Vaters, ein eckiges, fast unhübsches Mädchen, die, als die Eltern schon getrennte Wohnungen hatten, eines Nachts weinend in das Kinderzimmer kam, und sich neben ihm auf sein Bett geworfen hatte, heulend, als sei jemand gestorben, aber es war wohl bloß die Liebe, denn auch das Mädchen tauchte nicht wieder auf. Schließlich kam die Scheidung, sein Vater behielt die großen, etwas gespenstischen Gemälde Gerhart Richters auf der Galerie, und die Mutter bekam den Baselitz, der in ihrem Esszimmer im ersten Stock hing, später, als ich regelmäßiger Gast war in diesem Hause, in dem es so lebhaft zuging wie bei mir daheim, und ständig Menschen kamen und gingen. Im Garten lagen Freunde mit Fremden zwischen dem weißen Oleander, den Rosen und dem Lavendel aus dem Park von I Tatti. Auf der Terrasse trank seine Mutter mit meiner Mutter und anderen Freundinnen lachend Prosecco, irgendwann gegen Ende der Achtziger Jahre.
Ihr Sohn sei zu ernsthaft, ganz der Vater, nicht sehr amüsant und zu still dazu, konstatierte seine Mutter in diesen Jahren, und kümmerte sich nicht weiter um ihn, dem sie täglich Geld in eine indische, gehämmerte Schale legte, um irgendwelche Ausgaben zu bezahlen, nach denen sie nie fragte. Ab und zu, wenn sie besonders verliebt war, fuhr sie einfach weg oder zog um. Dann musste er mit. Manche von den neuen Männern der Mutter waren nett, manche bemühten sich um Kameradschaft mit dem fast erwachsenen Sohn, der an ihren Parties nicht teilnahm und selber nie eine veranstaltete. Verschwand ein Lebensgefährte oder ein Liebhaber der Mutter, so dachte er nicht mehr an ihn, vergaß ihn, wie ihn die Mutter vergaß, und gewöhnte sich an den Neuen. Manchmal verschwand auch die Mutter für ein paar Wochen, dann rief er den Vater an, der Geld überwies, das man in die indische Schale legen konnte, damit immer etwas da war.
Nach dem Abitur zog er aus und kam nicht wieder. Ab und zu verliebte er sich, und wenn er nicht wiedergeliebt wurde, oder viel zu viel, dann verabschiedete er sich oder wurde verabschiedet, und vergaß die Geliebte sofort. Konnte eine einmal nicht vergessen werden, rief er nie wieder an, ging ins Ausland, verreiste mit einer anderen, und als es einmal einen scharfen Stich gab, als eine anrief, die doch nicht ganz vergessen war, da legte er mitten im Gespräch auf. Schmerzlos wurde er 25, 26, und als er 27 war, beschloss er, dass es so nicht weitergehen könne. Man stürbe ab auf diese Weise, behauptet er und klopft mir gegen die Wange. Man wolle erst nicht mehr lieben, und dann könne man es nicht mehr, und laufe am Ende herum als eine verlockende Attrappe seiner selbst. Niemand aber, so fährt er fort, hänge sein Herz an eine Attrappe, eine Fata Morgana, die sich stetig entfernt, wenn man sich ihr nähert, und so zöge man eben weiter und weiter und weiter.
Er wollte nicht mehr weiter, er suchte sich ein Mädchen aus, das ein bißchen zu ernsthaft ist und ein wenig unhübsch. Wenn sie lacht, hört man sie kaum, und umgezogen ist sie in ihrem Leben nur zweimal, einmal nach dem Abitur und einmal nach der Uni.
Zusammenziehen will sie demnächst, heiraten, ein Kind oder auch ganz viele, und das, sagt er, sei eine gute Sache.