Kleiner Gesang vom nächtlichen Altern
Ist alles eins
Was liegt daran,
Der hat sein Glück,
Gar seinen Wahn.
Was liegt daran!
Ist Alles eins,
Der hat ein Glück!
Und ich fand keins.
Arnold Schönberg Op. 45,
Text von Jakob Haringer
Ob das jetzt alles war, überlegt es in dir, nachts um halb drei, während ein Stockwerk tiefer das Kind schreit und du nicht schlafen kannst. Ob in den vierzig, fünfzig oder mehr Jahren, die noch vor dir liegen, noch etwas kommt, auf das es sich zu warten lohnt. Ob hinter dem Wellenkamm der nächsten Woche, hinter dem Schaum vom nächsten Jahr noch einmal etwas Neues sitzt und sich die Haare kämmt beim Warten auf dich. Ob noch einmal eine neue Stadt über dir zusammenschlägt wie ein Meer aus Glas und Steinen, und dich an ihre Mauern wirft, und dich verschlingt, um dich neu zu gebären. Ob du noch einmal geliebt werden wirst, wie ich es mir nicht vorstellen kann bei alten Leuten: Ob noch einmal jemand sich kopf- und bedenkenlos ausliefern mag an dich, ob du noch einmal deinen Herzschlag an ein fremdes Gesicht heften wirst, und ob du dich noch einmal heimgekommen in eine fremde, blutige Haut hüllen wirst.
Vielleicht ist es aber auch so vorbei, wie bei vielen Leuten, die du kennst. Vielleicht ist alles, was da noch an Neuem kommt, nur die Wiederholung im Spätprogramm. Vielleicht ist das da draußen jetzt die letzte Runde, und wir alle tot, so tot wie die weißen, verwesten Frauen mit den Dauerwellen morgens in der Bahn. Vielleicht sind wir nur das schönere Elend. Vielleicht liegt alles, was für dich bestimmt war, bereits hinter dir, und wenn du daran denkst, nachts, wenn das Kind schreit, und du nicht schlafen kannst:
Dann war es nicht viel. Dann war es nicht genug, und kein Trost, dass es genug vielleicht gar nicht hätte sein können, so wie du bist, nachts um halb drei, und manchmal auch tagsüber.
Ich werde ihn wohl mit in die Nacht nehmen und in meinen Träumen von der linken zur rechten Gehirnhälfte und zurück schieben müssen.