Kleine kulinarische Regression

Irgendwann nach dem letzten Krieg hatten die Deutschen die Braten über und begannen, sich in großem Stil von Spaghetti zu ernähren. Mit der Abschaffung der fetten Saucen und der schweren Pasteten wurden die Deutschen vielleicht nicht dünner, aber gleich fühlten sie sich irgendwie unbeschwerter, so südlich, und legten mit japanischen Fischgerichten und thailändischen Suppen in der Folge noch einen drauf.

In der Reformation sollen die Deutschen ja wahnsinnig viel gegessen haben. Und noch zur Bratenzeit waren sechs, sieben warme Gänge mit Sorbet zum Abkühlen dazwischen und Mokka und Gebäck am Schluss ja nicht selten. An den Tischen der Gegenwart hat sich das radikal geändert: Es gibt vielleicht eine sehr leichte Vorspeise, etwa Insalata Caprese, und am Ende ein Dessert, aber diese Speisenfolge muss reichen, und meist reicht sie ja auch. Wie am Ende jedes menschlichen Lebens der Tod steht, so steht auch am Ende jedes dieser Essen ein- und dasselbe Ereignis. Es gibt Tiramisu. Mousse au Chocolat. Oder Eis. In betont unkomplizierten Haushalten kann man auch Götterspeise oder Roter Grütze begegnen.

Ach ja, denkt man da, und taucht den Löffel in die schaumige braune Masse. Wo sind sie hin, die gestürzten Sahnereiskränze der Kindheit, dekoriert mit kandierten Früchten in einer Qualität, die vermutlich erst am Kurfürstendamm wieder käuflich zu erwerben ist. Was ist passiert mit den Erdbeersavarins, der Weincreme, dem flambierten Grießauflauf, dem ich die Narbe an meinem linken Unterarm verdanke? Wo stehen noch marinierte Pfirsiche auf dem Tisch? Wer füllt mir eine Himbeercharlotte, übergossen mit süßem Rahm?

Der Ehrgeiz der Hobbyköche geht an diesen Speisen völlig vorbei. Eine Crème Brûlée soll es da sein, oder die Crème Caramel, mit der ich mich auch manchmal den Mühen einer aufwendigen Nachspeise entziehe. Selbst die bunten Kochbücher bei Dussmann, die „99 Klassiche Dessertrezepte“ enthalten sollen, sparen diesen Teil meiner süßen Kindheitsträume komplett aus.

Und da sitzen sie dann an ihren langen Tischen mit dem asian style weißen Porzellan und den kargen Blumen. Vor ihnen eine Tiramisu, in ihnen ein thailändisches Rindfleischgericht mit Koriander. Stolz sprechen sie von der überwundenen deutschen Küchenmisere, in der die Leute Sülze aßen und am Sonntag ein Eisbein. Jaja, denke ich dann und lobe den süßen weißen Matsch.
pathologe - 15. Mär. 2005, 15:04 Uhr

Schauen Sie sich doch einfach die Werbung an!

Da ist gar kein Platz für Genussmenschen. In diesem wie auch anderem Sinne. Schlank und rank ist in, Knochen müssen aus dem Körper ragen, dass auch das letzte Fetzchen Stoff, natürlich nur direkt aus Mailand, einen Halt findet. Spaß beginnt bei Frauen bei 50kg und weniger. Und der Herr von heute trägt Waschbrett- statt Waschbärbauch. Sieht auf den Bildern in den Zeitschriften auch appetitlich aus, man hört ja nicht das ständige Magenknurren. Ich überlasse es dem geneigten Leser, sich die Geräuschkulisse beim zwischenmenschlichen Akt selbst auszumalen.

Ich bedauere es auch, aber seien Sie versichert, irgendwo gibt es noch einige wenige, die sich diesem Trend entgegenstellen! Darf ich Sie einladen?
TheSource - 16. Mär. 2005, 16:18 Uhr

Tiramisu

ist nun wirklich nicht auf der Liste der Light-Gerichte zu finden.
Gestatten Sie eine Gegendarstellung:


Endlich multi-Kulti, muss ich seit einigen Jahren hier niemandem mehr erklären, was Pesto ist (vor zehn Jahren fanden meine Freunde das noch exotisch). Niemand muss mehr zu Knoblauch überredet werden, man(n) besteht auf ihm. Und ich bekomme bei Freunden sogar Wein vorgesetzt, kein Bier.
Meine mediterrane Heimatküche muss ich nicht mehr schmackhaft machen - alle wollen sie.
(Sie grinsen vielleicht: Das spart mir zeitaufwendige Referate über deren Vorteile ;-)
Bei Lamm und Olivenöl sagt niemand mehr: Das schmeckt aber streng.
Kurzum: Ich bin rundum kulinarisch glücklich.

Ach ja: Und ich mag Waschbrett.
Modeste - 16. Mär. 2005, 17:08 Uhr

Immer dieses Entweder-Oder. Mediterran wird immer gern genommen, aber der lautlose Untergang von Königinsuppen, garnierten Kalbsbraten, fettigen Pasteten und den süßen Sachen der Großmutterküche ist doch sehr, sehr schade.
Booldog - 16. Mär. 2005, 17:10 Uhr

Wie wahr, wie wahr! Ich will mal wieder die feinen sauren Nierchen, wie von Oma (verstorben 1981) zubereitet! Schwermetalle hin oder her!

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