Die Eheanbahnung und ich

Was diejenigen Menschen, die wir unsere Freunde nennen, tatsächlich von uns denken, erfahren wir lebendigen Leibes und körperlich anwesend nur sehr selten. Einer der wenigen Momente, in denen die lästigen Fransen der Wahrheit uns durchs Gesicht fahren, ereignen sich aber dann, wenn wir uns auf einmal ohne einen festen Partner wiederfinden, und sodann diejenigen, die es gut mit uns meinen, von der Unerträglichkeit dieses Zustands ausgehen und versuchen, uns zu helfen.

Die himmelschreiende Auswahl jener Herren, die von denjenigen Menschen, die eigentlich nur das Beste von uns denken sollte, als passend und akzeptabel erachtet werden, lässt diesbezüglich tief blicken: Meine Freunde halten mich wahlweise für irre oder für schwer vermittelbar, und es liegt nun an jedem selbst, zu wählen, welche dieser Alternativen er für die weniger grauenhafte hält, zumal natürlich auch eine Kombination aus beiden Negativa nicht vollkommen unglaubwürdig erscheint.

Wie anders denn soll man jenen Herrn deuten, den ich vor nicht allzu langer Zeit am Tisch einer lieben Freundin vorfand! Vier Paare waren geladen und saßen nebst den Gastgebern an einer langen Tafel in Schöneberg, und außer diesen fünf Beispielen wahrhaftigen ehelichen bzw. vorehelichen Glücks waren zwei unfreiwillige Kandidaten zur Aufnahme in jenen Orden anwesend, ein Bundesbruder des Hausherrn nämlich, und ich.

Mein Tischherr schritt noch vor der Suppe zur Einleitung einer ernsthaften und geistreichen Unterhaltung. Die Preußen, so mein vierschrötiger Nachbar, seien die Römer die 19. Jahrhunderts gewesen, die Franzosen jedoch die Hellenen, und die Aufgabe dieser vorteilhaften Position bilde das moralischer Versagen Deutschlands. Dann prostete er mir zu und versuchte mich mit ein paar kommerserprobten Scherzen zu amüsieren. Mechanisch hob ich das Glas.

Ich war und bin mir ziemlich sicher, dass diejenigen Ereignisse, die meinem Tischherrn und mir als Paradigmata jenes erwähnten moralischen Versagens durch den Kopf gingen, keineswegs dieselben gewesen sein können, aber der Mann war in der Lage, auf diese erstaunliche Äußerung noch einmal kräftig draufzulegen. Nach meiner Erlösung von dieser befremdlichen Gesellschaft, ein Filet Wellington, anderthalb Bratäpfel und Stunden des gemütlichen Beisammenseins beim Wein später, blieben die Hausherrin und ich im Wohnzimmer zurück. „Was hältst du von ihm?“, fragte mich die Freundin, während sie – die das Rauchen dem Gatten zuliebe aufgegeben zu haben behauptet - an einer meiner Zigaretten zog. Um jedweden weiteren Versuchen der Eheanbahnung von vornherein den Boden zu entziehen, antwortete ich in schonungsloser Offenheit. Die Freundin war enttäuscht. „Ihr habt euch doch so gut unterhalten.“, meinte sie. Und dass man auch nicht zu anspruchsvoll sein dürfe, denn jener Bundesbruder ihres Mannes sei ein netter Kerl, höflich, aus gutem Hause und versehen mit den allerbesten beruflichen wie privaten Referenzen. Ich lehnte dankend ab, und der feine Rauch meiner Undankbarkeit kräuselte sich unter der Decke.

Anders schlimm, aber um nichts weniger gräßlich war auch jener Zusammenprall mit dem Bruder eines Bekannten, der neben jenem erschien, als wir vor einigen Monaten ein Lichtspielhaus aufsuchten, um den zu recht gelobten Film „Muxmäuschenstill“ zu betrachten. Der ungefähr 35 Jahre alte, ziemlich kahlköpfige und sehr stille Mann hatte vor einigen Monaten gerade eine schwere berufliche Enttäuschung durchlebt und war im Anschluss an diese Erfahrung auch gleich seiner langjährigen Freundin verlustig gegangen. Er sprach den ganzen Abend über kaum, nicht beim Verlassen des Kinos, nicht beim Tee im „November“, und auch die Fortsetzung des Abends in einer gastfreundlichen Wohnung in der nahegelegenen Rykestraße vermochte sein Schweigen nicht zu überwinden.

Ein paar Tage später rief der Bekannte mich an, sprach ein wenig über den Film, ein wenig über das schwere Los seines Bruders, und erwähnte, dass jener trübselig, gebeutelt von Arbeitslosigkeit und Einsamkeit, ein wenig Aufmunterung gut gebrauchen könnte, eine Verabredung mit einer munteren Person wie mir werde daher bestimmt auf offene Ohren stoßen. Ich müsse ihn einfach einmal anrufen. „Ich bin nicht die amouröse Resteverwertung von Berlin.“, sprach ich zu ihm, und legte abrupt auf.

Inzwischen, Monate sind ins Land gegangen, gelte ich in nahestehenden Kreisen vermutlich als ein wenig zickig und mit einem überbordenden Anspruchsdenken versehen. Die Predigten, wonach es mit zunehmenden Alter mangels Gelegenheit und hochqualitativem Vorkommen sehr schwierig werde, noch alleinstehende Herren zu erlegen, fangen langsam an, zu versiegen. Die zufällig und unangekündigt auftauchenden Herren werden seltener. Nur noch gelegentlich werden mir Durchreisende angepriesen, oder versucht, mich in fernliegende Regionen zu locken, um dort auf Geburtstagen oder Examensfeiern auf besonders gute Freunde der Gastgeber zu stoßen, die ja auch schon so lange allein seien.

Was dieses Versiegen der freundschaftlichen Eheanbahnungsversuche über das Bild, welches gute Freunde von mir hegen, aussagt, will ich gar nicht wissen.
pathologe - 1. Apr. 2005, 15:44 Uhr

Frau Modeste, nun mal aber Klartext

Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie, Zweisamkeit mit einem männlichen Wesen vorausgesetzt, nicht ebenso beim Anblick eines/r gebeutelten Zeitgenosse/in handelten? Beispielsweise Ihren Sie im Alter versorgen wollender Cousin?
Möglicherweise müssen nur die Randbedingungen stimmen, und schon lassen Sie Ihren welt- und beziehungsverbessernden Fertigkeiten freien Lauf. Schauen Sie sich diese Randbedingungen bei Ihren gutmeinenden Bekannten doch einmal an. Ist es nicht so, dass diese vielleicht aus einer Krise heraus zu meinen müssen, Ihnen hilfreich auf die Bettkante zu helfen? Um eigene Schwächen, Fehler und Unzulänglichkeiten zu übertünchen? Quasi das Ideal in Ihre Beziehung mit einem wie auch immer geartetem / geeignetem Kandidaten zu legen?

Warten Sie einfach. Wie auf den Lotto-Sechser. Ich hoffe nicht für Sie, dass der Lotto-Sechser früher kommt.
Modeste - 1. Apr. 2005, 15:57 Uhr

Da stehen die Chancen gut - ich spiele kein Lotto. Aber ganz im Ernst - meine halbgaren Versuche, nette Leute miteinander bekannt zu machen, gehen normalerweise dermaßen daneben, dass ich es vermutlich nicht wieder versuchen werde. Das Beziehungsglück meiner Freunde überlasse ich zukünftig ganz gelassen König Zufall.
kid37 - 1. Apr. 2005, 16:41 Uhr

Die Kreise, in denen Sie verkehren, scheinen mir nicht gerade ein Ausbund an Lockerheit zu sein. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin der ungeeignetste Mensch, um über Lockerheit zu dozieren. Aber ich arbeite seit diesem Jahr daran. Ich dachte immer, in Berlin wimmele es von herrenlosen alleinstehenden Herren. Aber diese verkrachten Künstlerexistenzen kommen wohl nicht in Frage? So zum Aufbratpäppeln?
Modeste - 1. Apr. 2005, 18:47 Uhr

Ja, alleinstehende, schlecht ernährte Herren mit hungrigem Gesichtsausdruck und ungebügelten Hosen laufen in wilden Horden durch die Stadt. Diejenige Dame, die den Erfinder des Design-iPod-Überzuges ernst zu nehmen in der Lage ist, irgendwelche Männer für ihre unveröffentlichten Romane bewundert oder einem Installationskünstler als Muse und Ernährerin dienstbar sein möchte, ist hier genau richtig. Ist dies nicht der Fall, dann sieht es eher düster aus - rabenschwarz um genau zu sein. Allerdings muss es ja nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit noch irgendetwas Nettes zwischen den Polen des herumjuristenden Burschenschaftlers und dem arbeitlosen Grafikdesigner geben. Wer mir aus dieser Zielgruppe und bei gegenseitigem Gefallen zu Füßen fiele, könnte natürlich auch mit hervorragender Ernährung rechnen - mein letzter Freund hat während der Beziehung fast acht Kilo zugenommen und sah am Schluss fast normalgewichtig aus.
kid37 - 2. Apr. 2005, 1:07 Uhr

... mein letzter Freund hat während der Beziehung fast acht Kilo zugenommen und sah am Schluss fast normalgewichtig aus.

Haha. Ich glaube, das muß ich bei Gelegenheit noch mal zitieren. Ein großartiger Satz.
40something - 1. Apr. 2005, 16:55 Uhr

Frl. Modeste,

ist es vielleicht denkbar (wenn auch bestimmt abwegig), dass Sie Ihren Freunden, die Sie wohlmeinend in eine Beziehung lotsen wollen, recht vage Vorstellungen davon vermitteln, was für Sie in Frage käme? Ja, provozieren Sie nicht gerade, dass jene meinen, Ihnen alles, aber auch alles vorstellen zu müssen, was gerade unbeweibt ist und eine zarte Hand zu brauchen scheint?

Sollte da nicht ein Kriterienkatalog an der Hand sein, der Ihren Freunden und insbesondere Freundinnen klar umrissen aufzeigt, wo die Grenzen dessen liegen, was Sie zu ertragen gewillt sind? Und jenen klar macht, dass schlagend und farbentragend vielleicht für Sie in Filmen, niemals aber im wirklichen Leben des real existierenden Berlin infrage kommt?

Wenn Sie, verehrtes Frl. Modeste, nicht sagen, was Sie wollen, könnten Ihre Freunde am Ende gar glauben, Sie wüssten gar nicht, was Sie wollen. Und dann wissen sie bestimmt, was das beste für Sie wäre. So entstehen Irrtümer, und die führen zu den Verletzungen, die Sie zu recht so beklagen.

Na ja, amouröse Resteverwertung ist auch ein hartes Wort. Hat man von einem zarten (?) Wesen gar nicht erwartet. Sehen Sie, vielleicht ist ja das auch das Problem.

Sagen sie, was Sie wollen. Aber nicht so hart, bitte.
Modeste - 1. Apr. 2005, 18:48 Uhr

"Zart"? Wer spricht denn hier von zart? Ich habe das mit gutem Grund niemals behauptet. Ich mag eine Mimose sein, aber "zart" ist etwas grundlegend anderes.
40something - 1. Apr. 2005, 18:52 Uhr

Sie können gerne das bewusst mit einem Fragezeichen versehene "zart" in ein "mimosenhaft" mit Ausrufezeichen umwandeln... Sonst bleibe ich aber dabei.
kyra - 1. Apr. 2005, 20:38 Uhr

ha, leider nichts zum thema, aber:

ich wandere zu deinem weblog, was sehe ich da: gleiches layout, gleiche farben. ich hoffte, du wärst erst nach mir gekommen. jetzt stehe ich als miserable imitatorin da. macht nix. ich kann damit leben. du hoffentlich auch?
elektra - 5. Apr. 2005, 20:46 Uhr

frau MODESTE,

Auch ich würde vermuten, das ihre freunde sie nur schwer einschätzen können, vor allem in bezug auf ihre partnerwünsche ...
Dies ist meiner meinung nach ein ganz normales phänomen ...

natürlich sollten "freunde" einen gut einschätzen können, aber jeder lebt doch zu einem guten teil nur in seinem kopf, mit seinen spezifischen filtern, wo auch nicht alles durchkommt ...

ausserdem ... AUFMERKSAMKEIT, ist eine seltene tugend ...

daher finde ich es manchmal bemerkenswert, das mir eine [fast] wildfremde person sachen über mich erzählt die ziemlich zutreffen, wärend leute die ich schon lange kenne, "mich" kaum "sehen" ...

so ist es halt ...
aber ... nur weil mich "der" oder "die" nicht ganz so einschätzt, mag ich diese person/en nicht weniger ( wenn ich auch manchmal mächtig enttäuscht bin ), und das reicht mir in mancher hinsicht ...
in dingen von denen ich inzwischen weiss, sie haben keine ahnung, und wollen es vielleicht auch nicht, lasse ich sie in ruhe und verlasse mich eher auf mein eigenes gespühr ...

und sollten die möglichen "kandidaten" inzwischen rar geworden sein ( vielleicht wirklich aufgrund ihrer art ? ) erhöht es dennoch ihre chance den "richtigen" zu finden ...
wer sollte sich denn sonnst noch in ihre gegenwart trauen ?

PS: meine freunde haben bisher noch nie versucht mich zu "vermitteln" ... frage mich nur ob ich mich drüber freuen soll ;) ...
ach nee, ich glaube eher die halten mich alle für total bescheuert, und unaushaltsam in einer beziehung, oder nicht beziehungsfähig ...

... egal, sage ich mir, und gehe raus um laue frühlingsluft zu schnuppern, und vielleicht wen kennenzulernen :)

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