Versteinern
Wie groß war die Welt und ihre Versprechen. Wie strahlend, wie morgenschön erschien, an manchen Tagen, die Erfüllung aller Wünsche. Die erwartungsvolle Freude am ersten Schultag, die Schultüte im Arm, an meines Vaters Hand. Die ersten Freundschaften, stundenlang mit der K. am See zu liegen, und sich alles, alles zu erzählen, und sich wiederzuerkennen in der anderen. Mit einem Markstück gemischte Tüten zu kaufen und alles zweimal zu nehmen. Wie großartig der erste Opernbesuch war, der Freischütz, 1983 war´s, ein paar Wochen später die Zauberflöte, und wegen guter Aufführung ein Jahr später die Meistersinger. Meine Großmutter goß ein wenig Kaffee in die heiße Milch, mit neun oder zehn gab´s morgens Semmeln statt Milchsuppen oder Porridge, und ich fühlte mich erwachsen mit der Buttersemel in der Hand.
Wie schmerzhaft die ersten Abschiede waren, das vergebliche Warten auf Briefe der K., die doch zu schreiben versprochen hatte. Neue Freundschaften, deren Endlichkeit schon weniger schmerzte. Die ersten großen Leseerlebnisse, die ich nicht mehr weiß, nur noch, dass es sie gegeben hat: Bücher, die ich so oft las, dass sie ein zweites Mal gekauft werden mussten, weil die Bindung sich gelöst hatte. Mit zwölf, glaube ich, war ich das erste Mal verliebt, und dachte lange nach, warum dieser Junge, und nicht ein anderer, und fand keine Antwort. Der erste Kuss, der erste Schmerz, weil eine andere geliebt wurde und nach Hause begleitet. Erfolge im Sport und in der Schule, reiner Geschmack des Triumphes, und die Erkenntnis, auf diesem Wege das Glück dann doch nicht zu finden, letztlich ehrgeizlos zu sein, und genug an der Tätigkeit zu haben, ohne siegen zu müssen.
Der ganze Himmel ging auf, als einer, dem ich wochenlang nachgeschaut hatte, mich küsste, und die Welt hätte untergehen mögen, als er schließlich doch gestand, eine andere zu lieben, hinter der die halbe Schule herlief. Die Enttäuschung über das, was ich mir als Himmel gedacht hatte, und dann doch nur ein Stück Erde war, lieblos und brutal. Die Pyramiden zu sehen und Jerusalem, das Kolosseum und die Wüste. Unberührt zu bleiben, und Begeisterung vorzutäuschen, um Erwartungen zu erfüllen, die ich nicht enttäuschen mochte. Verstellung und Verrat, und den Rigorismus der Fünfzehnjährigen in irgendeiner Ecke liegenzulassen.
Den Erwartungen ihr Leuchten abzukratzen. Die Entzauberung der Anfänge, die sarkastischen, nächtlichen Gespräche, die das beiläufige, bittere Ende vorwegnahmen. Anfänge und Enden, die sich zu wiederholen begannen. Zusehen, wie sich auf dem Grunde der Seele ein Bodensatz zu bilden begann, der alles überhaupt schon immer gewusst hatte, nichts erwartete, und das Pragmatismus nannte, für was es hässlichere Namen gibt, die er alle kannte. Durch die Neuheit das immer schon Dagewesene zu sehen, hinter dem Immergleichen wiederum die traurigen Mechanismen der abgenützten Seele, und hinter dieser die Leere und das Nichts. Über die Schichten der Enttäuschung spotten, dem Verlorenen nicht mehr hinterherzutrauern, und am Ende die Erkenntnis zurückzubehalten, dass da nichts ist als ein fließendes, leuchtendes Flirren des Augenblicks, ein warmer Abend im Park, und die Angst, dass nichts mehr kommen mag, die nächsten fünfzig Jahre als die Ödnis der Wiederkehr, und die Gleichmut und eine Versteinerung am Ende, die auch diese Angst nicht mehr kennt.
Wie schmerzhaft die ersten Abschiede waren, das vergebliche Warten auf Briefe der K., die doch zu schreiben versprochen hatte. Neue Freundschaften, deren Endlichkeit schon weniger schmerzte. Die ersten großen Leseerlebnisse, die ich nicht mehr weiß, nur noch, dass es sie gegeben hat: Bücher, die ich so oft las, dass sie ein zweites Mal gekauft werden mussten, weil die Bindung sich gelöst hatte. Mit zwölf, glaube ich, war ich das erste Mal verliebt, und dachte lange nach, warum dieser Junge, und nicht ein anderer, und fand keine Antwort. Der erste Kuss, der erste Schmerz, weil eine andere geliebt wurde und nach Hause begleitet. Erfolge im Sport und in der Schule, reiner Geschmack des Triumphes, und die Erkenntnis, auf diesem Wege das Glück dann doch nicht zu finden, letztlich ehrgeizlos zu sein, und genug an der Tätigkeit zu haben, ohne siegen zu müssen.
Der ganze Himmel ging auf, als einer, dem ich wochenlang nachgeschaut hatte, mich küsste, und die Welt hätte untergehen mögen, als er schließlich doch gestand, eine andere zu lieben, hinter der die halbe Schule herlief. Die Enttäuschung über das, was ich mir als Himmel gedacht hatte, und dann doch nur ein Stück Erde war, lieblos und brutal. Die Pyramiden zu sehen und Jerusalem, das Kolosseum und die Wüste. Unberührt zu bleiben, und Begeisterung vorzutäuschen, um Erwartungen zu erfüllen, die ich nicht enttäuschen mochte. Verstellung und Verrat, und den Rigorismus der Fünfzehnjährigen in irgendeiner Ecke liegenzulassen.
Den Erwartungen ihr Leuchten abzukratzen. Die Entzauberung der Anfänge, die sarkastischen, nächtlichen Gespräche, die das beiläufige, bittere Ende vorwegnahmen. Anfänge und Enden, die sich zu wiederholen begannen. Zusehen, wie sich auf dem Grunde der Seele ein Bodensatz zu bilden begann, der alles überhaupt schon immer gewusst hatte, nichts erwartete, und das Pragmatismus nannte, für was es hässlichere Namen gibt, die er alle kannte. Durch die Neuheit das immer schon Dagewesene zu sehen, hinter dem Immergleichen wiederum die traurigen Mechanismen der abgenützten Seele, und hinter dieser die Leere und das Nichts. Über die Schichten der Enttäuschung spotten, dem Verlorenen nicht mehr hinterherzutrauern, und am Ende die Erkenntnis zurückzubehalten, dass da nichts ist als ein fließendes, leuchtendes Flirren des Augenblicks, ein warmer Abend im Park, und die Angst, dass nichts mehr kommen mag, die nächsten fünfzig Jahre als die Ödnis der Wiederkehr, und die Gleichmut und eine Versteinerung am Ende, die auch diese Angst nicht mehr kennt.
von: Modeste Schublade: Datum: 24. Jun. 2005, 2:29 Uhr
Vielleicht wirds nie wieder so schön ... (Gerhardt Schöne)
Ich ging mit Vater ins Museum, da drinnen war es hundekalt.
Er nahm mich unter seinen Mantel und sagte: "Komm, wir spiel ‘n Kamel!"
Wir stapften kichernd durchs Museum, die Aufsichtstanten guckten scheel.
An der verschneiten Haltestelle durft ich auf seinen Füßen stehn.
Ich hielt mich fest an ihm und dachte: Vielleicht wird ‘s nie wieder so schön,
hehe, mmh, vielleicht wird ‘s nie wieder so schön.
Bevor wir auseinander gingen, fuhr unsere Klasse noch einmal
in ein Barackenferienlager mit einem kleinen See im Tal.
Am letzten Abend ein Getuschel: Wir treffen uns am See heut Nacht.
Wir schlichen uns aus den Baracken, die Lehrer sind nicht aufgewacht.
Wir schwammen nackt ans andre Ufer und haben uns schüchtern angesehn
im weißen Mondlicht. Und ich dachte: Vielleicht wird ‘s nie wieder so schön,
hehe, mmh, vielleicht wird ‘s nie wieder so schön.
Am Bahnsteig lernte ich sie kennen. Sie hatten ihren Zug verpasst.
Die sieben polnischen Studenten, jetzt waren sie bei mir zu Gast.
Die Mädchen schmierten ein paar Brote, die Jungen haben Wein besorgt,
und ich hab mir bei meinen Nachbarn `nen Stapel Decken ausgeborgt.
Wir sangen Dona nobis pacem, Give peace a chance und Penny Lane.
Als wir uns früh umarmten, dacht ich: Vielleicht wird ‘s nie wieder so schön,
hehe, mmh, vielleicht wird ‘s nie wieder so schön.
Damals im Zelt mit meiner Freundin, die erste Nacht mit ihr allein.
Wir wagten nicht, uns auszuziehen und krochen in den Schlafsack rein.
Wir schmiegten uns ganz aneinander, ich hab nur ihr Gesicht berührt.
Als sie schon schlief, hab ich noch immer ihr Atmen wie ein Glück gespürt.
Obwohl mir schon die Arme schmerzten, ich dacht nicht dran, mich umzudrehn.
Es wurde Morgen, und ich dachte: Vielleicht wird ‘s nie wieder so schön,
hehe, mmh, vielleicht wird ‘s nie wieder so schön.
Noch manchmal, wenn wir uns umarmten, oft grundlos traurig, grundlos froh.
Einmal, als ich ein Mädchen hörte in einer Kirche, irgendwo.
Als wir klitschnass am Waldrand hockten, und ein Regenbogen stand.
Und wenn ich plötzlich Menschen mochte, die ich zuvor noch nicht gekannt.
Wenn ich ‘s vor Heimweh nicht mehr aushielt, fuhr nachts zurück, um dich zu sehn.
In vielen Augenblicken dacht ich: Vielleicht wird ‘s nie wieder so schön,
hehe, mmh, vielleicht wird ‘s nie wieder so schön.