Mittwoch, 13. April 2005

T. weiß ganz genau Bescheid

„Man kann halt nicht alles haben,“, sagt der T. und zuckt ein wenig mit den Schultern. Die jüngst verstoßene A. fühlt sich unverstanden. Sie habe ihren nunmehr wohl ehemaligen Gefährten von Herzen geliebt, indes habe das gemeinsame Leben in zumindest einer Beziehung zu wünschen übrig gelassen, und da habe sie halt... und dann sei es eben zu jener Begegnung gekommen. Der andere, der mit den Muskeln und den eher körperlichen Vorzügen, habe ihr aber nichts bedeutet, so emotional, und ihr Freund sehe das nicht ein. T. gähnt ein wenig und winkt zum zweitenmal vergeblich nach der Kellnerin.

„Als Frau kann man da ja nun nicht so ohne weiteres trennen,“, meint die R., und lächelt ein wenig unsicher dazu. „Als Mann auch nicht,“, brummt M., dem die ganze Diskussion ein wenig unangenehm ist, derweilen er mit dem ehemaligen Gefährten der A. auch weiterhin freundschaftlich verbunden zu bleiben plant. Ich werfe ein, dass dergleichen Empfinden nun doch eher individuell sein dürfte, und komme auf jenen Film von Wenzel Storch zu sprechen, den ich als offenbar einziges Mitglied meiner versammelten näheren menschlichen Umgebung gern besuchen würde.

„Dieser Relativismus kotzt mich an.“, schneidet T. meine diesbezüglichen Vorstöße ab. Es ginge gar nicht um moralische Vorschriften, jedwede Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf die individuelle Ebene zu verlagern, sei aber schlichter Blödsinn, und ein gefährlicher Blödsinn dazu. Den Frauen, so T., täte ein Mann, der sich auf diese bequeme Haltung zurückzöge, überdies keinen Gefallen. Die Frau säße da am End´, verliebe sich, und der Mann verlange noch Gelassenheit dazu und verweise auf die vereinbarte Unverbindlichkeit, zu der Frauen in aller Regel nicht in der Lage seien. Und das sei nun einmal Fakt.

A. schaut noch ein wenig unglücklicher aus als bei ihrer Ankunft. M. murmelt etwas von Fehlern, die jeder einmal macht, und schlägt einen kniefälligen Brief vor, der A. wieder in die Gunst des entschwundenen Freundes bugsieren soll. Der hänge doch auch an der A., und als Zeichen des guten Willens solle sich A. doch um eine Berufstätigkeit bemühen, denn dann sehe der Freund, dass es ihr nicht nur am bequemen Leben gelegen sei.

„Ein Bière Picon“, bestellt der M., als die Kellnerin endlich kommt, ich ordere einen weiteren Tee, um meinen ohnehin etwas anfälligen Magen nicht weiter zu reizen, und T. zählt ein paar unglücklich verlaufene Geschichten aus unserem Bekanntenkreis auf, in denen schlechte Männer netten Mädchen schlussendlich schrecklich mitgespielt hätten.

„Ich habe ihn aber wirklich nicht geliebt.“, mischt sich A. ein, und spielt auf eine gemeinsame Freundin an, die seit Jahren, wie jedermann weiß, neben ihrem geschätzten Gefährten einem weiteren Mann ihr Schlafgemach zu zeigen pflegt. Dass nicht jede alleinstehende Frau zur Keuschheit bereit oder überhaupt in der Lage sei, habe ich auch noch beizutragen, und auch M. räumt ein, dass es einige Damen gebe, die eben etwas hemmungsloser veranlagt seien als andere.

„Die haben sich was einreden lassen.“, wischt T. die Einwände vom Tisch.

Aere perennius

Wenn das alles mal ferne Vergangenheit sein wird, wenn es keinen Bundeskanzler mehr gibt und keine Hauptversammlungen mit belegten Brötchen, kein Fernsehprogramm, in dem man anderen Leuten beim Sportmachen zuschauen kann, und keine zehn Zeitschriften, die sich mit Gartenbau beschäftigen:

Wenn diese Welt also völlig untergegangen sein wird und unsere Grabsteine blank von der Zeit die Pflaster einer neuen Welt decken - was, so frage ich mich nachts manchmal vor meinen Büchern, wird dann noch bleiben und gelesen werden von jenen, die für ein paar Stunden noch einmal durch die Fußgängerpassagen unserer Welt flanieren mögen?

Auf eine Qualitätsauslese kann man wohl nicht hoffen. Den Helvius Cinna, was mag er geschrieben haben, hielt jener traurige Liebhaber der Clodia für gleichwertig, aber nichts ist auf uns gekommen von den anderen Neoteroi, deren Geistesverfassung der unseren nicht fern gewesen sein wird, den späten Kindern einer komplizierten, verrotteten, in allen Farben der Verkommenheit prächtig schillernden Welt. - Wieso sollte auch der Zufall planvoll walten. Wessen Bibliothek fast unversehrt auf die Nachwelt kommt, eingegraben in heißem Sand, oder aufbewahrt in den Klöstern, die das Gedächtnis des nächsten Untergangs bilden werden, weiß keiner, und man kann nur hoffen, dass es eine schöne Bibliothek sein wird. Je besser sie sein wird - wenn es denn eine private Sammlung ist - um so mehr wird sie Charakter und Geschmack ihres Besitzers abbilden, und das wird heißen, dass zwangsläufig etwas fehlt. Mit ein bißchen Pech wird unser Abbild in den Köpfen unbekannter Zeiten geprägt sein von der Larmoyanz und Belanglosigkeit eines Martin Walser, oder der Sehnsucht des Botho Strauß, von der ich kaum sagen kann, wieso ich sie ein wenig übelriechend, verschwitzt und alles in allem abstoßend finde.

Natürlich wird für jene, die nach uns kommen, das Gefühl unserer Zeitgenossenschaft über die Jahrhunderte hinweg wesentlich weiter gehen, als es uns erscheint. Schon Fauser steht in meinem Regal als ein Exponent der verstorbenen Bonner Republik, die Gruppe 47, die ich verachte für ihre miesen und weinerlichen Produkte, stehen meinem Leserherzen ferner als jener Bischof von Hippo Regius, und die ruchlosen Gräfinnen an den Höfen des Rokoko. Letztlich sind diese zwanzig oder dreißig, wohl auch einmal zweihundert Jahre aber wohl nichts in Ansehung der Jahrhunderte: Auch wir, sofern wir nicht professionell lesen, unterscheiden ja kaum etwa zwischen der Goldenen Latinität und der Neronischen Moderne - auch wenn das Gefühl einer inneren Kluft zwischen dem opulenten Apuleius und der klaren und luftigen Dezenz der Umbruchphase zwischen Republik und Kaiserreich deutlich spürbar ist, gleichwohl wir nicht wissen, was davon typisch gewesen sein mag, und was nur individuell. Proust, den ich liebe, mag dem Späteren noch fast als Zeitgenosse erscheinen, auch wenn die Welt der „Recherche“ von meinem nüchternen Dasein so weit weg sein mag wie der Mond, und Adler Lamm und Pfau mögen in den Sehnsüchten späterer Jahrhunderte noch den Weg von Christian Krachts türkisfarbenem Porsche-Cabrio säumen, jenem Wahrzeichen der Neunziger.

Vielleicht, so denke ich manchmal, wird aber mit den Buchmessen, den staubigen Kaffeehäusern und den öden Feuilletons auch diese Schriftkultur dahingehen, der Entwurf eines Lebens, das komfortabel ausgestopft ist mit bedrucktem Papier. Vielleicht wird niemand in späteren Jahrhunderten in einer Grabrede das Paradies als einen Ort kennzeichnen, an dem ein unversehrtes Satiricon auf dem Schreibtisch des Neuankömmlings liegt, wie es 1986 mein Großvater ausgemalt hat, als sein Bruder zu Grabe getragen wurde. Vielleicht wird auch dieses Glück enden, und am Ende bleibt stummes Papier, dass den nächsten Barbaren für nichts gut sein wird als für Feuer und Rauch.


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