Montag, 5. Juni 2006

Die miesen Dichter der Bonner Republik

Peter Handke, und das sage ich jetzt einmal so als völlig Unberufene, ist ja sozusagen der Theodor Storm der Gegenwart. Da kratzen Sie sich jetzt ein wenig ratlos am Kopf und überlegen, wer das eigentlich... also nicht der Handke, denn kennen Sie, das ist ja der mit den Serben, aber Theodor Storm? Vielleicht erinnern Sie sich so halblaut und verschwommen an den Schimmelreiter, damals in Untertertia im Jahre des Herrn 1990. Gott, war das ein mieses Buch, ihr latschentragender Deutschlehrer versuchte damals, auf Biegen und Brechen einen Bezug zur Gegenwart herzustellen, der Mensch und die Natur, Sie wissen schon, der Respekt des Ersteren vor der Letzteren, und wenn nicht, dann... Genau.

Tatsache, um aus dem Jahr 1990 in die Gegenwart zurückzukehren, ist jedenfalls, dass Sie sich nicht mehr richtig erinnern können. Weg ist der Storm, und auch der Handke, obwohl der ja noch lebt, entschwindet zunehmend in jene Sphären, die man gern einmal museal nennt, um nicht einfach unerheblich sagen zu müssen. Passé. Vergessen. Und zwar zu recht.

Dass Storm wie Handke irgendwann in ihrem Leben einmal erheblichen Ärger mit der Staatsgewalt oder zumindest mit einer irgendwie gearteten Obrigkeit hatten, Storm wegen den Dänen, Handke wegen der Serben, das brauchen Sie sich eigentlich gar nicht mehr zu merken. Apropos merken: Erinnern Sie sich an ein einziges Werk von Handke? Und nicht nur an den hübschen Titel mit dem Tormann? - Tja, da schütteln Sie den Kopf. Ich dagegen nicke Ihnen anerkennend zu, denn genau darauf wollte ich hinaus, und diese ganze, natürlich mehr als nur ein wenig künstliche Gleichsetzung völlig verschiedener, aber gleich langweiliger Dichter, sie geschah ja nur aus dem einzigen Grund, Herrn Handke ein wenig zu nahe treten, beleidigungshalber sozusagen, aber wenn man schon einmal dabei ist, gut in Fahrt und Rückenwind dazu, holt man tief Luft und beleidigt eine Reihe ebenso sturzlangweiliger Schriftsteller gleich mit:

Günter Grass, sage ich, und ich werde recht behalten, wird in wenigen Jahren nicht mehr Bedeutung beigemessen werden als Wilhelm Raabe, der zu Lebzeiten auch mehr Ehrungen abgefangen, als Georg Büchner Bücher geschrieben hat. Und Martin Walser, dessen Werk der Ministerpräsident von Baden-Württemberg eigentlich verbieten lassen sollte, um den Ruf der deutschsprachigen Alemannen nicht weiter zu unterminieren. Günter Grass, der ganze Generationen deutscher Leser in ein höchst gebrochenes Verhältnis zu jener Sphäre getrieben hat, die man generell die Erotische nennt, mit seinem Faible für hässliche und zudem wenig überzeugende Extravaganzen und einer leicht ridikülen Kraftmeierei. Die ganze Gruppe 47, dieses Sedativum der deutschen Literatur, jene Herren, die die gesamte deutsche Gegenwart seit dem Kriegsende begleiten mit einem Strom aus Papier, auf dem unsympathische Protagonisten Frauenzimmer kennenlernen, die man nicht zu Gast haben möchte. Etwas Missmutiges wandert durch diese Seiten, etwas Missvergnügtes, Übelriechendes, sehr Protestantisches.

Eine hässliche Welt, ist das, in der die Eleganz der Jahrhundertwende, die schmerzliche Grandezza aller Untergänge der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, die Grazie Joseph Roths und die Kraft des jungen Brecht nicht einmal als Vision, nicht einmal als Horizont und Hoffnung eines hässlichen Scheiterns mehr vorhanden sind. Nicht einmal jenes erbarmungsvolle Mitleid bringt man auf für das Personal dieser Welt, die die hübsche Gans Emma Bovary oder das kunstseidene Mädchen doch reichlich erhalten, denn warum, denkt man sich, sollte man Anteil nehmen an Menschen, die man nicht mag, Menschen, die man von Herzen verachtet, und die einem nicht einmal leid tun in ihrer feisten Dummheit und Banalität, hinter der sich nichts weiter verbirgt als ein schlechtgelaunte Nörgeln an einer Welt, in der man nicht leben muss, wenn man nicht möchte.

So tot möchte man niemals sein, denkt man bei sich, und überlegt ein wenig, warum jene Herren immer noch, sozusagen überhaupt schon immer Zeit meines Leselebens, das Herzstück der deutschen Literatur darstellen als diejenigen Schriftsteller, deren neue Bücher Nationalereignisse darstellen. Autoren, die seitenlang in allen Publikationen die Republik hinauf und hinunter besprochen werden, wenn sie schon wieder eine neue Schwarte auf den Markt schleudern, fast so, als hätte der Allgewaltige ein sechstes Buch Mose vom Himmel geworfen. Warum Abiturienten Facharbeiten über ein Buch schreiben müssen, das so mies ist wie Ehen in Philipsburg oder wieso man besonders guten Deutschschülern am Schuljahresende Bücher von Günter Grass übereicht.

Weil die Republik alt ist, fällt einem dann ein. Uralt. Mit Krampfadern an den Beinen und künstlichen Zähnen. Weil die deutsche Gegenwart ein Kontinuum darstellt seit den Sechziger Jahren, ein Luftanhalten der Geschichte, die fetten Jahre mit schlechten Büchern dazu. Und erst, wenn das alles vorbei ist, und die Bonner Republik endgültig vergangen sein wird mit ihren politischen Aschermittwochen, ihren Arbeitnehmersparzulagen, Herrn Kaiser von der Hamburg-Mannheimer, der Stiftung Warentest und dem Kundenmagazin der Berliner Sparkasse - dann...

...dann wird mit dieser Welt eines muffigen, misslaunigen, uneleganten Stillstandes auch die Literatur dieer Jahre beiseitegelegt, und so, wie die bärtigen Dichter der Kaiserzeit vergessen sind, und keiner kennt mehr ihre Namen, so werden auch die Dichter dieses juste milieu einmal vergessen sein zugunsten derer, in deren Werk der Untergang dieser Welt aus Bausparkassen und Steinkühlerpausen, Vertriebenenverbänden und der IG Metall leise in böser, blutiger Eleganz seine Kreise zieht, und die Bausteine dieser Welt im Fallen bizarre Schatten an die Wand werfen, filigran und verschlungen wie das, auf das wir warten.



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