Auf dem Grund
Wie schlimm es wirklich ist, merke ich erst am letzten Sonntag um acht. Bei REWE am Ostbahnhof fällt mir eine Tüte Milch aus der Hand, ein Tetra-Pak der Marke Füllhorn, und platzt. Sehr, sehr langsam, viel zu langsam eigentlich, läuft die Milch aus dem Loch in der Pappe, bis die Tüte fast leer in einer Milchlache liegt. Neben der Pfütze, irgendwo rechts von den Tiefkühltruhen stehe ich, schaue die Milch an und versuche mich zu erinnern, was man tut, wenn so etwas passiert.
„Kannst du nicht aufpassen?“, werde ich angerempelt, und ein blondes Mädchen mit dicken, blauen Kajalstrichen um die Augen blitzt mich böse an. „Sorry.“, sage ich und schaue weiter in die Milch, und das Mädchen faucht irgendetwas, das wie „hau doch ab“ klingt oder so ähnlich.
„Da.“, drückt mir die Kassiererin eine Rolle Haushaltstücher in die Hand, und zwischen den Stiefeln fremder Leute versuche ich, die Milch ganz und gar verschwinden zu lassen. „Da ist noch was.“, zeigt ein grinsender Mann auf den blanken, feuchten Boden, und freut sich mächtig.
„Jetzt nicht heulen.“, denke ich und presse meine Lippen fest aufeinander. Nicht weinen. Nicht laut schreien, dass dies die schlimmsten Wochen sind, die du jemals erlebt hast, dass dies die Hölle ist, Sonntag abend bei REWE, nach 34 aufeinanderfolgenden Arbeitstagen mit viel zu wenig Schlaf.
„Und die Milch.“, sage ich der Kassiererin und lege meinen Einkauf aufs Band, und versuche an all die Dinge zu denken, von denen ich weiß, dass es sie gibt, die Sonne zum Beispiel. Ein warmes Bett. Wasser, weiche, streichelnde Hände, und dass auch dies, auch diese Wochen, ein Ende haben werden, und alles wird gut.
Oder vielleicht wenigstens besser.