The Steinfrucht Experience
Wenn ich, meine sehr verehrten Leserinnen und Leser, von nun gar nichts mehr von mir hören lasse, komplett verstumme, dann mag es sein, dass nicht die Zwänge eines Berufslebens von runden siebzig Wochenstunden mich davon abhalten, Sie zu amüsieren, nein, des Todes kalte Hand mag mich von der Tastatur gerissen haben, denn in wenigen Minuten werde ich, Madame Modeste aus Berlin, mich voraussichtlich Hals über Kopf in ein gefahrvolles Experiment mit durchaus offenem Ausgang stürzen.
Aber der Reihe nach: Mein Immunsystem, wie man so sagt, ist nicht gerade bekannt für seine Treffsicherheit. Kurzsichtig wie seine Besitzerin stürzt es sich unkontrolliert und mit hoher Fehlerquote auf alles Mögliche, was in mein Körperinneres durch Berühren, Einatmen oder Verschlucken gerät, und von Nüssen bis Gräserpollen wird manche an sich harmlose Substanz gnadenlos und mit allen der körpereigenen Abwehr eigenen Mitteln bekämpft. Von Jahr zu Jahr umfangreicher wird die Liste der Dinge, die zu meiden sind, um nicht gräßlich anzuschwellen, markerschütternd zu niesen, der Atemluft sogar verlustig zu gehen, und knallrot mit gefährlich erhöhtem Herzschlag keuchend die nächste Apotheke aufzusuchen.
Bis gestern allerdings schienen Früchte noch zu denjenigen Dingen zu gehören, die mein Immunsystem als ungefährlich erkannte. Gestern morgen allerdings verstarb ich fast in einer längeren berufsbedingten Besprechung an einer Aprikose, einer duftenden, pfirsichhaft weichen, safrangelben Frucht. Noch im Prozess des Kauens begriffen, begann mein Gaumen zu prickeln. Wenige Sekunden später schwoll meine Oberlippe an. Meine Zunge wurde dick. „Einen Moment.“, flüsterte ich nervös und stürzte aus dem Konferenzraum.
„Ein Antihistaminikum in die Besprechung im 1. Stock.“, zischte ich, Panik in den Augen, dem nächstsitzenden Kollegen ins Büro. Wenige Minuten später, der Schweiß rann mir über die hochrote Stirn, wurde mir ein Tablette gereicht, das Immunsystem legte sich wieder schlafen, und die Besprechung konnte weitergehen.
Mit dem Aprikosenverzehr ist es also vorbei. Wie aber, frage ich mich, sieht es mit anderen Steinfrüchten aus? Mit den gelben Pflaumen zumal, die beim Gang über den schon fast völlig abgeräumten Kollwitzmarkt von dem J. mitgenommen wurden? Die auf der obersten Schale der Etagere in der Küche duften, saftig, überaus wohlschmeckend zumal, wie der J. versichert? Verführerisch wie der Apfel der Erkenntnis von Gut und Böse, süß wie die Sünde, und so verlockend wie nur diejenigen Dinge es zu sein pflegen, die man besser lässt.
Bestehen enge verwandtschaftliche Beziehungen zwischen gelben Pflaumen und Aprikosen? Welcher Arzt hat heute Bereitschaft? Lohnt es sich, einfach vor dem Verzehr eine C*tirizin zu schlucken? Oder probiert man nicht besser einfach aus, ob es nicht doch noch geht?
Und wenn es nicht mehr geht – tja. Dann lesen Sie wohl einfach woanders weiter.
Was hingegen gar nicht geht ist, woanders weiterzulesen.