Die B. wird offensiv (Mitte Juni, Teil 2)

Im Umgang mit männlichen Menschen empfiehlt es sich dringend, zwischen verschiedenen Realitätsebenen klar zu unterscheiden. Im Gespräch äußert so gut wie jeder Herr, die weibliche Offensive zu schätzen, und geradezu darauf zu warten, dass hübsche, freundliche Damen ihn ansprechen. In der Realität dagegen ergreifen – die liebe B. hat es ausprobiert – die meisten offensiv Angegangenen sofort oder etwas später die Flucht.

Eine dies belegende Versuchsanordnung sieht etwa folgendermaßen aus:

Man stelle sich meine liebe Freundin B. in einer Galerie vor. Nicht so eine posh Mitte-Galerie, sondern eher so ein Friedrichshainer Laden mit Bildern, von denen dünne Jungs mit billigen, aber coolen Sonnenbrillen behaupten, sie seien rough und elementar.

Weil die B. sehr selten in Friedrichshain ausgeht, und auch keine Friedrichshainer kennt, steht sie etwas verloren in einer Ecke und tut so, als betrachte sie ein Bild. Ursache ihrer Anwesenheit ist der Künstler, mit dem die B. zur Schule gegangen ist. Dieser jedoch läuft ein bisschen nervös irgendwo durch den Hintergrund und spricht mit anderen Leuten.

Nirgendwo, behaupten maßgebliche Stimmen, werde man schneller kontaktiert als bei der Bildbetrachtung. Entsprechend steht keine 15 Minuten nach Ankunft der B. ein Mann neben ihr, betrachtet gleichfalls das Gemälde und hebt weitere drei bis vier Minuten später an zu sprechen. Das Bild gefiele ihm nicht.

Andere Bilder gefallen ihm allerdings durchaus, und von diesen spricht er weiter. Er kenne viele Künstler und male auch selbst, fährt er fort, und bevor die peinliche Gesprächspause beginnen kann, in der vielen Menschen nichts mehr einfällt und sie das Gespräch mit dem Hinweis auf zu holende Getränke beenden, unterbricht ihn die B. und spricht ihrerseits.

Für Kunst interessiert sich die B. allerdings nicht so besonders. Für Musik scheint sich der fremde Herr nicht zu erwärmen, jedenfalls nicht für dieselbe wie die B. Über Wirtschaft und Politik spricht die B. gern, vermutet auf der Gegenseite ein vergleichbares Interesse und bedauert einige Minuten das versägte irische Referendum. Der Fremde nimmt diesbezüglich eine andere Position ein als die B. Man diskutiert ein wenig, das Gespräch läuft, man trinkt ein bisschen sauren Wein, und die B. erinnert sich ihrer Offensive. - „Ich muss jetzt los, aber wollen wir uns die Woche nicht mal sehen?“, spricht sie sorgsam vorbereitete Worte aus und schaut den Herrn neben sich direkt an. Dieser schweigt. „Ja, gern“, sagt er nach einer kurzen, verdatterten Pause. „Die Woche habe ich aber keine Zeit.“ Anstalten, seine Telephonnumer aufzuschreiben, macht er nicht.

Schade, sagt die B. daraufhin und geht nach Hause.

Einige Tage später fährt die B. mit dem Auto die Holzmarktstraße entlang. Es regnet. Rechts auf dem Bürgersteig geht – ohne Schirm, dafür mit einer gefüllten Tasche – nichtsahnend der Mann aus der Galerie. Eingedenk ihrer Offensivenpläne verlangsamt die B., fährt rechts ran, hält und fährt die Seitenscheibe nach unten.

„Hallo!“, sagt sie. Der Fremde dreht sich um. „Soll ich dich mitnehmen?“, lächelt sie ihn an. „Danke – nein, ist nicht nötig.“, winkt der Mann aus der Galerie ab.

Die B. schwört, er sei etwas schneller gegangen, und habe sich an der Ampel mindestens einmal furchtsam nach ihr umgedreht.

spalanzani - 28. Jul. 2008, 0:41 Uhr

(lacht) na, richten Sie der B. mal aus, daß Musik Offensivität immer noch 10:1 schlägt.
Modeste - 28. Jul. 2008, 10:57 Uhr

Es gibt ja den weit verbreiteten Glauben, man könne keine Beziehung mit jemandem führen, der miese Musik hört. Die B. hat indes bei der Neuausrichtung ihrer Suchtkriterien nach einigen Pleiten aufgehört, dieser These weiter Glauben zu schenken.
DrNIx - 28. Jul. 2008, 11:56 Uhr

Lebenslänglich Lesbendisco

Man kennt das eben als Mann nicht. Dass frau aktiv Interesse zeigt. Insgeheim mag es ein Wunsch sein, aber es ist so bizarr, so ungewohnt, vermutlich passiert es den meisten Männern ein Mal in fünf Jahren, wie soll man dann damit umgehen können?
Frauen sind das ja eher gewohnt: Die Blicke, mal kurz gecheckt werden von den Kerls, wenn man den Schuppen betritt. Wer sich als Frau mal männlich fühlen will, der gehe einfach in einen Schwulenclub. Keiner kuckt, keiner ist interessiert. Ja im Prinzip ist das Männerdasein ein lebenslanger Aufenthalt in einer Lesbendisco.
Mann muss schon rangehen, sonst wird's nie was. Wer das nicht irgendwann lernt oder nicht möchte, der sitzt halt alleine rum.
Modeste - 29. Jul. 2008, 10:40 Uhr

Es handelt sich also mehr um Irritation als um Missfallen?

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