Dass es ruhig sein soll

Mörderisch erkältet zu Hause geblieben. Immer wieder kurz und schlecht geschlafen, wüst geträumt vom Aufenthalt in großen, sehr, sehr laut rumpelnden, schwarzen Maschinen. Gelegentlich erwacht, die Katze gestreichelt, gelesen, ein bisschen nachgedacht, aber erkältungsbedingt nur ganz weiche, zerbeulte Gedanken fassen können und es schnell wieder gelassen.

Im Internet vergeblich nach Entspannung gesucht. Das Netz ist gerade kein guter Ort, wenn man sich weder für Wirtschaft noch für Politik interessiert, und es einem namentlich egal ist, wer die USA regiert oder das Bundesland Bayern, ob es einen deutschen Buchpreis gibt, wer ihn - oder von mir aus den Literaturnobelpreis - bekommt, und was an der Wall Street passiert. Mir doch gleich, was die Banken machen, gedacht und noch ein bisschen geschlafen.

Zwei, drei Stunden später wieder erwacht. Wieder online Nachrichten gelesen, die Katze auf dem Schoß, und mich gefragt, wo andere Leute eigentlich das Interesse hernehmen, zu erfahren, welche Filmschauspielerin schwanger ist, wer irgendwelche Fußballpokale bekommt, wie hoch die SPD die nächste Bundestagswahl verliert, und wer irgendwelche Banken leitet. - Diese Börsengeschichte kann einen Haufen Leute Haus und Job und Rente kosten, maunzt vorwurfsvoll die Katze. Wenn es sehr, sehr schlimm kommt, vielleicht auch dich.

Na und, zucke ich mit den Schultern. Ihr seid mir alle gleich egal, versichere ich gleichermaßen mir und dem Rest der Welt. Alles, was passiert, passiert auch ohne dass ich es erfahre. Alles, was ich tue, wird kein Jota am Lauf der Welt verändern, und das finde ich gut.

Missbilligend verschwindet die Katze in der Küche.

Es soll endlich Ruhe sein, rufe ich ihr hinterher, und das angenehmste wäre, das Internet stünde für einen Tag still. Oder für immer. Das Fernsehen ginge auf einmal, mitten im Satz aus. Die Zeitungen stellten den Druck ein. Fabriken machten morgens nicht mehr auf. Die Menschen schlenderten noch ein paar Tage, etwas unschlüssig, was jetzt wird, durch die Städte, zunehmend ungewaschen und beschäftigungslos und säßen dann einfach so Tag für Tag auf dem Rasen und würden lächelnd immer dünner.

Es soll still sein in den Straßen, fordere ich und verschütte ein bisschen Tee. Gras soll über uns und unsere Städte wachsen. Es soll keine amerikanischen Präsidentschaftskandidaten mehr geben. Niemand soll wissen, was ein Buchpreis ist. Oder ein Buch. Die Menschen sollen nach und nach sogar das Sprechen verlernen, wieder geduckt, klein und haarig werden, glücklich in den Bäumen hängen, und es wäre vorbei. Wirklich vorbei und zu Ende.

zonebattler - 9. Okt. 2008, 9:06 Uhr

Zu Einzellern sollen sie wieder werden...

...und zurück in die Ozeane weichen, die sie nie hätten verlassen dürfen...
glamourdick - 9. Okt. 2008, 9:42 Uhr

.
Foxxi - 9. Okt. 2008, 12:21 Uhr

Die Vorstellung lässt mir wohlige Schauer den Rücken runterlaufen ...und das ohne Erkältung.
Danke und gute Besserung
Tobi B. - 9. Okt. 2008, 21:56 Uhr

Oh ja!

Verstünde ich es, meine Gedanken so fein in Worte zu kleiden wie die Autorin, würde das bei mir ähnlich klingen. Chapeau!
Modeste - 9. Okt. 2008, 22:54 Uhr

Danke, allerseits.

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