Vom Fenster aus

Als ich vorm 103 aus dem Wagen steige, mag ich noch nicht nach Haus, und so klingele ich beim M², dessen Küchenfenster noch hell ist. Man kann seine Silhouette hinter dem hellem Vorhang sehen, dann lässt mich der Summer in den dunklen Hausflur, und schließlich sitze ich in seiner Küche, eine Tasse Grünen Tee mit geröstetem Reis vor mir. Er spricht über die wogenden Reisfelder Japans, und wie sie sich vom Wogen eines Kornfelds unterscheiden. Ich berichte von einem Motorradunfall in Nordthailand, und dass ich fast in einem Krankenhaus in Chiang Rai eingegangen wäre, was ein blöder Ort zum Sterben sein muss.

Irgendwann ziehe ich gebrühte Tomaten ab, tanze ein bißchen durch die große offenen Küche und M² spielt mir irgendeine Kreuzberger Band vor, die ich nicht kenne. Da passt nichts, denke ich, als ich an M²´s lieblosen zwei Bücherregalen vorbeitanze, in dem gar grausliche Sachen stehen und offensichtlich auf M² warten, der sie lesen soll, und es nicht tut. Auf dem Gasherd brodelt das Tomatensugo und riecht gut, M² spricht über die Kriterien echter Hipness, und ich verbrenne mir ein bißchen die Zunge an der würzigen Sauce.

Irgendwann, die Nacht verliert schon wieder diese tintige Schwärze, um die es sich aufzubleiben lohnt, sitzen wir auf dem Boden in seiner Küche, jeder eine Schüssel vor sich mit Pasta und der Tomatensauce mit viel Kapern und Sardellen. M² erzählt, dass er Angst hat vor seinem 40. Geburtstag in ein paar Wochen, und ich überlege, wie es sein muss, vierzig zu sein. Ich stelle es mir unangenehm vor.

„Gehst du nach Haus?“, fragt M², als ich anfange zu gähnen und Schlafbedürfnis behaupte. Ich könnte auch bei ihm übernachten, sagt der M² und deutet auf ein ausklappbares Schlafsofa. „Ach was“, sage ich, denn ich wohne ja um die Ecke.

Verdammt, denke ich auf dem Weg die Treppe hinab. Ich will dich nicht. Aber ich hätte wohl nicht nein gesagt. Als ich dann die Schwedter Straße überquere, sehe ich M² am Fenster stehen. Die Vorhänge sind nun aufgezogen, und er winkt mir zu. Ich winke zurück, halb schon im Gehen, und gäbe etwas darum, in diesem Moment zu wissen, was er denkt, wie er mich sieht, und wieso er mich nicht festgehalten hat.
pathologe - 16. Mär. 2005, 13:42 Uhr

Anstand?

Modeste - 16. Mär. 2005, 14:00 Uhr

Wieso Anstand? Ich bin doch kein vierzehnjähriges Burgfräulein. Da kann man doch mal nett nachfragen?

(Verstehe einer das Mannsvolk)
elektra - 16. Mär. 2005, 14:07 Uhr

vielleicht ...
ist dieser mensch ein wenig schüchtern ...

oder er möchte nichts was du nicht auch möchtest [ zb. um eure beziehung (freundschaft ?) nicht zu gefärden/negativ verändern ], kann aber nicht in deinen kopf reinschauen ...

hehe, sind wir nicht alle ein wenig patologisch ? ( ich finds in gewissen grenzen sehr sehr positiv )
Modeste - 16. Mär. 2005, 14:45 Uhr

Das will ich nicht hoffe. Männer um die 40 sollten jegliche Schüchternheit seit Jahrzehnten abgelegt haben. Irgendwelche Vorteile muss das Alter ja bieten.
komma.vorbei - 16. Mär. 2005, 15:17 Uhr

40 - noch drei Wochen und das Schicksal ereilt auch mich. Ich kann über eine Menge Vorteile meines Alters berichten - doch Schüchternheit hat ganz offensichtlich nichts mit der Verweildauer auf diesem Planeten zu tun!
pathologe - 16. Mär. 2005, 15:28 Uhr

Es gibt auch noch das Mannsvolk,...

... das ein wenig mehr benötigt als den dringenden Zwang des hormonellen Ausgleichs. Wenige zwar, aber ich zähle mich dazu. Und ich habe auch schon vorne den 4er.
Schüchtern kann ich übrigens nachvollziehen.
kathleen - 16. Mär. 2005, 15:56 Uhr

Du selbst hattest doch gedacht Ich will dich nicht Woran liegt es, daß dich seine Schüchternheit - wenn es denn welche ist - so beschäftigt? Das würde mich interessieren.

Zum Thema "Alter" - soviele Anführungsstriche kann ich gar nicht setzen, wie ich eigentlich möchte - habe ich soviel zu sagen, daß ich es auf meiner Site tun werde...
Modeste - 16. Mär. 2005, 17:14 Uhr

Da schicke ich doch den einen oder anderen Stoßseufzer in die unendlichen Weiten der Blogosphäre - diese Welt versteht mich nicht:

Wenn ich schon schüchtern bin, dann sollen es doch die Männer wenigstens nicht sein. - Und, Frau Kathleen, möchten wir nicht alle von aller Welt grandios gefunden werden, völlig egal, was wir über die Welt nun gerade denken? Eitelkeit heißt diese Lebensregung, wenn ich mich recht entsinne. Und wenn es sich bei der Eitelkeit um eine Regung handelt, die mit zunehmendem Alter verschwindet, dann wäre ich wirklich dankbar.
kid37 - 16. Mär. 2005, 20:06 Uhr

Wie Elektra sagt: Zurückhaltung, a modest behaviour, kein Wunsch, die Freundschaft negativ zu beeinflußen. Sex haben ist (in Berlin) sicher einfacher als eine Freundschaft zu bewahren.
40something - 16. Mär. 2005, 17:12 Uhr

Hey, wenn Du es Dir schon "unangenehm vorstellst", dass jemand 40 wird, signalisierst Du ihm vielleicht nicht gerade, dass Dir seine Annäherung angenehm wäre...
Modeste - 16. Mär. 2005, 17:18 Uhr

Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn andere Leute 40 werden. Wäre dem anders, würde ich meine Nächte mit niedlichen 25 Lenze zählenden Regieassistenten in den Clubs von Mitte verbringen und nicht mit Enddreißigern Tee trinken. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt fällt mir aber schon die Vorstellung schwer, dreißig zu werden. Vierzig zu werden ist mit derzeit annähernd unvorstellbar. Und das Signalisieren ist doch nicht mein Job, oder?
Booldog - 16. Mär. 2005, 17:27 Uhr

Wie sagte doch Paul Watzlawick so schön: "Man kann nicht nicht kommunizieren." Du signalisierst immer - ob Du nun willst oder nicht.
Und Obenstehendes ist ein klassischer Double-bind.
40something - 16. Mär. 2005, 17:27 Uhr

Ich meinte eher das, was Du - unbewusst - ausstrahlst... So was wie ey, Alter, schlag' dir das lieber aus dem Kopf...
kathleen - 16. Mär. 2005, 17:47 Uhr

Frau Modeste, eine gewisse Sehnsucht nach Anerkennung und Zuneigung anderer ist absolut unabhängig vom Lebensalter. Was die Eitelkeit angeht, beruhige ich Sie gern: Mit zunehmender Erfahrung kommt man an einen Punkt, wo man weiß, man hat etwas Grundlegendes falsch gemacht, wenn man von bestimmten Leuten grandios gefunden wird.

Booldog hat meiner Meinung nach sehr Recht, wenn er einen double bind in Ihrem Text findet, übrigens.

Meine Einlassung zum Thema im Ortega erlaube ich mir genau so stehen zu lassen, denn Sie bezieht sich vor allem auf einen Satz (Ich stelle es mir unangenehm vor). Eine Zuschreibung übrigens, die mir bei Ihnen nicht zum ersten Mal begegnete. Sie stehen sozusagen pars pro toto. :)
Modeste - 16. Mär. 2005, 17:49 Uhr

Ouhh...das wird mir jetzt alles viel zu kompliziert. Und was mir an diesem Herrn vielleicht nicht so ganz gefällt, ist bestimmt nicht das Alter. Ich hätte halt nur eben gern gewusst, wie er die Situation gesehen hat, und wieso er mir ausgerechnet das Schlafsofa anbietet. Ist ja kein ganz neues Problem meines Daseins. Schüchternheit fände ich aber natürlich besser als - sagen wir: Gleichgültigkeit oder Abneigung. Leider kann man ja so schlecht nachfragen.
kathleen - 16. Mär. 2005, 17:51 Uhr

Kann man nicht? Ich würde genau das tun.
Modeste - 16. Mär. 2005, 18:04 Uhr

Na, ich stelle mich ganz bestimmt nicht vor dem Herrn auf und halte eine kleine Ansprache, er möge mir mal erzählen, wieso er nicht...und überhaupt....und was er denn von mir. Ist er von mir begeistert, kann ich nie wieder mit ihm ausgehen, weil er dann bestimmt eine ganz klare Stellungnahme fordert, wie es denn auf meiner Seite so aussieht. Ist er gar nicht begeistert, möchte ich das aber gar nicht so genau wissen.

Es ist eben doch ein erheblicher Unterschied, ob man etwas weiß, oder ob man es ausgesprochen hört.
elektra - 16. Mär. 2005, 19:17 Uhr

nennt man das ein patt ?

vielleicht noch ein spruch:
einen langen abend miteinander verbingen tue ich mit leuten die ich nicht mag nur sehr ungerne ...
und leuten eine schlafgelegenheit bieten noch viel seltener ...
und sollte ich zufällig im 3. stock wohnen, und mein besuch hat mich grade verlassen, und ich renne nicht aufs klo sondern schau runter auf die strasse, nun ...
ich glaube das wäre ein zeichen dafür, das ich ein wenig mehr an dieser person interessiert bin ...

und nicht das ich die aussicht nochmal geniessen wollte ...
arboretum - 16. Mär. 2005, 18:28 Uhr

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt fällt mir aber schon die Vorstellung schwer, dreißig zu werden.
Können Sie es sich nur nicht vorstellen - oder ist da vielleicht auch ein klein wenig Angst dabei?

Dann kann ich Sie beruhigen. 30 werden fühlt sich zwar tatsächlich ein bisschen seltsam an, aber man überlebt's. Und irgendwann ist es auch gar nicht mehr so schlimm. Angeblich braucht man ja immer zehn Jahre, um sich an ein Alter gewöhnt zu haben.

Warum Herr EmmQuadrat Ihnen nur das Gästesofa anbot, darüber kann ich auch nur spekulieren. Vielleicht schläft er inzwischen einfach lieber alleine in seinem Bett. Wenn man erst einmal eine Weile alleine lebt, wird man leicht egoistisch. ;-)
kathleen - 16. Mär. 2005, 19:11 Uhr

Und peng! da stehen wir mittendrin in den Vorteilen der 40er. Eine Forderung nach einer klaren Stellungnahme ließe uns kalt, wir entscheiden selbst, wer was von uns zu fordern hat. Haben wir aber Lust eine abzuliefern, so wird diese warm aber bestimmt ausfallen - und uns eine kleine Tür offen lassen Wir kennen uns schon so lange, ich habe dich unter 'Nachbar' stehen, die sind per se asexuell für mich. (kleines Grinsen hier.) Aber vielleicht ändert sich das ja irgendwann...

Außerdem, behaupte ich, wüßten wir, daß der Herr zumindest latent begeistert ist, andernfalls hätte er das Sofa erst gar nicht angeboten. Schließlich weiß er, wie nahe man wohnt. Und allemal würden wir wissen wollen - begeistert oder nicht begeistert - denn es ist uns angenehm, über die eigenen Optionen im Bilde zu sein.

Schon gut, schon gut, ich hör' ja schon auf...
Zorra - 17. Mär. 2005, 10:36 Uhr

Sensible?

Er hat gespürt, dass du nicht wirklich willst?
che2001 - 17. Mär. 2005, 13:41 Uhr

40 +

Als ich 40 wurde, fühlte ich mich nicht älter als mit 30, wohl aber fitter.
Jegliche Schüchternheit verloren? In meiner Studentenzeit, so mit Anfang
20, bewegte ich mich in einer Szene, in der die Abschleppe so direkt ablief, dass
man einander in der Kneipe oder auf einer Party (und was waren das damals
für Parties!!!!) angrabbelte. Eigentlich war ich schüchtern, aber ich kam damit
zurecht, wurde von einer wahnsinnig tollen Frau auf diese Weise eigentlich erst
sexuell geweckt (OK, es war nicht meín erstes Mal, aber dafür wesentlich), ohne
aber damit so richtig klar zu kommen, dass es außerhalb meiner speziellen Szene
diese Art sexueller Unbefangenheit nicht gab. Verglichen mit damals bin ich heute
schüchtern. Und, ja, ich fühle mich sehr jung. Was mich von meinem Leben als
Twentysomething unterscheidet, ist vor allem mehr Erfahrung und mehr Geld.
Das Lebensgefühl, sich täglich neu erfinden zu können und im Alltag die Magie
der Welt zu spüren ist unverändert.

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