Die Niedrigkeit der Träume

Die Welt ist kalt und fremd, und der Mensch des Menschen Wolf. Und Glück und Schönheit sind stets eine Verführung zu etwas, was am Ende nicht gut sein wird für alle Beteiligten, aber schade ist´s schon um die Menschen, die Fassbinder vor unseren Augen zugrunde gehen lässt. Gesellschaftskritik mag man das schwitzende, übelriechende Panoptikum der verzweifelten Suche nach dem kleinen Glück kaum nennen, auch wenn es denn meist die Gesellschaft ist, an der man eingeht, sei´s die kriminelle Konkurrenz, seien´s die bösen Nachbarn, oder einfach die Verhältnisse der alten Bundesrepublik, die in diesen Filmen ein dämonischer Ort zu sein scheint, bevölkert von geborstenen, umgetriebenen Untoten mit Hosenträgern und Kittelschürze.

Weich sind nur die Träume und Schatten, die Liebe ist ein ferner Sehnsuchtsort zwischen feindlichen Reichen, über die der Gesang der wunderschönen Hanna Schygulla nicht siegen wird, und die schmierigen Finger des schlechteren Lebens drücken an den Träumen herum, bis die fauligen Stellen auch dieses Glück noch zerstört haben werden. Die Welt fordert Unterordnung, um die Folgsamen dann beiläufig und grausam zu bestrafen. - Die miteinander ihr Leben verbringen, werden sich gegenseitig zur Qual, und wer sich an Irm Hermann als Ehefrau im Händler der vier Jahreszeiten erinnert, wird dieses Bild ehelicher Discordia wohl kaum so schnell vergessen. Der Untergang der Liebe zwischen der alten Putzfrau und ihrem jungen Marokkaner, der Untergang der Effi Briest in einer niemals aufbegehrenden Demut, die man am Ende noch anschreien mag für ihre Vergebung, wäre sie nicht schon ganz und gar hinüber. Die ganze würgende Traurigkeit der Elvira „In einem Jahr mit 13 Monden“, senkt sich gerade im – gelungenen - Zitat auf die Lider: In Oskar Roehlers großartiger „Agnes“ nämlich: Durch die dicke Haut und das Fett der alten Republik platzen die Schäbigkeit der Verhältnisse, wie sie auch sein mögen, und die Gewalt. Keine schöne Welt ist das also, durch die Fassbinder uns führt, und warum, so fragen Sie sich, mag das Fräulein Modeste gerade über diese Filme schreiben, und plaudert nicht ein wenig über Rohmer oder die langen Nächte am Helmholtzplatz unter Sternen?

Warum ich, fernab der Wurzeln des verworrenen Lebens, abhold der Gesellschaftskritik, gleichgültig gegenüber jeglichem Realismus, den Fassbinder liebe, warum ich Filme einmal, zweimal, öfter gesehen habe, die quälen und auf der Haut brennen, mag sein, dass hier hinter der hässlichen Welt der untergegangenen Nachkriegsrepublik eine Eisenschmelze kocht und brodelt, in der alle Leidenschaften der Welt und eine überlebensgroße Sehnsucht lauern. Die ungeheuerliche Lebensfülle dieses Werkes, die Erkenntnis, dass hinter den glatten Dingen der äußeren Welt Abgründe von Schmutz und blutigen Tritten warten, dass alle Schönheit der Grausamkeit abgerungen ist, und zu ihr zurückfließen wird. Dass die Wahrheit hinter den Fassaden nur ein paar Worte, ein paar Gesten entfernt ist. Dass die ganze überschießende und brutale Vitalität des Sein im Banalen droht und lockt zugleich. Diese Angstlust, dass da noch etwas ist hinter den schwebenden Nächten, wird es sein, die in den Filmen bis heute flackert und bisweilen überquillt. Und diese Ahnung von den dunklen Seiten aller Leidenschaften mag es sein, die den Sog ausmacht dieser über vierzig Filme, die ich nicht alle kenne: Einen dreckigen Traum zu zeigen, ohne den ich nicht aufstehen könnte, morgen früh, irgendwann.

gibsmir - 30. Mai. 2005, 7:33 Uhr

Oh, oh

Ich hoffe, Sie haben bei solchen Filmen und Träumen eine (virtuelle) Kuscheldecke?

Vielleicht wirkt zum Ausgleich ein anderes Filmgenre? Ich will jetzt nicht die Heimatfilme der 50er und 60er Jahre vorschlagen, jedoch, vielleicht die etwas feinsinnigeren von Francois Truffeau? Da sind die Abgründe einfach netter verpackt :-)
Modeste - 30. Mai. 2005, 14:05 Uhr

Ja, Truffaut ist ist großartig. Überhaupt der französische Film - aber manchmal muss es eben Fassbinder sein.
croco - 30. Mai. 2005, 8:34 Uhr

wow,

ist das aber schön gesagt.Jetzt weiß ich auch, warum ich diese Filme liebe.....
che2001 - 30. Mai. 2005, 14:25 Uhr

Und manchmal muss es Fellini, manchmal Bunuel und manchmal
Tarkovsky sein, mitunter aber sogar Bergmann oder Dogma.
aufpasser - 30. Mai. 2005, 9:50 Uhr

Nochmal Wow

Mir geht es so, daß ich noch nicht mal die Filme mag (OK, seit langem nicht mehr probiert und noch nie bis zum Ende gekommen), ich bin vielleicht etwas zu harmoniesüchtig. Mich hat aber diese Beschreibung so angesprochen, daß ich mir fest vorgenommen habe, es noch einmal zu versuchen.
burnston - 30. Mai. 2005, 10:48 Uhr

selbst am mentalen existenzminimum gibt es luzide träume, aber prometheus lehrt: wer den göttern das licht stiehlt, wird bestraft. fassbender lehrt: allein der versuch ist strafbar. sinistre wendung, die mich letztlich abhält, diese filme zu sichten, weil ich am ende nichts mehr sehen kann. genre: horrorfilm.
Modeste - 30. Mai. 2005, 14:07 Uhr

Herr Aufpasser, Herrr Burnston - versuchen Sie´s mit Lilli Marlen - da leuchtet Fassbinders Welt am ehesten.
polar_ulrich - 30. Mai. 2005, 11:18 Uhr

Fassbinder hat Kino-, aber auch Fernsehgeschichte geschrieben, sein 13-Teiler Berlin Alexanderplatz hat es immerhin auf die Liste der 100 besten Filme aller Zeiten von TIME schafft: http://tinyurl.com/abkrk
che2001 - 30. Mai. 2005, 11:50 Uhr

Berlin Alexanderplatz war Klasse, Lili Marleen auch, Liebe ist kälter als der Tod
und Angst essen Seele auf genial.
Katzelmacher ebenfalls ein großartiger Film. Deutschland
im Herbst war wahrscheinlich sein mutigster und politisch wichtigster Film:
Auf dem Höhepunkt der RAF-Hysterie, als die Medien sich selber gleichschalteten,
drehte er eine Anatomie eben genau dieses Prozesses. Was für ein Mut muss dazu gehört
haben?

Was mir nicht so gefiel war Welt am Draht
(in einem Science-Fiction-Film haben auch Männer mit großen schwarzen Hüten
nichts verloren, für dieses Genre fehlte ihm das Händchen), ein Stoff, der erst unter
dem Titel The 13th Floor in Hollywood kongenial verfilmt wurde. Was mich an RWF
so fasziniert, ist diese Gleichzeitigkeit von düsterer, ein wenig an Ibsen oder Strindberg
erinnernder Stimmung und Sozialrealismus. Im Gegensatz zu Wenders hatte er immer
einen Sinn für Dramatik gehabt, im Gegensatz zu Kluge erzählte er nach wie vor eine
Geschichte, die Identifikationsmöglichkeiten schuf. Der Junge Deutsche Film war ja
sonst eine zwar kritische und engagierte, in den Handlungen aber intellektualisierte
und emotional kalte Angelegenheit. Fassbinders Filme hingegen hatten Seele.
Modeste - 30. Mai. 2005, 14:04 Uhr

Ja, wobei der Unterschied zum sonstigen damals neuen deutschen Film sehr schwer fassbar ist. Vielleicht ist es wirklich nur diese Nuance, die in dem Blick auf die Protagonstigen liegt. Zwischen der ganzen Erbämrlichkeit scheint etwas auf, was man mit "Erbarmen" oder "Empathie" näherungsweise beschreiben kann, ohne es doch genau fassen zu können.
che2001 - 30. Mai. 2005, 14:24 Uhr

----wobei seine Filme umso düsterer wurden, je älter und depressiver RWF
selber wurde. Seine Filme sind alle sehr persönlich, das ist vielleicht ein
Hauptunterscheidungsmerkmal zur bewussten Konstruiertheit, zur
ratio-drahtigen Kargheit des "Mainstreams" des jungen deutschen Films.
Das Gegenteil ist dann Herzog, wo es nur so irrlichtert, aber auch kein Bezug
zur deutschen Realität mehr vorhanden ist.
kid37 - 30. Mai. 2005, 16:48 Uhr

"13 Monde" ist klamm, kalt und großartig. Allerdings packt mich von Fassbinders Filmen nach wie vor "Die Ehe der Maria Braun" am meisten.
Modeste - 30. Mai. 2005, 18:23 Uhr

Ja, "Die Ehe der Maria Braun" ist todtraurig, diese Vergeudung von Leben und die Vergeblichkeit aller Aufbrüche, die am Ende erst in Fremdbestimmung und dann im Tod enden.

Übrigens interessant, wie vergangen das alles wirkt. Das ist eine andere Republik. Das ganze Gerede von der "Berliner Republik", das mir ob seiner neoliberalen Konnotationen immer etwas suspekt war, scheint doch einen gefühlten Epochenumbruch anzuzeigen.
brittbee - 30. Mai. 2005, 18:35 Uhr

Die Perlen sind alle genannt, aber Fassbinder mal anders und schön schräg ist "Kamikaze 1989", übrigens nächste Woche im Fernsehen zu sehen. Wobei böse Zungen behaupten, dass der Film ohne vorherigen ausgiebigen Drogenkonsum nicht zu ertragen wäre.
Modeste - 30. Mai. 2005, 18:43 Uhr

Ich besitze ja weder Drogen noch Fernseher, und außerdem bin ich nächste Woche auch gar nicht in Berlin. Schade, schade. Ein anderes Mal.
che2001 - 30. Mai. 2005, 19:25 Uhr

Na, dann setze ich mich mal bekifft vor den Fernseher :-)

@ Andere Republik: Das Gefühl hat man auchganz stark bei Hark Boms
"Das Ende des Regenbogens" und "Die letzten Tage der Kindheit". Wobei
ich diese Republik kannte, in ihr aufgewachsen bin und über die
Rebellion gegen ihre innere Verfasstheit überhaupt nur zu mir selbst gefunden habe.
gheist - 2. Jun. 2005, 12:01 Uhr

Hier was Audio-material zu Hoffnung vs. Hoffnungslosigkeit bei Fassbinder:
http://ofterdingenandkropotkin.blogspot.com/2005/06/arlanc-116.html#comments
not spam,
cheers

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