Sonntag, 27. Februar 2005

Das fetteste Risotto der Welt

Kürzlich sprach mir ein Herr über die Möglichkeit, auch die mäkeligen Damen zum Essen zu erziehen. Obschon jenem Herrn ein beträchtliches Überzeugungstalent zu eigen ist – an den schmalen Lippen jenes Eisklotzes an Frau, dem ich mich gestern Nacht gegenüber sah, wäre jeder Versuch der Fütterung abgeprallt.

Vor gar nicht allzu langer Zeit, als der M. noch ein Optimist gewesen sein muss, bezog er eine für eine Person geradezu unmäßig große Wohnung, geeignet für die Anschaffung einer Rotte Kinder und der gleichzeitigen Unterbringung von Frau und Geliebter, ohne dass sich beide jemals hätten begegnen müssen. Leider hat sich das Personal dieser reizenden Vision im Leben des M. nicht eingefunden, und so sitzen um den langen Tisch des M. in aller Regel nur die üblichen Freunde: Der T., gestern in einer originellen Kombination von Tweed überm roten T-Shirt, die C. mit Begleiter, und ich. An besonderen Abenden – und was wäre mehr speziell als ein dreißigster Geburtstag - verlieren sich aber noch weitere Gestalten in den Zimmerfluchten des M., Kollegen etwa, obskure Menschen, die der M. an uns unbekannten Orten aufgelesen hat – und, seien wir ehrlich: Möchte man Menschen kenne, die auch gute Freunde in der Friedrichshainer Astro-Bar aufgesammelt haben?

Weil der M. nicht kochen kann, klingelt in den Nachmittagsstunden irgendwann ein Party-Service, der mit Salatblättern ausgelegte Kalte Platten auf den Tisch stellt. Die üblichen Antipasti, kleine, runde Frikadellen und langweiliger Käse, dekoriert mit Scheiben von Obst. Die warmen Gerichte sind das Geschenk von T. und mir zum Dreißigsten eines lieben Menschen, und so bepinselt T. einen Rinderbraten mit Öl, ich hacke Schalotten, und zwischen lauter mitgebrachten Töpfen und Utensilien entsteht mein spezielles Risotto. Es ist das fetteste Risotto der Welt, aber das ist mir zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt.

Als die anderen Gäste eintreffen, wechsele ich für eine knappe Stunde noch einmal die Party. Zwei Parallelstraßen weiter, nahe Arkonaplatz, wird eine weitere Bekannte dreißig. Hier gibt es Becks aus Flaschen, Kartoffelsalat und Bockwürste, eine außerordentlich abstoßende Speise, und so schlendere ich zurück zu den selbstgefüllten Schüsseln und Schalen beim M.

Vorm Risotto spricht mich der Eisklotz an. Sie ist dünn, auffallend dünn, so dünn wie die dünnste Kellnerin im 103, und sie deutet mit einer Gabel auf mein Risotto. „Was ist denn da drin?“, werde ich gefragt, und gebe freimütig Auskunft. Arborio-Reis und Schalotten. Butter. Ich erläutere die Zusammensetzung, lasse Mascarpone, Parmesan, Gorgonzola und Hühnerbrühe nicht aus und befülle einen Löffel, den ich dem Eisklotz einladend über den Teller halte. Der Eisklotz zieht den Teller schnell weg.

Mit allen Anzeichen des Ekels, hochgezogener Oberlippe und krauser Nase spricht der Eisklotz die folgenden Worte: „Das ist ja wohl das fetteste Risotto der Welt.“, und als wäre dies ein hinreichender Grund, die Nahrungsaufnahme zu verweigern, wendet sich das Weib ab. Ich zucke die Schultern und esse das Risotto selbst.

Der Eisklotz muss die Information weitergegeben haben. Nach einiger Zeit kommt die C. zu mir. „Tust Du da wirklich....also, das ist wirklich das fetteste Risotto der Welt.“. Auf ihrem Teller liegt ein halbgegessener Klecks des cremigen Reisgerichts. Mitten im Prozess des Verspeisens muss die Information die C. ereilt haben. Der Klecks liegt traurig und halbverzehrt auf ihrem Teller und wird kalt. „Wenn ich fett esse, bekomme ich Pickel.“, höre ich von anderer Seite. „Ich vertrage so fettes Essen nicht mehr.“, spricht ein anderer Gast.

Als die Gäste nach und nach verschwinden, sitzen T., M. und ich in der verwüsteten Küche. Die noch halbgefüllte Schale Risotto erinnert mich an meine Niederlage im versehentlichen Feldzug gegen Größe 36 bei anderen Frauen, und langsam schiebe ich mir Löffel um Löffel der erkalteten und ziemlich festen Masse in den Mund.

„Das Risotto ist nicht so gut weggegangen.“, sage ich, und bin ein bißchen beleidigt. „Naja, Modeste“, sagte der M. „Das ist wirklich das fetteste Risotto der Welt.“


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