Dienstag, 1. März 2005

Cellulite

Einer der vielen Gründe, wieso mein Leben mit in an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überhaupt nie verfilmt werden wird, besteht in der Tatsache, dass meine Existenz ganz genau so jugendfrei ist wie Bambi oder Dokumentationen über Zahntechnik im 19. Jahrhundert. Sowas will keiner sehen und auch ichhabe selten Grund, diesen Zustand zu begrüßen. Meiner lieben Freundin J. jedoch verdanke ich erst in der letzten Nacht eine eingehende und unter die Haut gehende Erzählung über das, was passieren kann, wenn man versucht, diesen Zustand zu verändern.

„SCHLÄFST DU SCHON?“, brummt mein Telephon in den sehr frühen Morgenstunden, und wer den Ruf des Nebelhorns jemals vernommen hat, weiß, dass spätestens die Anfrage den erwünschten Zustand der Aktivität herstellen wird. Auf mein Lebenszeichen hin fährt wenig später J.´s Wagen krachend über den Gehsteig.

Vor so circa zwei Wochen, J. und ich feierten irgendwo in Mitte das deutsche Filmkunstschaffen, lernte die J. auf dem Weg zu den Waschräumen einen jungen Mann kennen. Man unterhielt sich, soweit möglich, der fünfundzwanzigjährige für meinen Geschmack etwas zu Berlin Style geschleckte Knabe offenbarte Profession (Regieassistenz) und Herkunft (Offenbach), man fand sich sympathisch, und verabredete sich wenige Tage später. Ob sodann die Drei-Tage-Regel eingehalten wurde, weiß ich nicht, jedenfalls fand ein weiteres Treffen gestern abend statt.

Ob die J. den Knaben mit ihrer Kochkunst bezaubern wollte, oder nur einen weiteren Zug durch die Clubs der Stadt in Ansehung des heutigen Arbeitstages für zu anstrengend erachtete – gegen acht Uhr am Abend erschien der Junge bei ihr, sie rührte, raspelte, deckte den Tisch mit Blumen und Kerzen, und man aß. Beim Wein auf dem Sofa kam man sich näher, ein Kuss auf die Ohren, ein Küsschen auf den Hals, ein zwangloser Wechsel des Standortes, und schließlich standen sich die Beteiligten unbekleidet gegenüber.

„Und dann?“, frage ich. „Was ist schiefgelaufen?“ J. starrt in ihre Teetasse. Während ich in ihrem Rücken nach weiterem Gebäck suche, fängt die J. erst ziemlich schrill an zu lachen, und fährt mit ihrem Bericht fort.

Der Knabe habe sie, so die J., umrundet, getätschelt, in einzelne Gliedmaßen gekniffen und sogar ein bißchen an den Haaren gezupft. In horizontaler Position angekommen, habe er mit der Hand über ihre Rückseite gestreichelt, nicht unangenehm, dann sei seine Hand jedoch auf Höhe ihrer Oberschenkel hängengeblieben, und er sprach die vernichtenden Worte: „Ganz schöne Krater hier.“

Die J. ist im Großen und Ganzen nicht unattraktiv, wie nicht wenige Frauen sind ihre Hüften und Oberschenkel aber leider deutlich dicker als alle entsprechenden Gliedmaßen, die die Vogue einer Abbildung für würdig befindet. „Modeste, ich habe mich gefühlt wie die Venus von Willendorf.“, die J. lacht immer noch in dieser alarmierend schrillen Tonlage.

„Ich dachte, Männer bemerken Cellulite gar nicht?“, sage ich, und schenke Tee nach. „Auch nur so eine gnädige Lüge.“, befindet J. Der Knabe habe, berichtet sie weiter, auf ihre Nachfrage, ob ihn das nachlassende Bindegewebe störe, entschuldigend geantwortet, wir hätten ja alle unsere kleinen Makel und Fehler. Während seiner schonungsvollen Ausführungen über innere Werte habe er allerdings fortgefahren, mit der Hand Bauch und Schenkel der J. zu inspizieren.

Schließlich, die Stimmung sei ohnehin zu Teufel gewesen, sei sie aufgestanden. Eine ganze Weile habe sie im Bad gesessen, geraucht, und als sie ins Schlafzimmer zurückgekommen sei, habe der Knabe auf ihrem Bett gelegen und in einer älteren „brand 1“ Ausgabe geblättert. „Das liest du?“, frage ich leicht verwundert. „Ich krieg´ die kostenlos.“, rechtfertigt sich J., und berichtet von dem erfolgreichen sanften Rauswurf.

In der Tür habe der Knabe ihr noch einen Kuss aufgedrückt und versichert, demnächst einmal anzurufen. „Dem hätte ich die Augen ausgekratzt.“, sage ich. „Davon findet der mich auch nicht schöner.“, antwortet die J.



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