Sonntag, 27. März 2005

Hasen aus Glanzpapier

Später am Tag liege ich bei I. auf dem Boden und schaue zur Zimmerdecke hoch. M. zieht CD´s auf dem Regal, schraubt die Bässe hoch, und die fragilen, erlesen bemalten Eier an den Windenzweigen schaukeln im Takt der elektronischen Beats. I. döst ein wenig mit halbgeschlossenen Augen und einer schwarzen Katze auf dem Bauch, der S. lässt Mozartkugeln auf der Zunge schmelzen, und auf dem Tisch stehen die Reste eines außerordentlich opulenten Mahls und warten auf jemanden, der wieder essen kann und mag.

„Ihr braucht nicht auf die Beete zu gehen.“, hat I. gesagt, denn die Stapfen zwischen den dicken Kissen von Kroken und Winterlingen verrieten schon vom Weg aus den Standort der Osternester. Halbgegessen liegt mein Schokoladenhase nun neben mir.

„Ist der Mückenstich immer noch nicht verheilt?“, fragt die R. und deutet auf mein Schienbein knapp unterhalb des Rocksaums. Ich schüttele den Kopf, denn meine Insektenstiche pflegen sich stets aufs Ekelhafteste zu entzünden, anzuschwellen und nach dem Abschwellen kleine runde Stellen zu hinterlassen, die etwas dunkler sind als der Rest. Ich bin eindeutig nicht tropentauglich. Wir sprechen müde und knapp über den Ausflug nach Prato im letzten Jahr, als im Garten einer Mediceischen Villa die Mücken über mich herfielen. Über einen Abend am Mittelmeer am steinigen Strand von Nizza, an dem I. stolperte und eine Narbe am Fuß behielt. Über die Nacht in der Charité, als J. und M. warten mussten, bis der Arzt R. fertig genäht hatte, über T.´s Weisheitszähne, und J.´s Denguefieber und die schreckliche Nacht im Bangkok Nursing Home, bis die Medikamente wirkten.

Übersättigt und mit dem Geschmack von Pistazienmarzipan auf der Zunge überlege ich langsam und träge, wie viele Jahre ich die Truppe auf dem Boden zumindest teilweise schon kenne, wie viele Narben geschlagen und bedauert, wie viele Taschentücher vollgeheult, und wie viele Fässer Wein, Badewannen voll Tee, gebratene Ochsen und Lämmer in Rosmarin schon verzehrt wurden. Ergebnislos kräuseln sich die Gedanken, steigen hoch an die Decke und vermischen sich mit dem Rauch der Zigaretten.

„Ich hab´ euch alle gern.“, sage ich, verführt von Marzipan und süßem Marsala. Und ich mag euch sogar für euer Hohngelächter und die fliegenden Kissen.


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