Sonntag, 10. April 2005

Die stummen Farben

„Da bist du ja.“, sagt er, und schaut auf die Uhr, aber weil die Schlange vor der Kasse des Gropius-Baus länger ist als die Bibel, gehen wir doch lieber im Tiergarten spazieren, und schauen den Bäumen beim Ausschlagen zu. Die Sonne scheint kraftlos von einem fadblauen Himmel, und ich friere in meinem schwarzen Rock und dem dünnen Trenchcoat.

J² spricht über den neuen Job, ich berichte meine Urlaubspläne, die dieses Jahr gleich zweimal Richtung Osten zielen, und schließlich sprechen wir doch wieder über die Liebe, obwohl ich mit J² nie wieder über die Liebe sprechen wollte. J² rühmt die Beständigkeit, schilt den Hedonismus, der die Menschen ruiniere mit ihrem Hinterherlaufen nach einem Glück, das doch seiner Natur nach nicht auf Dauer angelegt sei und spricht am Ende von der Einsamkeit der Jäger und dem verfehlten Leben derer, die vom Leben nur das Leichte nehmen wollen.

„Red du nur,“, denke ich, und dass am Ende der auch mein Leben durchaus kreuzenden Versuche, im ernsten Rollenfach zu brillieren, stets kein goldener Pokal, sondern bloß Streit, Tränen und verbrannte Erde standen. Und dass ich an Erlösung und Ankommen in einem warmen Raum zu zweit nicht mehr glaube.

J² malt wolkige Idyllen in die kalte Luft, von denen ich nicht weiß, ob er selber daran glaubt, und zieht mir Streifen für Streifen die Haut von den eingekapselten Träumen. Was soll das, denke ich, mir geht´s doch gut. Was soll ich in meinen Katakomben immer wieder versuchen, ob die Leichen noch zucken.

Mit zunehmendem Alter nutze sich die Seele ab, sagt der J², die Wunden werden tiefer und hören auf, sich zu schließen. Wen man dann noch liebt, der wird nicht mehr anwachsen an mir. Allein werd´ ich sein, gleichgültig, ob ein warmer Körper morgens neben mir erwacht. „Das ist doch Quatsch!“, möchte ich antworten, aber gerade glaube ich mir nicht, und nicht meinem Glück. J² zieht mir die vielen Jahre, die festen Häute und die Erfahrungen Haut für Haut vom Fleisch, bis statt Blut immerhin Tränen fließen. Quäl´ mich nicht, will ich sagen. Lass´ mir mein gutes Leben und die irisierenden Hüllen, die ich mir unter Schmerzen habe wachsen lassen, und die mir nun gehören, zu schillern und zu schützen.

„Ich muss los“, sage ich.

Bei Eis und Tee dann, ein paar Stunden später, beim Plänemachen mit den Freundinnen, sitzt die Haut wieder. Hey, denke ich, großartig wird dieses Jahr und soll riechen nach schwarzen Kirschen und durchlachten Sommernächten. Und mein Leben ist schön und passt mir so gut wie die festen Hüllen, die wieder sitzen, als hätte man sie nie abgezogen.


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